Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Auf der einen Seite die Ehrenamtlichen zu loben und ihnen dann immer wieder die Arbeit zu erschweren, das passt nicht.“
Zwischen Lob und Flaschenwürfen: Treffpunkt Asyl arbeitet für „wertvolle Menschen“
Peter Sellmayr, Vorsitzender des Vereins Treffpunkt Asyl in Bad Wurzach.
BAD WURZACH - „Wir sind weg vom Sprint, nun sind wir auf der Marathonstrecke.“Mehr als zwei Jahre nach der großen Flüchtlingsankunft ziehen Vereinsvorsitzender Peter Sellmayr und dessen Stellvertreterin Murielle Willburger vom Bad Wurzacher Treffpunkt Asyl e.V. im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“eine Zwischenbilanz. Sie sparen dabei nicht mit Kritik an den Behörden und der Politik, heben aber auch Positives hervor.
„Organisieren mit viel Improvisation. Die ärgste Not lindern, die Menschen beschäftigen.“So beschreibt Murielle Willburger den „Sprint“. „Jetzt geht’s darum, die Menschen in Arbeit zu bringen, sie bei rechtlichen Fragen zu unterstützen, sie zu Anhörungsterminen zu begleiten.“Dieses Anhörungsverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf ) gehört zu den Dingen, die die Helfer des Treffpunkt Asyl in Rage bringen. „Zum Teil muss man bis zu viermal zu den Terminen nach Karlsruhe oder Sigmaringen fahren, bis er wirklich stattfindet. Das zermürbt die Menschen zusätzlich.“
„Die Arbeit des Bamf hinterfragen“
Und hat die Anhörung dann tatsächlich stattgefunden, dann vergingen oft Monate, bis der Bescheid eintrifft, so Sellmayr weiter. „Das läuft anders als versprochen, da geht viel Motivation beiderseits verloren. Und wenn dann 40 Prozent der Einsprüche gegen negative Bamf-Bescheide vor Gericht Erfolg haben, muss man die Arbeit dieses Amts auch hinterfragen“, sagt Sellmayr. „Durch diese Verfahren gehen unsere Steuergelder drauf, die für Integration und Sprachförderung besser angelegt wären.“
Erschwerend kommt für ihn hinzu, dass bei Menschen mit dem Status einer Duldung oder einer erneut verfügten Duldung, „das heißt nichts anderes als eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“eine bereits erteilte Arbeitserlaubnis wieder entzogen bekommen. „Nur diejenigen, die schon eine Arbeit haben oder in einem anerkannten Ausbildungsverhältnis stehen, dürfen diese zunächst behalten. Hier werden behördliche Verfahrensweisen und Kannbestimmungen zunehmend anders und verschärft ausgelegt und angewandt“, kritisiert Sellmayr.
„Kaufmännisch nicht sinnvoll“
„Das ist doch auch rein kaufmännisch nicht sinnvoll. Zumal die, die Arbeit oder Ausbildung haben oder wollen, doch die sind, die bemüht sind und was auf der Pfanne haben.“
„Auf der einen Seite die Ehrenamtlichen zu loben und ihnen dann immer wieder die Arbeit zu erschweren, das passt nicht“, so Sellmayrs Fazit.
„Kontraproduktiv“ist für ihn auch das „Pingpong der Zuständigkeiten“in Sachen Unterkunft. Der Kreis ist für die Erstunterbringung, die Stadt für die Anschlussunterbringung verantwortlich. Der Großteil der Flüchtlinge in der Stadt fällt damit nun in die Zuständigkeit der Kommune. „Ihre Bemühungen sind vorbildlich“, lobt Sellmayr ausdrücklich das Rathaus. „Hier merkt man das Bemühen und das Wollen.“
Doch Wohnraum ist knapp, und so leben zum Beispiel 16 Männer in der Containeranlage an der Leutkircher Straße. „Die ist verratzt. ZweiBett-Zimmer, insgesamt zwei Duschen, zwei Toiletten und sechs kleine Waschbecken, kein Gemeinschaftsraum, einfach ein katastrophaler Zustand. Wenn dort jemand Besuch bekommt, sitzt der bei ihm auf dem Bett“, so Sellmayr.
„Und auf der anderen Seite steht die relativ neue und gut in Schuss befindliche Anlage am Hallenbad frei. Aber die gehört halt dem Landratsamt. Und das hat es auch geschafft, ausgerechnet in Hauerz Mütter mit Neugeborenen und Hochschwangere einzuquartieren. Dort kommen die Ehrenamtlichen mit dem Fahrdienst zu Ärzten und Hebammen kaum hinterher.“
Kooperation mit der Caritas
Die Menschen in menschenwürdige Unterkünfte zu bekommen, hat sich der Asylkreis daher auch zur Aufgabe gemacht. Er setzt dabei auch auf die Zusammenarbeit mit der Caritas Bodensee-Oberschwaben. Sie hat das Projekt „herein“initiiert, bei dem die katholische Organisation als Mieter und Begleiter auftritt. „Viele wollen nicht an Flüchtlinge vermieten, auch aus Angst vor Mietausfällen. Mit dem Caritas-Projekt hoffen wir, dass sich zusätzlicher, bislang ungenutzter Wohnraum auftut“, sagt Sellmayr.
Dass angesichts der allgemeinen Wohnungsknappheit Flüchtlinge und sozial Bedürftige gegeneinander ausgespielt werden, bezeichnet Sellmayr dabei als „perfide“. „Dass Wohnraum fehlt, ist nicht den Flüchtlingen geschuldet. Diese Misere ist einer verfehlten Wohnungsbaupolitik geschuldet, die schon 1990 begann. Verglichen mit damals gibt es heute in Deutschland 60 Prozent weniger Sozialwohnungen.“
Nicht zuletzt wegen all dieser Probleme ist die Zahl an Ehrenamtlichen im Asylkreis zurückgegangen. Während des beschwerlichen Marathons reduzierte sich die Zahl von 60 auf 30. „Diese Zahl ist aber seit einem Jahr konstant“, freut sich Murielle Willburger. Neue Mitstreiter sind sehr gern gesehen. „Auf je mehr Schultern sich die Last verteilt, desto weniger muss der einzelne tragen.“
Ebenfalls zurückgegangen ist zu ihrem Bedauern der Besuch des Kulturcafés. Das findet immer am zweiten Mittwoch des Monats ab 18 Uhr in der Mensa des Salvatorkollegs statt (das nächste Mal am 14. März). Ein Ort der Begegnung, des Kennenlernens und des Gesprächs, um einander besser zu verstehen und um kulturelle Grenzen zu überwinden, das soll das Kulturcafé sein. „Diesem Anspruch wird es leider nicht mehr gerecht, seit Interesse und Neugier auf Seiten der Bad Wurzacher nachgelassen haben“, sagt Willburger.
Gleichwohl sei das Kulturcafé auch „ein Stück Erfolgsgeschichte“, weil es immer noch für die Flüchtlinge ein wichtiger Ort des Austauschs sei.
Dass wieder mehr Einheimische für ein oder zwei Stunden den Weg in die Mensa finden, wünschen sich die Ehrenamtlichen sehr. Auch um eines festzustellen: Die Flüchtlinge, über die oft geredet, mit denen aber wenig geredet wird, „sind Menschen aus Fleisch und Blut, die dabeisein, dazugehören wollen“, so Murielle Willburger. „Es sind wertvolle Menschen, sehr offen, trotz ihrer Lage oft fröhlich und voller Urvertrauen.“
„Aufs Übelste beschimpft“
Nicht immer stoßen diese Menschen und ihre ehrenamtlichen Helfer aber auf Wohlwollen. Und nicht immer bleibt es dann bei bösen Blicken und Beleidigungen, wie Murielle Willburger selbst erfahren musste. „Ich wurde auch schon einmal angegriffen ,als ich mit drei Afrikanern abends durch die Stadt ging“, erzählt Murielle Willburger. „Betrunkene bewarfen uns mit Flaschen und Gläsern, ich wurde aufs Übelste beschimpft und bedroht, und mir wurde gesagt, ich gehöre verbrannt.“
„Bad Wurzach ist ein Spiegel unserer Gesellschaft“, sagt Sellmayr. „Unsere Stadt ist keine heile Welt. Es gibt diese Blicke, diese bösen Worte, sogar diese Angriffe. Es werden Neiddebatten geführt, Schwarze erhalten keine Wohnung, lieber lässt man sie leerstehen.“
Aber es gebe auch die andere Seite. „Wir haben, verglichen mit anderen Regionen, hier Ruhe. Es gibt die Toleranz. Da haben wir Glück, aber wir müssen aufpassen, dass das nicht vergiftet wird.“
Die Gesellschaft dürfe den Solidaritätsgedanken nicht hintanstellen, mahnt Sellmayr. „Der, der mehr hat, ist stets auch verantwortlich für die Schwächeren, egal woher diese kommen. Diese Verantwortung dürfen wir nicht gänzlich an Staat und Organisationen abschieben. Solidarität ist die Grundlage für unser friedliches Zusammenleben, dies dürfen wir nicht verlernen.“