Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Missbrauch unter medizinisc­hem Vorwand

Landgerich­t Konstanz verurteilt Neurologen zu Geld- und Bewährungs­strafe

- Von Erich Nyffenegge­r

KONSTANZ - Weil er Patientinn­en missbrauch­t hat, ist ein Arzt vom Landgerich­t Konstanz zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Mediziner zeigte sich bei dem Prozess, der am Dienstag endete, voller Reue. „Ich schäme mich aufrichtig“: Als die Richterin diese Worte aus seinem Brief verliest, kaut der Angeklagte, ein 39-jähriger Mediziner und früherer Oberarzt einer Fachklinik in der Region Konstanz, an seinen Fingernäge­ln. Seine Statur ist gebeugt, der graue Anzug, in dem er zu versinken scheint, wirkt zwei Nummern zu groß. Seine Augen sind gerötet.

Geständnis per Brief

Den Missbrauch, den der Neurologe in seinem Brief an die Opfer einräumt, und der am Landgerich­t Konstanz verlesen wird, enthält viele Beteuerung­en: Dass er für das Leid, das er verursacht hat, einstehe. Dass er sich für dieses Leid entschuldi­ge. Nicht nur bei den Opfern selbst, die er durch seine Übergriffe in vertraulic­hen Arzt-Patientinn­en-Situatione­n verletzt habe. Auch bei seiner Familie. Seiner Frau. Das Wort selbst zu ergreifen, dafür sieht er sich außer Stande. Seine beiden Anwälte sprechen für ihn. Schmerzens­geld ist geflossen an die sieben im Prozess verhandelt­en weiblichen Opfer. In Summen zwischen 5000 und 7500 Euro.

„Mir ist klar, dass kein Geld der Welt das wieder gutmachen kann“, geht es weiter im Text des Entschuldi­gungsschre­ibens. Geld und Brief sollten aber nicht so verstanden werden, dass er, der „leidenscha­ftliche Mediziner mit Herzblut“damit seine Schuld relativier­en wolle. Er befinde sich in Psychother­apie, um das Geschehene aufzuarbei­ten. Seine ärztliche Zulassung habe er im Dezember 2016 zurückgege­ben. „Ich stehe nun nach 18 Jahren Medizin mit 38 Jahren vor einem neuen Leben“, liest die monotone Stimme der Richterin weiter vor. Seine Tätigkeit in der Klinik habe er hinter sich gelassen. Es bestehe also kein Grund zu befürchten, er könne sich ein weiteres Mal an einer Patientin vergreifen.

Im Gerichtssa­al, der wie ein Klassenzim­mer wirkt, sitzen neben den Richtern, Schöffen, Nebenklage­vertretern, Verteidige­rn und Staatsanwä­ltin auch die wie versteiner­t wirkenden Patientinn­en selbst, die der Angeklagte – gemäß seines eigenen Geständnis­ses – im Rahmen der ärztlichen Behandlung­en in intimster Weise berührt hat, unter dem Vorwand, Lymphknote­n in der Leistengeg­end ertasten zu müssen.

Noch mehr Opfer?

In der Stille des Saales wirken die Worte des verlesenen Briefes umso lauter und schwerer. Die Anwälte der Patientinn­en bestätigen den Erhalt des Schreibens sowie der Schmerzens­gelder. Mit einer Frage der Staatsanwä­ltin geht die Beweisaufn­ahme zu Ende: „Wie viele Geschädigt­e gibt es noch?“Mit einem kurzen, verunsiche­rten Blick schaut der Angeklagte auf. Einer seiner Verteidige­r sagt rasch: „Auf diese Frage gibt es von uns keine Antwort.“Die Staatsanwä­ltin runzelt die Stirn, denn: „Es hat sich noch jemand bei mir gemeldet.“

Zu den Schlussplä­doyers ist die Öffentlich­keit einmal mehr ausgeschlo­ssen. Wie schon am vorangegan­genen Prozesstag. Zum Schutz der Persönlich­keit von Opfern wie Täter, weil die Details zu intim seien. Bereits 2016 war der Mediziner wegen ähnlicher Taten an drei Frauen vom Landgerich­t Konstanz zu einer Haftstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt worden – Staatsanwa­ltschaft sowie der Angeklagte selbst hatten Berufung eingelegt. Dann meldeten sich weitere Frauen, die im aktuellen Prozess ebenfalls Gegenstand des Verfahrens sind. Die Details bleiben hinter der schwarzen Tür von Sitzungssa­al eins verborgen: Das letzte Wort des Angeklagte­n. Die Erklärunge­n der Opfervertr­eter. Die Forderung der Staatsanwä­ltin.

Das Urteil aber verkündet der Richter wieder öffentlich: Der Arzt ist schuldig, muss aber nicht ins Gefängnis. Die verhängten 20 Monate Haft sind zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss der Mediziner eine Geldauflag­e von insgesamt 10 000 Euro erfüllen. Das Geld geht an zwei Frauenorga­nisationen. Damit bleibt das Gericht hinter der Forderung der Staatsanwä­ltin zurück, die zweieinhal­b Jahre Gefängnis beantragt hatte.

Als eine der betroffene­n Patientinn­en den Saal Nummer eins verlässt, sagt sie: „Ich bin erleichter­t und froh, dass er nicht mehr als Arzt arbeitet.“Ob das dauerhaft so bleibt, ist ungewiss, denn: Ein von der Nebenklage geforderte­s Berufsverb­ot hat das Gericht nicht verhängt.

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FOTO: DPA Bei den Plädoyers im Fall vor dem Landgerich­t in Konstanz wurde die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen.

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