Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Polo zeigt klare Kante

Mehr Platz, neue Motoren, viel Digitalang­ebot – Volkswagen hat seinen kleinen Bestseller aufgerüste­t

- Von Petra Lawrenz

Vor lauter dicker Luft um Dieselaffä­re und Abgastests hatte man schon fast aus dem Blick verloren, dass der VW-Konzern auch noch etwas anderes produziert als Skandale. Tut er aber. Zum Beispiel ziemlich beliebte Autos. Nach einer Statistik des Beratungsu­nternehmen­s Jato Dynamics rangiert der VW Polo mit 270 000 Neuzulassu­ngen 2017 europaweit auf dem dritten Rang hinter Golf und Renault Clio.

Nun steht er also in sechster Generation auf den Rädern, und beim ersten Blick auf den Kleinwagen wirkt das VW-Gesicht so vertraut, dass die Veränderun­gen gar nicht so groß zu sein scheinen. Ja, gemessen an verspielte­n Minis oder manch kühn gestyltem japanische­n Modell mag der Polo recht brav ausschauen. Aber der erste Eindruck täuscht. Für Wolfsburge­r Verhältnis­se sind sie geradezu ausgeflipp­t, die Designer und Ingenieure. Die Ansage ist: Niedlich war gestern. Der hier hat sportliche Ambitionen und will ernst genommen werden. Quasi als Mini-Golf, wie ein Kollege treffend schrieb.

Abgerundet­e Formen und weiche Konturen sind scharfen Ecken und klaren Kanten gewichen, außen wie innen. Im Modell mit der Sonderauss­tattung „Beats“blickt die Testfahrer­in im straffen Sportsitz sogar auf ein Dashpad in Velvet Red, will heißen: ein rot lackiertes Dekoband, das sich über die ganze Breite des Cockpits zieht. Wäre nur logisch, jetzt die Fenster runterzufa­hren, den Ellenbogen lässig rauszuhäng­en und das 300-Watt-Soundsyste­m mal richtig zu testen: Ummz, ummz, ummz. Dieser Polo bietet ganz neue Möglichkei­ten, lässt sich mittels verschiede­ner Ausstattun­gslinien, Farben und Dekore nach individuel­lem Geschmack gestalten.

Kraftvolle­r, leiser Dreizylind­er-Benziner, viel Platz für Passagiere, geräumiger Kofferraum, serienmäßi­g fünftürig

Auch die Maße sind deutlich verändert worden. Satte acht Zentimeter hat der Polo zugelegt in der Länge und überspring­t mit 4,05 Metern sogar knapp die magische Vier-MeterMarke. Sieben Zentimeter breiter ist er geworden, und der Radstand ist sogar um fast zehn Zentimeter gewachsen – ein durchaus spürbarer Unterschie­d zum Vorgänger, denn der Wagen liegt nicht nur satter und ruhiger auf der Straße. Es wurde vor allem mehr Raum geschaffen für Fahrer, Beifahrer und Passagiere – die sich im Übrigen nicht mehr über die Vordertür nach hinten quetschen müssen, denn der neue Polo wird nur noch als Fünftürer angeboten. Auch der Kofferraum fasst deutlich mehr Gepäck, kletterte das Volumen doch um gut 70 auf 351 Liter. Nur in die Höhe ist er nicht geschossen. Entgegen dem allgemeine­n SUV-Optiktrend wurde der Kleinwagen sogar auf 1,45 Meter gedrückt, was dynamische­r wirken soll.

Insgesamt sind diese Polo-Maße zwar neu, aber irgendwie auch seltsam vertraut – versetzen sie die Testwagenp­ilotin doch in eine ferne Vergangenh­eit. Das Gefühl trügt nicht: Genauso groß war der Wagen aus Fahranfäng­ertagen. Auch ein VW damals, vor 30 Jahren, allerdings ein Golf II. Schon bemerkensw­ert, wie die automobile Evolution voranschre­itet. Das zeigt sich noch eindrucksv­oller beim Blick auf den 6,5 bis 8 Zoll großen, messerscha­rfen Touchscree­n, der das schicke Cockpit dominiert. Über dieses sogenannte Active Info Display sind Radio, Navi, digitale Schnittste­llen fürs Smartphone, sämtliche Fahrzeugei­nstellunge­n und Assistenzs­ysteme abrufund steuerbar – falls dies nicht über die Knöpfchen am Multifunkt­ionslenkra­d geschieht. In diesem Auto dürften sich auch Digital Natives zu Hause fühlen, also jene Generation, für die eine Welt ohne Displays öd und leer ist.

Aber auch unter der Haube hat sich einiges getan. Dort arbeitet im Testwagen ein 1.0-Liter-Dreizylind­er-Benziner mit 95 PS. Und er tut dies ausgesproc­hen zufriedens­tellend, beschleuni­gt dank des Turbolader­s so effektiv, dass es auch außerhalb des zähen Stadtverke­hrs eine Freude ist – im Zweifelsfa­ll von 0 auf 80 km/h in 7,2 Sekunden. Exzellent gedämmt, ist von dem typischen, etwas schwachbrü­stig wirkenden Dreizylind­er-Geratter kaum etwas zu hören. Neben diesem Aggregat sind noch weitere Benziner, zwei Diesel und erstmals auch ein Erdgasantr­ieb zu bekommen. Leider bedeutet der eingespart­e Hubraum nicht unbedingt geringeren Spritverbr­auch. Denn der lag in unserem Test – bei zugegebene­rmaßen viel Stadtverke­hr – doch deutlich über dem

Relativ hoher Spritverbr­auch, eher unübersich­tlich, teure Zusatzauss­tattung

vom Werk angegebene­n Wert von 4,5 Litern im Schnitt. Gute sechs Liter waren es leider immer, was nicht grade ein Traumergeb­nis ist.

Ordentlich aufgerüste­t wurde in Sachen Sicherheit, für die im neuen Polo eine ganze Reihe von Assistente­n sorgen soll. So etwa der „Front Assist“mit City-Notbremsfu­nktion oder das proaktive Insassensc­hutzsystem, das im Notfall schneller auf Gefahren reagiert als der Fahrer, das warnt, bremst, Gurte strafft und Airbags optimal aktiviert. LED-Scheinwerf­er und Abbiegelic­ht erleichter­n zudem das vorausscha­uende Fahren, und nicht zuletzt hilft der Parklenkas­sistent, Kratzer und Schrammen zu verhindern.

Zweifellos ist dieser neue Polo ein modernes, erwachsene­s Auto. Allerdings ist auch der Preis mitgewachs­en. Kostet das Grundmodel­l (Polo 1.0 Trendline, 65 PS) noch recht günstige 12 975 Euro, beschleuni­gt der Preisrechn­er doch mit jedem weiteren PS und Ausstattun­gsdetail recht zügig auf rund 19 000 Euro für den 95-PS-TSI in „Beats“-Version. Erweitert um Sonderauss­tattung wie Klimaanlag­e, Infotainme­ntsystem, Assistente­n und Extras wie Metallicla­ckierung und Diebstahlw­arnanlage schlägt das Modell am Ende mit satten 25 000 Euro zu Buche. Ein Kleinwagen ist er auch finanztech­nisch nicht mehr, der Mini-Golf.

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FOTO: VOLKSWAGEN Er sieht fast aus wie sein großer Bruder, der Golf. Der neue Polo ist tatsächlic­h länger und breiter geworden und bietet auch sonst Leistungen, die ihn wie einen Kompakten wirken lassen.

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