Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Menschen werden immer älter und „breiter“
Fortbildung über die Volkskrankheit Adipositas in der Reha-Klinik Überruh
BOLSTERNANG - Die Reha-Klinik Überruh ist eine der neun Einrichtungen der Reha-Zentren BadenWürttemberg für die beruflich orientierte, medizinische Rehabilitation. Zur Fortbildungsveranstaltung „18. Isnyer Präventions- und Wintersporttag“sind gut 100 Teilnehmer gekommen – mehr als je zuvor. Teilgenommen haben Mitarbeiter der Reha-Klinik, Therapeuten und Ärzte aus Praxen, aus Firmen und Krankenhäusern aus dem ganzen süddeutschen Raum, sowie Interessierte aus der Region.
„Adipositas – ein Update für die Prävention“, so war das Arbeitsthema ausgeschrieben. Krankhafte Fettsucht also, eine „Steilvorlage“für die medizinische Gesundheitsvorsorge. Die Klinikleitung hatte für den Vormittag zunächst zu einer Winterwanderung Richtung Schwarzer Grat eingeladen. Nachmittags erwartete die Besucher eine geballte Ladung wissenschaftlicher Vorträge über die Volkskrankheit „Adipositas“, also Fettleibigkeit.
Dahinter stecke ein sehr komplexes Krankheitsbild, das alle Bevölkerungsschichten betreffe. „Die krankhafte Fettsucht ist von der Weltgesundheitsorganisation schon seit 1997 als chronische Krankheit anerkannt und ein weltweit rasant wachsendes Gesundheitsrisiko“, resümiert Thomas Bösch, Chefarzt der Überruh. Er begründet dies mit erschreckenden Zahlen, sowohl deutschland- als auch weltweit, die sich alle zwei Jahre um zirka fünf Prozent steigern.
Das neueste Ergebnis sei sehr besorgniserregend: jeder vierte Deutsche ist stark übergewichtig. Zu viel und falsche Ernährung, zu wenig Energieverbrauch wegen zu wenig Bewegung, führe letztendlich zum Übergewicht. Viele sozio-kulturelle Faktoren würden jedoch genauso die Speicherung von Fettpolstern begünstigen.Essen als Ursprungshandlung, Warenüberangebot mit entsprechender Werbung, Essen als Ersatz für fehlende, emotionale Zuwendung, keine geregelten Mahlzeiten, Konsum von Fast Food.
Als Folge erhöhe sich das Risiko für Fettstoffwechselkrankheiten, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Depressionen, bösartige Tumore, hormonelle Störungen, Demenz, Alzheimer und andere Krankheiten. Auch die seelischen Folgen seien gravierend, inklusive sozialer und beruflicher Ausgrenzung.
Constanze Schaal, Geschäftsführerin der Reha-Zentren, fasste zusammen: „Die Lebensqualität ist eingeschränkt, die Lebenserwartung im Vergleich zu Normalgewichtigen ist geringer. Wir dürfen uns auf keinen Fall mit der Situation arrangieren.“Als chronische Krankheit sei Adipositas zwar nicht heilbar, sie sei jedoch therapierbar. Mediziner, Therapeuten, Ernährungsberater, Selbsthilfegruppen seien gefragt, jedoch auch Kostenträger und die Politik.
Es geht nicht nur um Kalorien
Ernährungstrainerin Julia Tulipan ist sich sicher: „Die Sichtweise, dass wir zu viel essen und uns zu wenig bewegen, ist zu simpel. Es geht auch nicht nur um Kalorien, sondern um die Wirkung eines Lebensmittels auf den Körper, auf Hormonsysteme und Sättigungssignale.“Diese würden als Signalgeber wirken und Entzündungsprozesse beeinflussen. Eine kohlenhydratreduzierte, „steinzeitliche“ – ursprüngliche Ernährung mit möglichst natürlichen Lebensmitteln – befriedige die wichtigsten Kriterien als Basis für eine gesunde Ernährung: Gemüse, Fisch, Fleisch, Wild, Geflügel, Nüsse, Samen, zuckerarmes Obst und nicht industriell hergestellte Fette und Öle.
Der Viszeralchirurg Stefan Tange gab Einblick in die Möglichkeiten, über Erfolge und Risiken einer chirurgischen Therapie. Immer vorausgesetzt, dass konservative Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind und kein dauerhafter, signifikanter Gewichtsverlust erreicht wurde. Eine OP komme auch nur in Frage, wenn hormonelle Ursachen für das Übergewicht ausgeschlossen sind. Mögliche Verfahren seien dann ein Magenballon, Magenband, Schlauchmagen, der Y-Roux Magenbypass oder der Anastomosen-Bypass.
Werner Geigges, Chefarzt der Rehaklinik Glotterbad, sprach über die psychotherapeutischen Bausteine der Behandlung adipöser Patienten. So etwa eine gemeinsame, realisierbare Einschätzung der Möglichkeit einer Gewichtsabnahme, die Abklärung psychischer Störungen und Konflikte im Hinblick auf Ursachen und Folgen und die Stärkung des Selbstwerterlebens.