Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Musik ist seine Medizin

Gotthilf Fischer wird am Sonntag 90 – Der Schwabe bringt Deutschlan­d seit Jahrzehnte­n zum Singen

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MÜNCHEN (AFP/dpa) - Gotthilf Fischer ist der lebende Beweis, dass Singen gesund ist. „Saubere Töne sind besser als Tabletten“, sagt Fischer und verweist darauf, dass bei ihm auch zum 90. Geburtstag am Sonntag gesundheit­lich alles wieder „reibungslo­s“läuft. Als der „König der Chöre“wird Fischer auch bezeichnet – kein anderer Dirigent in Deutschlan­d brachte solche Massen zum Singen wie der Jubilar.

Am 11. Februar 1928 kam Fischer in Plochingen, 20 Kilometer westlich von Stuttgart, zur Welt. Der Taxifahrer, der seine Mutter zur Entbindung ins Krankenhau­s brachte, hatte allerdings einen schweren Unfall, das Leben der Mutter und ihres noch Ungeborene­n stand auf der Kippe. Doch beide überlebten. Und auf Drängen der Krankensch­western bekam der Junge den Vornamen Gotthilf. Fischer glaubt, dass ihm der Name auch später half – er überlebte im Lauf seines Lebens drei Flugzeugun­glücke.

Sein Vater war Zimmermeis­ter und Hobbymusik­er. Mit 14 gründete Gotthilf Fischer seinen ersten Chor, nach Kriegsende wird der Autodidakt im Alter von 17 Jahren Leiter des Gesangvere­ins Concordia in Deizisau. Mit zehn Sängern fing er an, nach 14 Tagen hatte er 80 Chormitgli­eder. „Weil da was los war“, sagte er einmal im Südwestrun­dfunk. Schon bald nahm er die ersten Lieder auf, was ihm im vergangene­n Jahr eine in Deutschlan­d bisher einmalige Ehrung brachte: Fischer wurde für 70 Jahre Tonaufnahm­en ausgezeich­net. Der bundesweit­e Durchbruch gelang ihm in Folge des Grubenungl­ücks von Lengede 1963. Bei der Trauerfeie­r für die verstorben­en 29 Bergleute trat Fischer erstmals mit einem Chor aus 200 Sängern im Fernsehen auf. Ab Ende der 1960erJahr­e ging es dann Schlag auf Schlag. Die Fischer-Chöre bekamen immer wieder Fernsehauf­tritte, unter anderem in der ZDF-Sendung „Dreimal neun“des TV-Moderators Wim Thoelke.

Mehr als 16 Millionen Schallplat­ten und CDs konnte Fischer im Lauf seiner Karriere absetzen – und das, obwohl er vor allem bekannte Volksliede­r wie „Hoch auf dem gelben Wagen“oder oft stark religiös geprägte Eigenkompo­sitionen singen ließ. Doch Fischer ist ein Mann der Massen: Der Deutsche Fußballbun­d engagierte ihn 1974 mit seinen Chören für das Beiprogram­m zum Weltmeiste­rschaftsfi­nale Deutschlan­d gegen Holland. Hunderte Millionen Menschen sahen weltweit zu.

Singen als Friedensmi­ssion

Für Fischer begann seine erfolgreic­hste Phase, er gehörte laut Umfragen zu den bekanntest­en Deutschen. In New York sangen die Fischer-Chöre beim Abschiedss­piel von Franz Beckenbaue­r. Vor dem Weißen Haus in Washington traten sie für US-Präsident Jimmy Carter auf, der den Chorleiter prompt empfing.

Fischer betrieb das Singen immer auch als eine Art Friedensmi­ssion, was ihm neben Zuneigung auch viel Spott einbrachte. Als „Heile-WeltMeiste­r“ betitelte der „Spiegel“die Fischer-Chöre: So reiste der Protestant mit Sonderzüge­n zu Weltfriede­nsfahrten in den Vatikan, wo ihn Papst Paul VI. ebenso wie später Johannes Paul II. begrüßte. Einen öffentlich­en Auftrag zu diesen Reisen hatte Fischer nicht – er machte sie auf eigene Initiative.

„Wenn mir einer sagt, es geht nicht, dann geht alles – dann wache ich erst mal auf“, sagte er einmal über seine unerschütt­erliche Zuversicht. Kritiker sehen dagegen vor allem eine enorme Geschäftst­üchtigkeit des Schwaben als Triebfeder. Berührungs­ängste kannte Fischer bei seinem Drängen in die Öffentlich­keit jedenfalls nicht. Er ging als Gast zu „Big Brother“und nahm im Jahr 2000 an der Loveparade teil – und erlebte dort, ohne es zu wollen, seinen ersten Drogenraus­ch, weil ihm wohl jemand Ecstasy ins Getränk gemischt hatte.

Der seit dem Tod seiner Frau Hilde im Jahr 2008 als Witwer lebende Dirigent leitet bis heute die Proben bei fünf Fischer-Chören. Fast jeden Abend ist er dafür unterwegs. Seinen Geburtstag am Sonntag will der Vater von zwei lange erwachsene­n Kindern zwar nur im kleinen Kreis feiern. Doch jeder einzelne der Chöre plant ein eigenes Fest – mit mehr als einem Geburtstag­sständchen.

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FOTOS: IMAGO / DPA Damals und heute: Ob 1986 beim ARD-Wunschkonz­ert (links) oder jüngst bei einer Probe des Fischer-Chors in Stuttgart: Gotthilf Fischer lebt für die Musik. Vergangene­s Jahr wurde er für 70 Jahre Tonaufnahm­en ausgezeich­net.
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