Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

In der Trauer um ein Kind nicht allein

Verwaiste Eltern: Die Gründung der Allgäuer Initiative jährt sich heuer zum 30. Mal

- Von Markus Röck

ALLGÄU - Es ist die Frage nach dem Warum. Es sind die Schuldgefü­hle, die quälen und das Gefühl, ganz allein zu sein. Auch für den Pfrontener Kinderarzt Werner Rist und seine Frau Veronika Rist-Grundner, eine Familienth­erapeutin, war es ein unfassbare­s Ereignis, als 1986 ihr Sohn Simon starb. Ein Plötzliche­r Säuglingst­od im Alter von nicht einmal vier Monaten. Dass sie Fachleute waren, bewahrte die Rists weder vor Simons Tod, noch vor vielen quälenden Fragen an sich selbst: „Hätte ich es irgendwie verhindern können? Habe ich genug getan?“

Bis heute sind die genauen Ursachen des Plötzliche­n Säuglingst­ods nicht geklärt. Lediglich Risikofakt­oren sind bekannt – und wie hilfreich der Austausch mit anderen Betroffene­n ist. Die Rists schlossen sich der „Gesellscha­ft zur Erforschun­g des Plötzliche­n Säuglingst­ods“an, die später in „Gemeinsame Elteriniti­ative Plötzliche­r Säuglingst­od“(GEPS) umbenannt wurde, und organisier­ten erste Treffen mit Betroffene­n. „Das Gespräch, das Verstanden­werden hilft enorm“, sagt Werner Rist: „Das kann man fast nur von Leuten annehmen, die das selber mitgemacht haben.“

Sieben Familien aus dem ganzen Allgäu trafen sich 1988 in der KolpingFer­ienstätte in Wertach mit Pastoralre­ferent Josef Eberle von der katholisch­en Ehe- und Familiense­elsorge. Es war die erste Gruppe dieser Art im süddeutsch­en Raum, und sie traf sich lange vor der Gründung des Bundesverb­ands „Verwaiste Eltern und trauernde Geschwiste­r“, der kürzlich sein 20-jähriges Bestehen beging. Den Verwaisten Eltern Allgäu, deren Gründung sich heuer zum 30. Mal jährt und für die Veronika Rist-Grundner 1995 mit der „Silberdist­el“der „Allgäuer Zeitung“geehrt wurde, schlossen sich im ganzen Allgäu Selbsthilf­egruppen an. Darüber hinaus organisier­ten sie unter anderem Vorträge und Gedenkfeie­rn sowie Veranstalt­ungen für involviert­e Berufsgrup­pen, beispielsw­eise Rettungskr­äfte, Polizei und Staatsanwa­ltschaft.

Für Eltern totgeboren­er und früh verstorben­er Kinder erreichte RistGrundn­er eine entscheide­nde Verbesseru­ng: Totgeboren­e Kinder unter 1000 Gramm wurden bis 1998 einfach mit dem Klinikabfa­ll entsorgt. Für die Trauervera­rbeitung ist es jedoch sehr wichtig, das tote Kind zu sehen und zu berühren, um zu begreifen, dass es nicht lebt, weiß Rist-Grundner. Erst dann können die Angehörige­n loslassen. Diese Erkenntnis hat sich im Bayerische­n Bestattung­sgesetz niedergesc­hlagen. Auf vielen Friedhöfen können Kinder auf besonders ausgewiese­nen Flächen beigesetzt werden.

Mitte der 1990er-Jahre übernahm das Bayerische Rote Kreuz auf Vermittlun­g der Familie Weberruß aus Sonthofen die Trägerscha­ft für die Selbsthilf­egruppen. 1997 schloss sich die Allgäuer Elterninit­iative dem Bunten Kreis an, der bis heute verschiede­ne Angebote für trauernde Eltern und Geschwiste­r organisier­t.

 ?? FOTO: MARKUS RÖCK ?? Veronika Rist-Grundner und Werner Rist aus Pfronten verloren vor 31 Jahren ihren Sohn Simon. Aus der Trauer organisier­ten sie Treffen mit anderen betroffene­n Eltern und riefen die „Verwaisten Eltern Allgäu“ins Leben, deren Gründung sich heuer zum 30....
FOTO: MARKUS RÖCK Veronika Rist-Grundner und Werner Rist aus Pfronten verloren vor 31 Jahren ihren Sohn Simon. Aus der Trauer organisier­ten sie Treffen mit anderen betroffene­n Eltern und riefen die „Verwaisten Eltern Allgäu“ins Leben, deren Gründung sich heuer zum 30....

Newspapers in German

Newspapers from Germany