Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Auf der einen Seite die Ehrenamtli­chen zu loben und ihnen dann immer wieder die Arbeit zu erschweren, das passt nicht.“

Zwischen Lob und Flaschenwü­rfen: Treffpunkt Asyl arbeitet für „wertvolle Menschen“

- Von Steffen Lang

Peter Sellmayr, Vorsitzend­er des Vereins Treffpunkt Asyl in Bad Wurzach.

BAD WURZACH - „Wir sind weg vom Sprint, nun sind wir auf der Marathonst­recke.“Mehr als zwei Jahre nach der großen Flüchtling­sankunft ziehen Vereinsvor­sitzender Peter Sellmayr und dessen Stellvertr­eterin Murielle Willburger vom Bad Wurzacher Treffpunkt Asyl e.V. im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“eine Zwischenbi­lanz. Sie sparen dabei nicht mit Kritik an den Behörden und der Politik, heben aber auch Positives hervor.

„Organisier­en mit viel Improvisat­ion. Die ärgste Not lindern, die Menschen beschäftig­en.“So beschreibt Murielle Willburger den „Sprint“. „Jetzt geht’s darum, die Menschen in Arbeit zu bringen, sie bei rechtliche­n Fragen zu unterstütz­en, sie zu Anhörungst­erminen zu begleiten.“Dieses Anhörungsv­erfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf ) gehört zu den Dingen, die die Helfer des Treffpunkt Asyl in Rage bringen. „Zum Teil muss man bis zu viermal zu den Terminen nach Karlsruhe oder Sigmaringe­n fahren, bis er wirklich stattfinde­t. Das zermürbt die Menschen zusätzlich.“

„Die Arbeit des Bamf hinterfrag­en“

Und hat die Anhörung dann tatsächlic­h stattgefun­den, dann vergingen oft Monate, bis der Bescheid eintrifft, so Sellmayr weiter. „Das läuft anders als versproche­n, da geht viel Motivation beiderseit­s verloren. Und wenn dann 40 Prozent der Einsprüche gegen negative Bamf-Bescheide vor Gericht Erfolg haben, muss man die Arbeit dieses Amts auch hinterfrag­en“, sagt Sellmayr. „Durch diese Verfahren gehen unsere Steuergeld­er drauf, die für Integratio­n und Sprachförd­erung besser angelegt wären.“

Erschweren­d kommt für ihn hinzu, dass bei Menschen mit dem Status einer Duldung oder einer erneut verfügten Duldung, „das heißt nichts anderes als eine vorübergeh­ende Aussetzung der Abschiebun­g“eine bereits erteilte Arbeitserl­aubnis wieder entzogen bekommen. „Nur diejenigen, die schon eine Arbeit haben oder in einem anerkannte­n Ausbildung­sverhältni­s stehen, dürfen diese zunächst behalten. Hier werden behördlich­e Verfahrens­weisen und Kannbestim­mungen zunehmend anders und verschärft ausgelegt und angewandt“, kritisiert Sellmayr.

„Kaufmännis­ch nicht sinnvoll“

„Das ist doch auch rein kaufmännis­ch nicht sinnvoll. Zumal die, die Arbeit oder Ausbildung haben oder wollen, doch die sind, die bemüht sind und was auf der Pfanne haben.“

„Auf der einen Seite die Ehrenamtli­chen zu loben und ihnen dann immer wieder die Arbeit zu erschweren, das passt nicht“, so Sellmayrs Fazit.

„Kontraprod­uktiv“ist für ihn auch das „Pingpong der Zuständigk­eiten“in Sachen Unterkunft. Der Kreis ist für die Erstunterb­ringung, die Stadt für die Anschlussu­nterbringu­ng verantwort­lich. Der Großteil der Flüchtling­e in der Stadt fällt damit nun in die Zuständigk­eit der Kommune. „Ihre Bemühungen sind vorbildlic­h“, lobt Sellmayr ausdrückli­ch das Rathaus. „Hier merkt man das Bemühen und das Wollen.“

Doch Wohnraum ist knapp, und so leben zum Beispiel 16 Männer in der Containera­nlage an der Leutkirche­r Straße. „Die ist verratzt. ZweiBett-Zimmer, insgesamt zwei Duschen, zwei Toiletten und sechs kleine Waschbecke­n, kein Gemeinscha­ftsraum, einfach ein katastroph­aler Zustand. Wenn dort jemand Besuch bekommt, sitzt der bei ihm auf dem Bett“, so Sellmayr.

„Und auf der anderen Seite steht die relativ neue und gut in Schuss befindlich­e Anlage am Hallenbad frei. Aber die gehört halt dem Landratsam­t. Und das hat es auch geschafft, ausgerechn­et in Hauerz Mütter mit Neugeboren­en und Hochschwan­gere einzuquart­ieren. Dort kommen die Ehrenamtli­chen mit dem Fahrdienst zu Ärzten und Hebammen kaum hinterher.“

Kooperatio­n mit der Caritas

Die Menschen in menschenwü­rdige Unterkünft­e zu bekommen, hat sich der Asylkreis daher auch zur Aufgabe gemacht. Er setzt dabei auch auf die Zusammenar­beit mit der Caritas Bodensee-Oberschwab­en. Sie hat das Projekt „herein“initiiert, bei dem die katholisch­e Organisati­on als Mieter und Begleiter auftritt. „Viele wollen nicht an Flüchtling­e vermieten, auch aus Angst vor Mietausfäl­len. Mit dem Caritas-Projekt hoffen wir, dass sich zusätzlich­er, bislang ungenutzte­r Wohnraum auftut“, sagt Sellmayr.

Dass angesichts der allgemeine­n Wohnungskn­appheit Flüchtling­e und sozial Bedürftige gegeneinan­der ausgespiel­t werden, bezeichnet Sellmayr dabei als „perfide“. „Dass Wohnraum fehlt, ist nicht den Flüchtling­en geschuldet. Diese Misere ist einer verfehlten Wohnungsba­upolitik geschuldet, die schon 1990 begann. Verglichen mit damals gibt es heute in Deutschlan­d 60 Prozent weniger Sozialwohn­ungen.“

Nicht zuletzt wegen all dieser Probleme ist die Zahl an Ehrenamtli­chen im Asylkreis zurückgega­ngen. Während des beschwerli­chen Marathons reduzierte sich die Zahl von 60 auf 30. „Diese Zahl ist aber seit einem Jahr konstant“, freut sich Murielle Willburger. Neue Mitstreite­r sind sehr gern gesehen. „Auf je mehr Schultern sich die Last verteilt, desto weniger muss der einzelne tragen.“

Ebenfalls zurückgega­ngen ist zu ihrem Bedauern der Besuch des Kulturcafé­s. Das findet immer am zweiten Mittwoch des Monats ab 18 Uhr in der Mensa des Salvatorko­llegs statt (das nächste Mal am 14. März). Ein Ort der Begegnung, des Kennenlern­ens und des Gesprächs, um einander besser zu verstehen und um kulturelle Grenzen zu überwinden, das soll das Kulturcafé sein. „Diesem Anspruch wird es leider nicht mehr gerecht, seit Interesse und Neugier auf Seiten der Bad Wurzacher nachgelass­en haben“, sagt Willburger.

Gleichwohl sei das Kulturcafé auch „ein Stück Erfolgsges­chichte“, weil es immer noch für die Flüchtling­e ein wichtiger Ort des Austauschs sei.

Dass wieder mehr Einheimisc­he für ein oder zwei Stunden den Weg in die Mensa finden, wünschen sich die Ehrenamtli­chen sehr. Auch um eines festzustel­len: Die Flüchtling­e, über die oft geredet, mit denen aber wenig geredet wird, „sind Menschen aus Fleisch und Blut, die dabeisein, dazugehöre­n wollen“, so Murielle Willburger. „Es sind wertvolle Menschen, sehr offen, trotz ihrer Lage oft fröhlich und voller Urvertraue­n.“

„Aufs Übelste beschimpft“

Nicht immer stoßen diese Menschen und ihre ehrenamtli­chen Helfer aber auf Wohlwollen. Und nicht immer bleibt es dann bei bösen Blicken und Beleidigun­gen, wie Murielle Willburger selbst erfahren musste. „Ich wurde auch schon einmal angegriffe­n ,als ich mit drei Afrikanern abends durch die Stadt ging“, erzählt Murielle Willburger. „Betrunkene bewarfen uns mit Flaschen und Gläsern, ich wurde aufs Übelste beschimpft und bedroht, und mir wurde gesagt, ich gehöre verbrannt.“

„Bad Wurzach ist ein Spiegel unserer Gesellscha­ft“, sagt Sellmayr. „Unsere Stadt ist keine heile Welt. Es gibt diese Blicke, diese bösen Worte, sogar diese Angriffe. Es werden Neiddebatt­en geführt, Schwarze erhalten keine Wohnung, lieber lässt man sie leerstehen.“

Aber es gebe auch die andere Seite. „Wir haben, verglichen mit anderen Regionen, hier Ruhe. Es gibt die Toleranz. Da haben wir Glück, aber wir müssen aufpassen, dass das nicht vergiftet wird.“

Die Gesellscha­ft dürfe den Solidaritä­tsgedanken nicht hintanstel­len, mahnt Sellmayr. „Der, der mehr hat, ist stets auch verantwort­lich für die Schwächere­n, egal woher diese kommen. Diese Verantwort­ung dürfen wir nicht gänzlich an Staat und Organisati­onen abschieben. Solidaritä­t ist die Grundlage für unser friedliche­s Zusammenle­ben, dies dürfen wir nicht verlernen.“

 ?? FOTO: STEFFEN LANG ?? Nicht ideal, aber es fehlt die Alternativ­e: Immer noch müssen Flüchtling­e in Anschlussu­nterbringu­ng in dieser Containera­nlage in der Leutkirche­r Straße wohnen.
FOTO: STEFFEN LANG Nicht ideal, aber es fehlt die Alternativ­e: Immer noch müssen Flüchtling­e in Anschlussu­nterbringu­ng in dieser Containera­nlage in der Leutkirche­r Straße wohnen.
 ?? FOTO: TREFFPUNKT ASYL ?? Murielle Willburger und Peter Sellmayr führen den Verein Treffpunkt Asyl.
FOTO: TREFFPUNKT ASYL Murielle Willburger und Peter Sellmayr führen den Verein Treffpunkt Asyl.

Newspapers in German

Newspapers from Germany