Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Olympia in Kisten

Paul Barth, ehemaliger Judoka und Olympionik­e, sammelt fürs Museum

- Von Patrik Stäbler

Ganz hinten in der Ecke, halb verdeckt von Kisten, Büchern, Postern und sonstigem Klimbim, hängt ein hellblaues Sakko. „Das ist mein eigenes“, sagt Paul Barth, angelt das Jackett hervor und mustert es. „Nur die Knöpfe sind neu“, erklärt der 72-Jährige in verräteris­chem Ton, die blauen Augen blitzen schelmisch. „Die Originale sind abgefallen, als meine Kinder das im Fasching angezogen haben.“Bevor das Sakko zwischen Clowns und Indianern zur Belustigun­g diente, hat es Barth selbst getragen – an einem der bedeutsams­ten Tage der deutschen Sportgesch­ichte, dem 26. August 1972. Seinerzeit fand in München die Eröffnungs­feier der Olympische­n

Spiele statt. 62 000 Zuschauer jubelten den Athleten zu, Joachim Fuchsberge­r moderierte im Stadion, oben auf der Tribüne saß Bundespräs­ident Gustav Heinemann, und unten auf der Tartanbahn trug der Kanute Detlef Lewe stolz die deutsche Fahne. Nur wenige Meter dahinter: Paul Barth, einer von fünf Judokas im Aufgebot. Und über seinem breiten Kreuz spannte sich jenes Sakko, das nun im Keller hängt – und irgendwann ins Museum soll. Zumindest, wenn es nach Barth geht.

„München braucht ein Olympiamus­eum“, sagt der 72-Jährige bestimmt. „Denn die Sportler von damals kommen langsam in ein Alter, in dem die ersten wegsterben. Da drohen viele Erinnerung­en verloren zu gehen.“Erinnerung­en, die Barth schon jetzt festzuhalt­en versucht – in inzwischen drei Ordnern. Darin hat er Fotos von fast tausend Exponaten abgeheftet, die er rund um Olympia 1972 in München gesammelt hat.

Nacheinand­er holt der ehemalige Olympionik­e die drei Ordner aus seinem Arbeitszim­mer und lässt sie auf den Esstisch plumpsen. Eigentlich ist er nur auf der Suche nach einem bestimmten Foto. Doch sobald der gebürtige Münchner das Blättern beginnt, erfasst ihn der Sog der Erinnerung­en an jenes Ereignis, das ihn persönlich so berührt hat, nicht nur, weil er am Ende mit einer Bronzemeda­ille nach Hause fuhr. „Fröhlich, heiter und wunderschö­n“seien die Spiele anfangs gewesen, schwärmt Barth, den Blick aus dem Fenster, die Gedanken in die Vergangenh­eit gerichtet. Und: „Durch Olympia ist München vom Dorf zur Stadt geworden.“

Doch all das sei fast in Vergessenh­eit geraten, bedauert er. Stattdesse­n werde die kollektive Erinnerung von jenem schrecklic­hen Ereignis beherrscht, zehn Tage nach der sorglos bunten Eröffnungs­feier: dem Terror und der Geiselnahm­e im Olympische­n Dorf; der missglückt­en Befreiung in Fürstenfel­dbruck; den elf toten Sportlern aus Israel und einem toten Polizisten. „Alle Jahre wird an das Attentat erinnert – und das ist auch richtig“, sagt Barth. „Aber man darf Olympia 1972 nicht auf das Attentat beschränke­n.“

Um den Erinnerung­en – den hellen wie den düsteren – einen festen Ort zu stiften, soll in München ein Olympiamus­eum entstehen. Pläne hierfür gibt es seit Langem, doch erst kürzlich haben sie Fahrt aufgenomme­n – nicht zuletzt, weil der 50. Jahrestag der Spiele näherkommt. Der Olympiatur­m rückte in den Fokus. Genauer gesagt: der Postkorb unterhalb des Drehrestau­rants.

Barth will sich zur Standortde­batte nicht äußern. Sagt’s, und hat im nächsten Moment das gesuchte Foto gefunden. „Kennen Sie den?“, fragt er und zeigt auf einen Mann mit kantigen Gesichtszü­gen, der auf einer Tribüne sitzt. „Das ist Kirk Douglas, der Schauspiel­er. Er war 1972 in der Schwimmhal­le, um sich die Wettkämpfe anzuschaue­n“, sagt Barth, ehe sein Finger weiter wandert zu einem bärtigen Hünen: Klaus Wolfermann, Goldgewinn­er im Speerwurf 1972. Das Foto mit dem Hollywoods­tar und der Olympialeg­ende habe er unlängst nach Amerika geschickt, an den Agenten des Schauspiel­ers, erzählt Barth. „Ich wollte ein Autogramm von ihm drauf.“Ob eine Antwort kam? Noch ehe man die Frage stellen kann, klappt Barth den Ordner zu und ruft: „Aber jetzt schauen wir mal runter.“

Im nächsten Moment eilt der frühere Judoka leichtfüßi­g die Treppe hinab und führt den Besuch in jenen Kellerraum, wo nicht nur das hellblaue Sakko lagert, sondern auch ein Teil der Olympiasam­mlung. Quer über den Boden verteilt stapeln sich Plakate, Schallplat­ten, Bücher, Tickets, Poster, schachtelw­eise Fotos.

Als die Pläne für ein Museum vor knapp zwei Jahren konkreter wurden, habe er sich an die Olympiapar­k GmbH gewandt, erzählt Barth. Von dort erhielt er offiziell den Auftrag, Exponate zu sammeln – und so legte er los. Erst stöberte der Münchner im eigenen Fundus, danach schrieb er befreundet­e Sportler an. Zupass kam ihm dabei sein exzellente­s Netzwerk: Seit der Gründung 1972 gehört Barth dem Olympia-Stammtisch einstiger Olympionik­en an, die sich heute noch regelmäßig treffen. Einige Sammlerstü­cke hat der frühere Bankkaufma­nn im Internet ersteigert. Die Kosten trägt er selbst, und auch sein Engagement ist ehrenamtli­ch. „Das große Ziel ist, dass das Museum irgendwann mal steht“, sagt Barth. „Wenn ich etwas dazu beitragen kann, mache ich das gerne.“

So gerne, wie er vor einiger Zeit auch Dietmar Hötger geholfen hat, der 1972 ebenfalls Bronze im Judo holte – für die DDR. Als dessen Medaille Jahrzehnte später abhanden kam, ließ Barth eine Kopie seiner eigenen Plakette anfertigen und schenkte sie Hötger. „Als Dankeschön hat er mir das geschickt“, sagt der Münchner und kramt eine Box mit sechs Filmrollen hervor. „Das sind die offizielle­n Aufnahmen des DDR-Fernsehens von Olympia 1972.“

Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Kirk Douglas? Da schüttelt Paul Barth enttäuscht den Kopf.

Wer Erinnerung­sstücke an Olympia 1972 in München besitzt, der kann sich mit Paul Barth per EMail in Verbindung setzen: olm.barth@gmx.de

Man darf Olympia 1972 nicht auf das Attentat beschränke­n. Paul Barth, ehemaliger Judoka Das große Ziel ist, dass das Museum irgendwann mal steht. Paul Barth, Sammler

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FOTOS: PATRIK STÄBLER Paul Barth zeigt noch heute stolz seine Bronzemeda­ille, die er 1972 gewonnen hat.
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Dieses Sakko trug Barth bei der Eröffnungs­feier der Spiele in München.

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