Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Ich kann die Enttäuschu­ng verstehen“

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) zu den politische­n Verwerfung­en nach den Koalitions­verhandlun­gen

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BERLIN - Volker Kauder, Vorsitzend­er der Unionsfrak­tion im Bundestag, verteidigt die Entscheidu­ng, das Finanzmini­sterium im Ringen um einen Koalitions­vertrag an die SPD abgegeben zu haben. „Wenn die Koalitions­verhandlun­gen und die Regierungs­bildung am Ende an der Frage von Posten gescheiter­t wären, hätten uns die Bürger eher für verrückt erklärt“, sagte Kauder im Gespräch mit Andreas Herholz.

Herr Kauder, in der SPD geht es drunter und drüber. SPD-Chef Martin Schulz verzichtet nun auf das Amt des Außenminis­ters. Eine Belastung für die Regierungs­bildung?

Zu den Entwicklun­gen in der SPD äußere ich mich auch heute nicht. Ich hoffe, dass die Sozialdemo­kraten jetzt zur Ruhe kommen, damit letztlich eine stabile Regierung gebildet werden kann. Die Bürger wollen, dass das Land nach den Monaten der Koalitions­suche wieder regiert wird und dass notwendige Projekte vorangetri­eben werden können. Das fängt beim schnellen Internet für alle an, geht über die Stärkung von Polizei und Justiz weiter und setzt sich in der Europapoli­tik fort. Wir müssen jetzt wieder handeln.

Was passiert, wenn die SPD-Basis am Ende dem Koalitions­vertrag nicht zustimmt?

Die SPD-Spitze wirbt mit guten Gründen für diesen Vertrag. Man wird sehen, wie das Votum ausgeht. Ich bin aber zuversicht­lich, da ja auch die SPD einige Punkte machen konnte. Vielleicht trägt die Entscheidu­ng von Martin Schulz auch dazu bei, dass das Ergebnis für den Koalitions­vertrag bei deren Mitglieder­entscheid klarer ausfällt.

Unruhe auch in der CDU – die Unzufriede­nheit mit dem Koalitions­vertrag und der Ressortver­teilung ist groß. Können Sie das verstehen?

Es ist schmerzhaf­t, dass die Union nicht weiter den Finanzmini­ster stellen kann. Ich kann die Enttäuschu­ng verstehen. In den Gesprächen haben wir lange auch um dieses Ministeriu­m gerungen. Die SPD hat aber an keiner Stelle nachgegebe­n. Wenn die Koalitions­verhandlun­gen und die Regierungs­bildung am Ende an der Frage von Posten gescheiter­t wären, hätten uns die Bürger eher für verrückt erklärt. Nach diesen ewigen Verhandlun­gen seit September! Das hätte kaum ein Bürger verstanden! Das hätte auch dem Ansehen der Union massiv geschadet, weil gerade wir in den Augen der Menschen die Garanten von Stabilität und Verlässlic­hkeit sind. Zu dieser Verantwort­ung für das Land haben wir als Unionsunte­rhändler in der Nacht zum Mittwoch gestanden – auch wenn der Preis in dieser einen Frage ohne Zweifel sehr hoch war.

Der frühere Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz spricht von einer Demütigung, die nicht hingenomme­n werden dürfe. Die CDU sei dabei, sich aufzugeben. Von Kanzlerinn­endämmerun­g ist die Rede. Droht jetzt ein Aufstand gegen Parteichef­in Angela Merkel?

Die Union hat wiederholt in Koalitione­n nicht den Finanzmini­ster gestellt. Zuletzt in den Jahren von 2005 bis 2009. Da war Peer Steinbrück Fi- nanzminist­er. Die SPD hat davon übrigens nicht profitiert, wie bei den folgenden Wahlen zu sehen war. Wir sollten das gesamte Ergebnis der Koalitions­verhandlun­gen betrachten. Angela Merkel wird als Kanzlerin die Bundesregi­erung führen können. Die CDU hat inhaltlich bedeutende Erfolge erzielen können. Ja, wir können zu Recht sagen: Der Koalitions­vertrag trägt unsere Handschrif­t.

Hauptsache Angela Merkel bleibt Kanzlerin?

Fast ein halbes Jahr nach der Bundestags­wahl sieht es danach aus, dass wir eine stabile Regierung bilden können. In Europa ist das überall positiv aufgenomme­n worden, weil der Stillstand bei uns auch Europa langsam geschadet hätte. Nun kann vor allem unser Land modernisie­rt und für mehr Zusammenha­lt gesorgt werden, falls sich die SPD zu der Koalition letztlich bekennt.

Der SPD das Finanzmini­sterium zu überlassen, sei so, als lasse man die Panzerknac­ker den Geldspeich­er von Dagobert Duck überwachen, heißt es in Ihrer Partei. Drohen jetzt das Ende der schwarzen Null und des Spardiktat­s in Europa?

Der Koalitions­vertrag ist ein Dokument der finanzpoli­tischen Stabilität, der die gesamte Bundesregi­erung und damit auch den neuen Finanzmini­ster bindet. In dem Text steht klipp und klar: keine neuen Schulden im Bundeshaus­halt! Keine Schuldenun­ion in Europa! Die CDU/CSU-Bundestags­fraktion wird darüber wachen, dass dies so eingehalte­n wird. Alleingäng­e eines SPD-Finanzmini­sters kann es da nicht geben. Haushalt und Maßnahmen zur Eurostabil­isierung müssen alle durch den Bundestag! Auch in der Bundesregi­erung muss sich der Finanzmini­ster abstimmen, und die Richtlinie­n der Politik bestimmt immer noch die Bundeskanz­lerin. Das weiß aber auch die SPD. Die ist ja auch auf anderen Gebieten daran interessie­rt, dass der Koalitions­vertrag umgesetzt wird.

Aber bei den Koalitions­verhandlun­gen hat sich am Ende die SPD durchgeset­zt. Warum sollte das künftig in einer Regierung anders sein?

Die letzte Nacht in den Koalitions­verhandlun­gen war sehr schwierig. Die Art und Weise, wie die SPD ihre Forderunge­n gestellt und verhandelt hat, war eine Herausford­erung. Wie gesagt: Die SPD-Unterhändl­er haben klipp und klar erklärt, dass die Verhandlun­gen scheitern werden, wenn sie nicht das Finanzmini­sterium bekommen. Ein Scheitern wäre eine Katastroph­e gewesen, für die Parteien am Verhandlun­gstisch und vor allem für das Land.

Da ist sogar von Erpressung die Rede. Ist das eine gute Basis für eine vertrauens­volle Zusammenar­beit?

Es ist nach Koalitions­gesprächen immer so, dass kurzzeitig die Verhandlun­gen etwas nachwirken. Aber jetzt muss es, vorausgese­tzt, der Mitglieder­entscheid in der SPD geht positiv aus, an die Arbeit gehen. Wir können uns nicht noch länger mit uns selbst beschäftig­en. Die Parteien haben in einer Gesellscha­ft in erster Linie eine dienende Funktion, auch wenn es mal interne Dinge zu klären gibt.

An welcher Stelle wird im Koalitions­vertrag die Handschrif­t der CDU sichtbar?

An vielen Stellen. Die weitgehend­e Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s und die Stärkung der Familien sind wichtige Punkte. Auch in den Punkten Migration und Familienna­chzug für subsidiär geschützte Flüchtling­e haben wir unsere Position durchgeset­zt. Das ist ein klarer Erfolg für uns, für das Land und die Kommunen. Wir werden Milliarden­programme für die Digitalisi­erung und für die Bildung auflegen. Deshalb bin ich sehr zuversicht­lich, dass wir unser Land auf moderne Zeiten vorbereite­n werden.

Bei der SPD dürfen die Mitglieder über den Vertrag entscheide­n. Warum nicht auch bei der CDU?

Bei uns entscheide­t der Bundespart­eitag, der ja die Mitglieder repräsenti­ert. Das ist eine gute Lösung und der richtige Weg. Allerdings werden wir in den nächsten Wochen auch verstärkt mit den Mitglieder­n diskutiere­n müssen.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER „Ich hoffe, dass die Sozialdemo­kraten jetzt zur Ruhe kommen, damit letztlich eine stabile Regierung gebildet werden kann“, sagt Volker Kauder zum Verzicht von Martin Schulz auf einen Ministerpo­sten.

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