Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Rubensfrauen haben keine Orangenhaut
Das Städel in Frankfurt befragt den berühmtesten Barockmaler nach seinen Vorbildern und Bildideen
FRANKFURT - Das Städel mit seinem repräsentativen Bilderbestand hat eine Schwachstelle, ausgerechnet bei einem Großbetrieb der Kunstgeschichte, bei Peter Paul Rubens (15771640). Die neue Ausstellung macht aus der Not eine Tugend. Sie stopft die Lücke – zumindest bis Mai – und schaut Rubens bei seiner Arbeit über die Schulter. Sie zeigt, wie er zu seinen Bildideen kam.
Ohne das große Jubiläumsthema dieses Jahres, den Dreißigjährigen Krieg, eigens anzusteuern, zeichnet die Ausstellung ein Bild dieser Epoche. Das Barock hat bei Glaubensfragen auf die Überwältigung der Gefühle gesetzt. Dafür bieten Rubens’ christliche Bildthemen reichlich Beispiele. Es pflegte aber auch eine artifizielle Kommunikation zwischen den Künstlern und ihrem – in aller Regel – hochgebildeten Publikum. Genau hier setzt die Städel-Schau an.
Sie war schon in Wien zu sehen, wo man über einen satten RubensBestand verfügt und sie daher gleich in die Dauerpräsentation des Kunsthistorischen Museums integrierte. Das Städel zeigt eine Sonderausstellung. Hier gibt die Rauminszenierung des Darmstädter Büros BachDolder dem inhaltlichen Konzept, Entstehung und Entwicklung der Bildmotive nachzuzeichnen, einen klaren und für Besucher hilfreichen Orientierungsrahmen.
Die Antike ist das Ideal
Städel-Vizedirektor Jochen Sander – von ihm stammen Idee und Konzept – inszeniert mit der Rubens-Schau die barocke Idee des künstlerischen Wettbewerbs: eines Spiels, bei dem die Maler an Vorbilder anknüpfen und sie zu übertreffen suchen. Für Rubens, wie für andere Künstler seiner Zeit, ist die Antike das Ideal. Auf seiner Italienreise hat er Vorbilder studiert, seine Zeichnungen wurden zum Fundus für spätere Bildgestaltungen und für die Ausbildung der Schüler in seiner Werkstatt. Diese Zeichnungen stellt das Städel nun den Gemälden gegenüber. Oft steht in der Mitte eines Themenraums die antike Skulptur, die Rubens in Italien gesehen hat.
In den Reiseführern von 1600 gab es schon Listen solcher Sehenswürdigkeiten, die Maler, Auftraggeber und Kundschaft gleichermaßen kannten. Sie wurden zum Angelpunkt des Kunstkonzepts, das auf kreative Umwandlung setzte. Herkules wird zu Christophorus, Laokoon zum geblendeten Simson. Aus einem hellenistischen Torso der Uffizien in Florenz macht Rubens einen Auferstandenen, dessen blanke Heldenbrust so gar nichts mit den leptosomen Jesusmodellen des 19. Jahrhunderts zu tun hat.
Drastisch ist die Transformation, aus der Rubens seinen „Ecce Homo“entwickelt, dem ersten und gleich grandiosen Gemälde der Ausstellung: der „Einstiegsdroge“, wie Sander sagt. Das Bild aus der Eremitage in St. Petersburg zeigt das Motiv des Heilands, den Pilatus vor der Kreuzigung dem Volk zur Schau stellt. Auch dieser Christus hat einen Oberkörper, der so muskulös ist, als käme er aus der Muckibude. Das Vorbild ist die antike Skulptur eines Zentaurs, einer Pferd-Mensch-Kreuzung, die Rubens 1601 in der Sammlung Borghese in Rom gesehen und auf großen Blättern gezeichnet hat. Rubens verwandelt nicht nur die Figur, er verdreht auch die Affekte: Der antike Zentaur steht für animalische Triebhaftigkeit bis zur Verblödung, der Christus m it Dornenkrone und allerfeinsten Blutstropfen fordert Mitleid ein.
Einen vergleichsweise leichten Dreh versetzt Rubens der Marmorfigur einer kauernden Venus, die in Neapel zu Hause ist, wenn sie jetzt nicht gerade in der Ausstellung Modell sitzt. Sie bereitet sich aufs Bad vor. Aus dem entspannten römischen Vorbild wird eine frierende Frau, die Haut changiert zwischen bleich und blau. Ein kleiner Amor bibbert zu ihren Füßen. Ein Satyr mit Minipli und Solariumsbräune stürzt hinzu. Seine Absichten arbeitet die #me-too-Debatte zurzeit am Beispiel des ähnlich gestylten und bronzierten Dieter Wedel auf. Als Lockmittel hält der Satyr ein Füllhorn mit Trauben und Getreide im Arm, sodass das Bild die Illustration eines Sprichworts wird, demgemäß es ohne was im Magen mit Lust und Liebe nichts wird.
Der Kunstschriftsteller Johann Heinrich Winckelmann (1717-1768), Erfinder der Klassik, hat Rubens für die Raffinesse gelobt, mit der er das Inkarnat, die Haut seiner Figuren, gestaltet. Zugleich hat er ihn getadelt, dass er die antiken Marmorfiguren nicht in ihrer steinernen Blässe belässt (die er selber zu Unrecht für den Originalzustand hielt), sondern „mit seiner Manier“farbig überzog. Genau dies war Rubens’ Konzept. In einer Schrift „über das Kopieren von Statuen“riet er seinen Schülern, sich an antike Vorbilder zu halten, weil es heroische Männer unter den lebenden Modellen nicht mehr gäbe: alles nur gemästete Schlaffis. Die Körper dürften aber keinesfalls wie „gemalter Marmor“wirken. Und all den Medien für Fitness und Beauty versicherte Sander bei der Pressekonferenz, dass Rubens keinesfalls die weiblichen Figuren mit Orangenhaut denunziere. Wenn eine Rubensfrau ähnliche Einschläge zeige, dann sei es die Schandtat eines Restaurators, der frische Farbe zu warm aufgetragen hat.
Mit ihrer kuratorischen Souveränität und kulturhistorischen Sättigung schließt sich die Rubens-Ausstellung an die besten des Städel an. Dezidiert auch an die über Adam Elsheimer von 2006. Der aus Frankfurt stammende Maler war ebenso italiensüchtig wie der gleichaltrige Rubens, finanziell aber weniger begünstigt. Er bildete in Rom mit Rubens eine Wohngemeinschaft an der Spanischen Treppe. Sein früher Tod 1610 erschütterte Rubens. Die Ausstellung und der ebenfalls exzellente Katalog gehen auf Rubens und Elsheimer in einem eigenen Kapitel ein. Zumal der Bestand des Städel bei Elsheimer einzigartig ist.
Ausstellung: „Rubens“im Städel, Frankfurt, bis 21. Mai, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags bis 21 Uhr. Katalog bei Hirmer, 312 Seiten, 39,90 Euro. Zur Einführung stehen Begleitheft, Städel App und ein Digitorial unter rubens.staedelmuseum.de zur Verfügung.