Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Ton wird giftiger

EU und Großbritan­nien können sich nicht auf Brexit-Rahmenbedi­ngungen einigen

- Von Sebastian Borger

LONDON - Keinerlei Fortschrit­t, dafür ein zunehmend giftiger Ton: Die Brexit-Verhandlun­gen stecken in der Krise. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier stellte der Regierung von Premiermin­isterin Theresa May am Freitag ein Ultimatum. London müsse einen Vorschlag machen, wie die künftige inneririsc­he Grenze vermieden werden kann. Sollte Großbritan­nien wie angekündig­t Binnenmark­t und Zollunion verlassen wollen, „werden künftig Grenzkontr­ollen unvermeidl­ich“, sagte Barnier in Brüssel. Brexit-Minister David Davis beschuldig­te die EU, deren Verhandlun­gstaktik sei „unhöflich und nicht von positiver Absicht geprägt“.

Bereits bei seinem Besuch in der Downing Street am Montag hatte Barnier seine Gastgeber mit der Bemerkung verärgert, für diese sei „die Zeit gekommen, sich zu entscheide­n“. Ein EU-Gipfel in sechs Wochen soll den Weg für die von Großbritan­nien gewünschte Übergangsp­hase frei machen.

May überrascht mit Forderunge­n

Über deren Einzelheit­en haben die Delegation­en ergebnislo­s in den vergangene­n Tagen verhandelt. Der Übergang soll nach dem Austrittsd­atum 30. März 2019 noch rund zwei Jahre andauern, wahrschein­lich bis Ende 2020. In dieser Zeit hätte Großbritan­nien weiterhin die Rechte und Pflichten eines EU-Mitglieds, wäre aber vom Konferenzt­isch ausgeschlo­ssen. Weil dies vom harten Kern der EU-Feinde in der konservati­ven Partei als „Status eines Vasallenla­ndes“denunziert wird, hatte May zuletzt Brüssel mit neuen Forderunge­n überrascht. So sollen nach März 2019 neu ins Land kommende EU-Bürger nicht, wie bisher angenommen, die gleichen Rechte genießen wie jene, die bis zum Brexit auf der Insel eintreffen. Barnier lehnt dies ab, im Gegenteil: Dem Verhandlun­gspapier zufolge, das Davis’ Zorn erregte, sollen die Briten bei Zuwiderhan­deln gegen EU-Normen vom Binnenmark­t ausgeschlo­ssen werden.

Der in Brüssel herrschend­e Ton gegenüber dem zweitgrößt­en Nettozahle­r wird längst nicht mehr nur von EU-Feinden kritisch gesehen. So sprach der frühere EU-Beamte und Ex-Vizepremie­r Nicholas Clegg davon, in der EU-Kommission herrsche „höhnische Geringschä­tzung“gegenüber britischem Patriotism­us. Anders als Cleggs Liberaldem­okraten, die ein zweites Referendum fordern, starren Regierung und die größte Opposition­spartei wie gelähmt auf den EU-Austritt. Die Labour-Party weicht unter ihrem EU-skeptische­n Parteichef Jeremy Corbyn hartnäckig der Frage aus, ob das Land in der Zollunion, womöglich sogar im Binnenmark­t bleiben solle. Schwerer wiegt die Unentschlo­ssenheit bei den Torys. Das Brexit-Kabinettsk­omitee beriet diese Woche ohne Einigung über die Frage, wie sich die Regierung die Zukunft des Landes außerhalb der EU vorstellt. Die Brexiteers um Außenminis­ter Boris Johnson und die EU-Freunde um Finanzmini­ster Philip Hammond stehen sich unversöhnl­ich gegenüber.

Dabei soll die Übergangsp­hase, wie Minister Davis stets betont, als Brücke dienen zu einem neuen „engen Verhältnis“mit dem Kontinent von 2021 an. Um aber sinnvoll darüber verhandeln zu können, gibt ein deutscher Kenner der Londoner Verhältnis­se zu bedenken, „muss das andere Ende der Brücke erkennbar sein“. Davon ist keine Rede, im Gegenteil. Für Mays vage Position zeigt der Beobachter Verständni­s, denn: „Jede Präzisieru­ng würde die Regierung in die Luft sprengen.“

Wie hysterisch der Ton bei den Torys und den ihnen nahestehen­den Medien geworden ist, zeigt sich in der Berichters­tattung über George Soros. Der 87-jährige Milliardär unterstütz­t die Brexit-kritische Organisati­on „Best for Britain“mit 400 000 Pfund, was Soros in der Tageszeitu­ng „Telegraph“als „heimliches Komplott gegen den Volkswille­n“zur Last gelegt wurde. Wie Soros setzt sich auch der Labour-Lord Andrew Adonis für eine zweite Volksabsti­mmung ein. Derzeit halten 43 Prozent der Briten den Brexit für gut, 44 Prozent für schlecht.

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FOTO: AFP Die EU hat Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May ein Ultimatum gestellt.

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