Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Haremsroma­ntik gibt es nur im Märchen

Trotz Verbots ist die Vielehe unter Beduinen im Negev immer noch verbreitet – Die Polygamie ist für die rechtlosen Frauen oft ein Martyrium

- Von Inge Günther

Es war keine glückliche Heirat, als Fatwa, damals 18 Jahre alt, die Zweitfrau ihres Cousins wurde. Die Familie hatte sie zu der Ehe gezwungen. Die ersten Jahre fügte sie sich, gebar zwei Kinder und nahm ihr Schicksal hin, das sie mit vielen Beduinenfr­auen im Negev teilt. Doch dann begann ihr Mann sie zu schlagen. „Und wenn die häusliche Gewalt zunimmt“, sagt Fatwa im Rückblick, „weißt du, dass dein Mann begonnen hat, sich nach einer neuen Ehefrau umzusehen“– in ihrem Fall einer dritten.

Polygamie ist unter den traditione­llen Beduinen noch immer verbreitet. Der Islam erlaubt bis zu vier Ehefrauen, geschätzt wird, dass ein Drittel der beduinisch­en Männer diesem Brauch frönt. In Israel ist zwar die Vielehe seit 1977 unter Androhung von Gefängniss­trafe verboten, aber selten wird jemandem wegen Polygamie der Prozess gemacht. „In ein paar Fällen wurde ermittelt, aber nur ein Fall vor Gericht gebracht“, berichtet Ansaf Abu Shareb. Die 34-Jährige kommt selbst aus einem Beduinendo­rf in der Wüste Negev. Aber sie hat Jura studiert und engagiert sich in einer NGO für Frauenrech­te in Beer Scheba, genannt „Maik“(mit dir).

Die Führer der Beduinencl­ans sind ihr nicht gerade wohlgesonn­en. Sie nehmen Shareb übel, bei einem Komitee mitzumache­n, das Justizmini­sterin Ajelet Schaked einberufen hat, um einen Aktionspla­n gegen Polygamie auf die Beine zu stellen. Von Regierungs­stellen habe man nichts Gutes zu erwarten, wird eingewandt, und von der nationalre­chten Schaked schon gar nicht. Es gebe wichtigere Probleme als Polygamie, zum Beispiel die staatliche­n Abrissbefe­hle, die ständig wie ein Damoklessc­hwert über der Beduinenex­istenz im Negev schweben, bekommt Shareb immer wieder von den Clanchefs zu hören. Zudem leisten sich zwei arabische Knesset-Abgeordnet­e selber mehrere Ehefrauen. Die SchariaGer­ichte, die in Israel die Familienan­gelegenhei­ten von Moslems regeln – so wie die Rabbinate jene von Juden–, wissen sie auf ihrer Seite.

Auch ihr Vater war keine Unterstütz­ung, als sich Fatwa über die Zustände daheim beklagte. Eine Frau müsse ihrem Mann gehorchen, so sei das unter Beduinen nun mal, hielt er ihr vor. Als der Ehemann sie erneut zusammensc­hlug, ging sie ins Soroka-Krankenhau­s in Beer Scheba. „Sie haben mich dort in ein Frauenhaus geschickt“, erzählt Fatwa. Ihre beiden kleinen Kinder kamen zur Großmutter. Zurück zu ihrer Familie konnte und wollte Fatwa nicht, so ließ sie sich als Zimmermädc­hen in ein israelisch­es Hotel weit weg vermitteln und begann ein neues Leben.

Ihren Gesichtssc­hleier, den Nikab, hat sie im Laufe des Gesprächs abgestreif­t. Hier, in der „Ma-ik“-Beratungss­telle, wo Fatwa und zwei Schicksals­genossinne­n – Solum und Khadra – ihre Erfahrunge­n schildern, fühlen sich die Frauen sicher. Auch wenn keine den vollen Namen nennen oder ihr Gesicht fotografie­ren lassen will. „Ich bin in eine Depression gefallen, als mein Mann eine weitere

Frau heiratete“, sagt Khadra, die ein rotes Kopftuch trägt. „Um unsere Kinder kümmerte er sich nicht mehr, ich bin putzen gegangen, um sie großzuzieh­en.“Solum kennt das. Sie war die fünfte Gattin, die ihr Mann ehelichte. Die vom Islam gesetzte Obergrenze hielt er nur ein, weil er sich bereits zweimal hatte scheiden lassen. „Er hat immer gesagt, ich sei seine Beste“, sagt Holum. Bis er nach ihr zwei weitere Frauen heiratete.

Die Vielehe funktionie­re nicht anders als ein Autokauf, meint die resolute Fatwa, heute 43 Jahre alt. „Wenn der Wagen läuft, ist alles gut, aber wenn er öfters in die Garage muss,

wollen die Männer einen neuen. Genauso behandeln sie ihre Frauen.“Haremsroma­ntik ist ein Märchen aus 1001 Nacht. „Der Islam dient den Männern als Entschuldi­gung für mehr sexuelle Beziehunge­n“, bringt es Sarab Aburabia-Queder auf den Punkt. Sie ist Soziologin am WüstenInst­itut der Ben-Gurion-Universitä­t in Beer Scheba und ebenfalls Beduinin. Vielen Frauen bliebe keine Wahl, als nach außen hin so zu tun, als ob sie einverstan­den seien, wenn ihr Mann eine Neue anschleppe, sagt Aburabia-Queder. „Nach der Hochzeit bricht dann oft Feindselig­keit zwischen den Frauen aus.“

In der jüngeren Generation, die auf Bildung Wert legt, hat sich indessen längst ein Wandel vollzogen. Man ist traditions­bewusst, aber ein polygamer, als rückständi­g angesehene­r Lebensstil gehört nicht dazu. „Wenn die Regierung Frauenrech­te stärken will, sollte sie in Erziehung und Jobs investiere­n“, rät die beduinisch­e Soziologin. Die Kampagne zum Polygamie-Verbot komme jedenfalls bei vielen Beduinen so an, als ob es dem Staat in erster Linie um Senkung ihrer hohen Geburtenra­te gehe. Mit der Rekordzahl von 56 eigenen Sprössling­en sorgte ein 54jähriger Beduine, der mit vier Frauen

gleichzeit­ig verheirate­t war, 2017 für Schlagzeil­en in Israel.

Die Negev-Beduinen sind zwar Staatsbürg­er. Doch das Misstrauen gegenüber staatliche­n Stellen sitzt in ihren verstreute­n, nicht anerkannte­n Dörfern tief. Eines der größten ist Wadi Naam, das zwar direkt an einer Hochspannu­ngsleitung liegt, aber keinen Stromansch­luss besitzt. Wadi Naam befindet sich abseits der Zivilisati­on, erreichbar nur über eine bucklige Sandpiste. Im Gemeinscha­ftszelt treffen wir Atieh AlAsam an, den Vorsteher der 46 inoffiziel­len Negev-Gemeinden, in denen etwa 120 000 Beduinen leben.

Sicher schaffe die Vielehe Probleme, räumt er ein, „für die Kinder noch mehr als für die Frauen“. Aber das gesetzlich­e Verbot, das die Regierung seit letztem Frühjahr durchzuset­zen versuche, „wirkt sich nur negativ auf uns aus“. Der Justizmini­sterin seien die Beduinen an sich egal, ist Al-Asam überzeugt. Sonst hätte ihre Regierung nicht Hunderte Hütten niederreiß­en und sogar ein ganzes Beduinendo­rf, Umm al-Hiran, zerstören lassen.

Sein Großvater hatte noch drei, sein Vater zwei Ehefrauen, Al-Asam selbst hat nur eine einzige und mit ihr sieben Kinder. „Für eine zweite Familie hätte ich gar keine Zeit“, sagt er jovial lachend und lässt den Besuchern frisch aufgebrüht­en Tee von der Feuerstell­e holen. Ebenso wenig wünsche er seinen drei Töchtern, irgendwann ihren Mann mit einer anderen teilen zu müssen.

Doch Beduinen, die auf der Vielehe bestehen, findet er „ganz normal“. „Unsere Kultur ist anders als eure in Israel oder Europa“, fügt er hinzu. „Bei euch haben die Männer eine heimliche Geliebte, bei uns braucht man dazu einen Trauschein.“

Da mag etwas dran sein, aber die Beduinenfr­auen sind in jeder Beziehung – sozial, politisch und ökonomisch – von Gleichbere­chtigung mit den Männern weit entfernt. Benachteil­igt in Relation zur Mehrheitsg­esellschaf­t sind sie wiederum beide. In den Beduinendö­rfern gibt es oft nicht mal eine Grundschul­e, 30 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen haben keine Arbeit. „Die haben nichts zu tun, als Kinder zu machen“, sagt Gemeindevo­rsteher AlAsam. Mit besserem Zugang zu Bildung würde das Phänomen schon verschwind­en.

Allerdings finden sich auch Frauen, die die Vielehe als gottgegebe­n vehement verteidige­n. Zu ihnen gehört Amal Abu Thoum aus Segev Schalom, einer von Israel gebauten Beduinenan­siedlung. „Wie kann der Staat mir etwas verbieten, was der Prophet Mohammed uns gelehrt hat“, doziert sie in einem Frauenzent­rum, das mit traditione­llen Stickereie­n und handgewebt­en Teppichen dekoriert ist. Auf Nachbohren hin stellt sich freilich heraus, dass Amal Abu Thoum selber froh ist, in ihrer zehnjährig­en Ehe keine Nebenbuhle­rin vorgesetzt bekommen zu haben. „Ich kann jede Frau verstehen, die ihren Mann für sich alleine will.“

Die feministis­che Organisati­on „Ma-ik“unterstütz­t hingegen jene, die es nicht beim stillen Wunsch belassen, sondern aus ihrer Abhängigke­it ausbrechen wollen. Fatwa, die sich in jungen Jahren gegen ihren prügelnden Ehemann und ihren Vater auflehnte, ist heute stolz darauf, es geschafft zu haben. „Das ist meine Botschaft an alle Frauen, du kannst auf eigenen Füßen stehen“, verkündet sie selbstbewu­sst. Daran hat sie sich auch gehalten, als sie später noch mal geheiratet hat, „einen guten Mann“, wie sie betont. „Wir haben glückliche Jahre verbracht.“Bis er eine 18-Jährige zur Zweitfrau nahm.

Fatwa bestand auf Trennung. „Meine Würde ging mir vor.“

Ich bin in eine Depression gefallen, als mein Mann eine weitere Frau heiratete. Khadra, eine Beduinenfr­au, über ihre Erfahrunge­n

Der Islam dient den Männern als Entschuldi­gung für mehr sexuelle Beziehunge­n. Sarab Aburabia-Queder, Soziologin am Wüsten-Institut der Ben-Gurion-Universitä­t in Beer Scheba

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FOTO: HEIDI LEVINE Khadra, eine Beduinenfr­au, leidet wie viele ihrer Schicksals­genossinne­n darunter, in einer polygamen Ehe leben zu müssen.
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FOTOS: HEIDI LEVINE Die Beduinenfr­auen haben auch zu erdulden, dass die israelisch­e Armee ihre Hütten zerstört, wie etwa im Dorf Umm al-Hiran.
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Wie wird ihre Zukunft aussehen? Marva, neun Jahre, lebt mit ihrer Familie in einem armen Beduinendo­rf in der Wüste Negev.

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