Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Dr. Gigi“zieht 400 Zähne in zehn Tagen
Ravensburger Ärzte helfen auf Vermittlung aus Unterschwarzach in Indonesien
BAD WURZACH/ARGENBÜHL - Auf Vermittlung des in Unterschwarzach lebenden Mediziners Stephan Bago sind zwei Zahnärzte aus Ravensburg nach Indonesien gereist, um dort zu helfen. Andreas Meiß und Ina Lütkemeyer-Meiß zogen 200 Patienten mehr als 400 Zähne innerhalb von zehn Tagen.
Es gibt Menschen auf der Welt, die noch nie in ihrem Leben beim Zahnarzt waren. Weil die Bootsfahrt zur nächstgrößeren Insel Stunden dauert, sie weder Pass noch Krankenversicherung haben und die Behandlung ansonsten einen ganzen Monatslohn kosten würde.
In der Poli- und Geburtsklinik unter der Leitung von Schwester Ingeborg Meroth aus Christazhofen auf der kleinen indonesischen Insel Tello westlich von Sumatra halfen jetzt die zwei Ärzte aus Ravensburg, begleitet und unterstützt durch den Orthopäden Stephan Bago. Der promovierte Mediziner war bis 2013 im Biberacher Jordanbad tätig. Außerdem hat er 2006 den Verein Freundeskreis Indonesienhilfe gegründet, der Spenden sammelt für die Menschen auf Nias und den Batu-Inseln, zu denen Tello gehört.
Fast ihren ganzen Jahresurlaub haben die Ravensburger Mediziner für den Hilfseinsatz geopfert. Dabei war schon die Anreise abenteuerlich, denn auf einem der vielen Flüge, die zwei volle Tage dauerten, schaffte es ihr Gepäck – in dem sich neben Kleidung auch die zahnmedizinischen Geräte befanden – nicht durch den Zoll. Nur mit ihrem Handgepäck kamen der Ravensburger Kieferchirurg und seine Frau auf der Insel Nias an, wo die Franziskanerinnen von Reute eine Missionsstation führen.
Von dort ging es zwei Tage später weiter nach Tello, einem winzigen Eiland am Äquator. Dort leben 1500 Menschen verschiedener Religionen friedlich zusammen – neben Katholiken auch evangelische Christen, Muslime und Hindus. Insgesamt vier Franziskanerinnen unter der Leitung von Schwester Ingeborg Meroth aus Argenbühl-Christazhofen betreiben dort eine Poli- und Geburtsklinik, ein Mädcheninternat und einen gemischten, religionsübergreifenden Kindergarten. Außerdem gibt es dort ein Jungeninternat. „Ich bin nicht so der Überchrist, aber es ist beeindruckend, mit wie viel Herzlichkeit die Schwestern die Kinder und Mütter betreuen. Völlig egal, welcher Religion sie angehören“, sagt Meiß.
Von Tello stammt auch sein Kollege Stephan Bago, dessen Begabung in der Klosterschule auffiel. Die katholische Kirche unterstützte ihn beim Medizinstudium in Deutschland. Der 75-jährige Orthopäde wohnt mit seiner Frau Renate in Unterschwarzach und kehrt immer wieder in seine alte Heimat zurück, um Patienten in der Poliklinik zu behandeln. Er überredete die beiden Zahnärzte aus Ravensburg, mitzukommen.
Zahnpasta zu teuer
„Eigentlich wollten wir hauptsächlich Zähne versiegeln, damit sie nicht so schnell angegriffen werden“, erzählt Meiß. Aber dazu hätten sie ihr Gepäck benötigt. Zudem waren die Zähne, die sie bei ihren Patienten zu sehen bekamen, „unglaublich kaputt“. „Es gab bis auf den Zahnstumpf heruntergebrochene Gebisse“, so Meiß. Mundhygiene gibt es auf der Insel kaum. Manche verwenden hin und wieder eine alte Zahnbürste, aber Zahnpasta ist teuer. Die Ernährung – beliebt sind Tütensuppen – sei überdies total ungesund. Die Cholesterinwerte seien bei vielen zu hoch, Gicht weit verbreitet. Fast niemand kann sich eine Krankenversicherung leisten, und der Weg zum nächsten Zahnarzt führt in einem Einbaum stundenlang übers offene Meer.
In einer aufgegebenen amerikanischen Klinik fanden die Ärzte dann Zahnarztbesteck, das sich zum Teil nach der Sterilisation noch verwenden ließ. Damit zogen sie Zahn um Zahn. Nach einer Woche traf dann ein Teil des (völlig durchwühlten) Gepäcks ein, sodass die Patienten zumindest lokal betäubt oder mit Medikamenten sediert werden konnten. „Wir haben einfach das Beste draus gemacht, mit sauberen Instrumenten und Handschuhen gehaushaltet und faule Zähne gezogen. Das war nicht so heroisch wie zuvor gedacht“, sagt Ina Lütkemeyer-Meiß.
Zusammen mit Stephan Bago machte Meiß auch Hausbesuche und kümmerte sich um Kranke, deren Zähne ihr geringstes Problem waren: Ein junger Mann etwa, der die Taucherkrankheit erlitt. Dabei kollabierte eine Lunge völlig, auf der zweiten hat er Tuberkulose. Zudem ist er querschnittsgelähmt. „Trotzdem sind die Menschen dort glücklich. Der junge Mann etwa macht aus Plastikresten Taschen, um Geld zu verdienen.“
Die enorme Dankbarkeit der Menschen war für Dr. Gigi, wie die Einheimischen ihn nannten („Gigi“heißt „Zahn“), eine „unglaublich schöne Erfahrung“. Viele zogen extra ihre schönsten Kleider an, weil der Besuch beim Zahnarzt etwas Besonderes für sie war. Meiß möchte auch andere Ärzte ermutigen, dort hinzugehen. Außerdem sammelt der Freundeskreis Indonesienhilfe gerade Geld für eine mobile zahnärztliche Behandlungseinheit vor Ort.
Ärzte, die sich vorstellen können, ihren Urlaub auf Tello zu verbringen, um dort Patienten zu behandeln, können sich an Stephan Bago, Säntisstraße 36, 88410 Bad Wurzach/Unterschwarzach, wenden. Wer direkt Klinik, Bildungseinrichtungen und Kinderhäuser der Schwestern von Reute in Indonesien unterstützen möchte, kann auch die Franziskanerinnen von Reute kontaktieren.