Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ende einer politische­n Karriere

SPD-Chef Martin Schulz verzichtet auf Ministeram­t in einer neuen Großen Koalition

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Am Ende stehen 16 Zeilen. In acht knappen Sätzen begründet Martin Schulz am Freitagnac­hmittag seinen Rückzug. Ende einer politische­n Karriere.

Noch am Mittwoch hatte er geglaubt, sich ins Außenminis­terium gerettet zu haben und angekündig­t, SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles den Parteivors­itz überlassen zu wollen. Am Freitag dann, nur 36 Stunden später, das schnelle und überrasche­nde Aus für Martin Schulz. Gerade noch der große Gewinner der Koalitions­verhandlun­gen, steht er jetzt mit leeren Händen da.

Der Druck war zu groß geworden. Die Parteispit­ze drängt ihn zum Verzicht. Durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreic­hes Mitglieder­votum gefährdet. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind“, so Schulz am Nachmittag in einer schriftlic­hen Erklärung.

Seine persönlich­en Ambitionen müssten jetzt hinter den Interessen der Partei zurücksteh­en, begründet er den Schritt. Noch einmal feiert der scheidende SPD-Chef den Koalitions­vertrag als großen Erfolg. Jetzt sei es „von höchster Bedeutung, dass die Mitglieder der SPD beim Mitglieder­votum für diesen Vertrag stimmen“, wirbt Schulz. Kein Auftritt mehr vor den Kameras. Rückzug vom Parteivors­itz und kein Wechsel ins Auswärtige Amt. Vom Hoffnungst­räger zum Hinterbänk­ler. Das SPD-Beben erreicht seinen Höhepunkt.

Notbremse gezogen

Die Parteispit­ze zieht die Notbremse, will verhindern, dass der Mitglieder­entscheid über den schwarz-roten Koalitions­vertrag und ein Regierungs­bündnis mit der Union scheitert. Im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizent­rale, habe man einen regelrecht­en Sturm der Entrüstung von Mitglieder­n erlebt, die sich per E-Mail oder Telefon über Schulz’ Zickzackku­rs und seine Absicht, Sigmar Gabriel als Außenminis­ter abzulösen, empört hätten, hieß es. Vom GroKo-Gegner zum GroKo-Befürworte­r, vom kategorisc­hen Nein zu einem Ministeram­t zum Ja und dem Verzicht auf den Parteivors­itz – Schulz habe seine Glaubwürdi­gkeit verloren, sich mit seinen 180-Grad-Wenden ins Abseits manövriert und sei zu einer Belastung geworden.

Mit seinem Rückzug leiste er einen notwendige­n Beitrag dazu, die Glaubwürdi­gkeit der SPD zu stärken, erklärte der nordrhein-westfälisc­he SPD-Chef Michael Groschek, der mit zu den Königsmörd­ern gehört und hinter den Kulissen den Druck erhöht hatte. In der SPD-Spitze fürchtete man, dass die Personalde­batte die inhaltlich­e Diskussion über den Koalitions­vertrag überschatt­en und sich negativ auf den Mitglieder­entscheid auswirken könnte. Die Gefahr, dass das Votum der Basis über die GroKo scheitern könne, sei zu groß, hieß es.

Am Freitag jagt eine Krisenrund­e der SPD-Spitze die nächste, schaltet sich das engere Führungspe­rsonal der Genossen telefonisc­h zusammen. Es brodelt mächtig in der Parteispit­ze. Stunde für Stunde wächst der Druck. Schließlic­h folgen ein Misstrauen­svotum und Ultimatum. Die Parteiführ­ung habe ihn vor die Wahl gestellt: Entweder Schulz erkläre bis zum Nachmittag seinen Verzicht auf das Amt des Außenminis­ters oder er werde öffentlich dazu aufgeforde­rt, hieß es aus dem Präsidium. Die Landesverb­ände Nordrhein-Westfalen und Hessen hatten gedroht, ihn andernfall­s am Montag in den Sitzungen von Präsidium und Vorstand per Antrag zum Rückzug aufzuforde­rn. Schulz zögert, wartet in seinem Büro im WillyBrand­t-Haus, berät sich mit seinen engsten Vertrauten und zieht schließlic­h am Nachmittag die Konsequenz­en.

„Die Entscheidu­ng von Martin Schulz verdient höchsten Respekt und Anerkennun­g“, würdigt SPDFraktio­nschefin Andrea Nahles den Schritt, die den Parteivors­itz übernehmen soll, und bescheinig­t ihm „beachtlich­e menschlich­e Größe“. Jetzt gelte es, sich „voll und ganz auf die inhaltlich­e Debatte“und den Mitglieder­entscheid zu konzentrie­ren. Große Koalition Ja oder Nein? In der SPD-Führung setzt man darauf, dass der Schulz-Rückzug wie ein Befreiungs­schlag wirkt und die Zweifler in der Partei überzeugen wird.

Seit Wochen schon stand Schulz in der eigenen Partei unter Druck, waren Rufe nach seinem Rückzug laut geworden. Der Streit um das Außenminis­ter-Amt und Schulz’ Pläne, den Posten des Chefdiplom­aten zu übernehmen und Amtsinhabe­r und Vizekanzle­r Sigmar Gabriel zu beerben, hatten schließlic­h das Fass zum Überlaufen gebracht. Am Mittwoch hatte Schulz angekündig­t, das Amt des Außenminis­ters übernehmen und den Parteivors­itz an Fraktionsc­hefin Andrea Nahles übergeben zu wollen. Entsetzen in der Partei über die Wende.

Gabriel rechnet ab

Tags darauf hatte Gabriel seinem Ärger über den drohenden Jobverlust mächtig Luft gemacht, mit Schulz und der Partei abgerechne­t. Er bedaure „wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinande­r geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“, klagte Gabriel und spielte darauf an, dass ihm Schulz vor einem Jahr eine Jobgaranti­e gegeben habe, für den Fall, dass die SPD nach der Bundestags­wahl weiterregi­eren werde. So hätte er sich gewünscht, dass man sich „einfach mal in die Augen schaut und die Wahrheit sagt“, klagte er und griff Schulz schließlic­h sogar indirekt persönlich an. Seine kleine Tochter habe ihm gesagt: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast dsu doch mehr Zeit mit uns. Das ist besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht“, so Gabriel. Eine Attacke, die für Empörung sorgte.

Was wird jetzt aus Sigmar Gabriel? Bleibt er im Falle einer Neuauflage der Großen Koalition Außenminis­ter? Die Personalde­batte in der SPD geht weiter.

 ?? FOTO: DPA ?? Martin Schulz zieht die Reißleine und stellt Parteiinte­ressen über persönlich­e Ambitionen.
FOTO: DPA Martin Schulz zieht die Reißleine und stellt Parteiinte­ressen über persönlich­e Ambitionen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany