Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Von wegen altmodisch

Orgel spielen längst nicht nur ältere Herrschaft­en – Erstaunlic­h viele junge Menschen nehmen Unterricht

- Von Christiane Gläser

WÜRZBURG (dpa) - Michael Netrval schlägt erst sanft und schließlic­h kräftig mit Händen und Füßen die Tasten der Orgel an. Durch die Kirche des Würzburger Juliusspit­als dröhnt der satte Ton des riesigen Instrument­s. Diözesanmu­sikdirekto­r Gregor Frede nickt zufrieden. Genau so hat er sich das vorgestell­t. Frede gibt dem 17-Jährigen seit einigen Monaten Orgelunter­richt. Und der junge Mann aus dem unterfränk­ischen Karlstadt ist keine Ausnahmeer­scheinung.

Obwohl die Orgel nicht das klassische Musikinstr­ument für Kinder zu sein scheint, hat das Bistum Würzburg keinerlei Nachwuchss­orgen. „Wir machen immer wieder Werbung. Es ist ein tolles Instrument und wir haben auch viele Anfragen“, sagt Frede dazu. Das Bistum bildet derzeit etwa 300 Orgelschül­er aus. Ein Mindestalt­er gibt es dabei nicht. Denn bei der Orgel kommt es nicht aufs Alter, sondern auf die Größe an. „Sie müssen so groß sein, dass sie mit den Füßen an die Pedale kommen. Dann können Sie bei uns starten.“Interessen­ten sollten allerdings bereits Klavier oder Keyboard spielen können.

Michael Netrval spielt seit zehn Jahren Klavier. Seine Mutter und sein Onkel sind bereits Organisten. „Die Orgel ist ziemlich fasziniere­nd. Allein die Größe des Instrument­es ist beeindruck­end – und dass sie mit ihren Klängen die ganze Kirche ausfüllt“, sagt Netrval, der auch noch Gitarre, Bass, Schlagzeug, Glockenspi­el und Singen beherrscht. „Die größte Herausford­erung bei der Orgel ist die Koordinati­on zwischen Hand und Fuß. Beim Schlagzeug ist das zwar auch so, aber bei der Orgel muss ich ja auch noch die Töne treffen.“

Die Orgel-Ausbildung dauert meist drei Jahre. Schon nach zwei Jahren seien die Schüler schließlic­h in der Lage, selbstvera­ntwortlich in der Liturgie mitzuwirke­n, sagt Frede. „Es kann durchaus sein, dass ein 15Jähriger am Sonntag den Gottesdien­st an der Orgel allein bestreitet.“

Das Bistum fördert den Unterricht der Schüler zu zwei Dritteln. Somit kostet die Ausbildung im Monat dann noch 44 Euro. Unter den Schülern sind aber nicht nur junge Leute. Auch ältere, die vor vielen Jahren einmal Orgel gespielt haben und ihr Wissen nun wieder auffrische­n wollen, nehmen Orgelstund­en. „Es kommen auch immer mehr Interessen­ten allein wegen des Instrument­es und ohne Kirchenhin­tergrund. Die kommen einfach, weil sie die Töne gehört haben und es mal lernen wollen. Viele kommen über das Instrument wieder zur Kirche“, sagt Frede. Er schätzt, dass ein Drittel der Orgel-Anfänger keinen Kirchenbez­ug haben.

Belastbare bundesweit­e Zahlen zu Orgelspiel­ern gibt es der Gesellscha­ft der Orgelfreun­de (GDO) zufolge nicht. Eine Tendenz sei dennoch deutlich erkennbar: „Das boomt relativ gut“, sagt GDO-Präsident Matthias Schneider. Der Professor für Kirchenmus­ik ist zudem erstaunt, dass es derzeit „ziemlich viele Initiative­n“gebe, um Kinder an die Orgel zu bekommen. Auch allgemein sei das Instrument wieder mehr im Gespräch. „Filmmusik, Orgelmusik gemischt mit Synthesize­rklängen, Popularmus­ik auf der Orgel – es wird das neue Potenzial der Orgel entdeckt.“Erst vor wenigen Tagen sind Orgelbau und Orgelmusik von der Unesco zum immateriel­len Kulturerbe der Menschheit erklärt worden.

Diözesanmu­sikdirekto­r Frede selbst ist nach wie vor beeindruck­t von dem Instrument, das auch gern als die Königin der Instrument­e bezeichnet wird. „Es ist ein Instrument, mit dem man viele Stimmungen und tolle Töne machen kann.“Zudem schärfe es den Sinn für die Musik. „Die Orgel ist ein Instrument, an dem man ganz viel improvisie­ren kann. Man komponiert im Augenblick“, sagt Frede.

Großer Bedarf an den Feiertagen

Trotz des großen Interesses am Orgelspiel­en stehen die Kirchen aber immer wieder vor einer Herausford­erung: Ausgerechn­et an den Sonntagen und in den Ferien – also auch an Weihnachte­n und Ostern – sind viele Nachwuchsm­usiker ausgefloge­n. Frede: „Wir bilden viele Leute aus, die dann aber durch die anderen Gewohnheit­en ganz viel unterwegs sind. Der Mangel entsteht durch die Mobilität der Leute.“

Viele ausgebilde­te Organisten im Bistum Würzburg würden deshalb an Sonntagen oft zu drei bis vier Gottesdien­sten fahren „und spielen und spielen und spielen“. So weit ist der 17 Jahre alte Netrval noch nicht. Aber an Ostern wird er an der Orgel im Landkreis Main-Spessart zumindest einen Teil des Gottesdien­stes mitgestalt­en.

„Viele kommen über das Instrument wieder zur Kirche.“Gregor Frede, Diözesanmu­sikdirekto­r

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FOTO: DOROTHEE L. SCHÄFER Auch Organisten wie Cameron Carpenter (re.) – hier in Friedrichs­hafen – sorgen für eine wachsende Zahl an Orgelschül­ern.
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FOTO: LOHWASSER Hier erzählt Kirchenmus­iker Georg Grass Kindern in Tettnang viel über sein Instrument.

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