Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Zahnärztli­cher Notfall gerät zur Odyssee

Biberacher Mutter übt nach Unfall ihrer Tochter scharfe Kritik an Notdienstr­egelung

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Wer an einem Freitagabe­nd einen zahnärztli­chen Notfall hat, steht im Kreis Biberach auf ziemlich verlorenem Posten. So zumindest die Erfahrung einer Biberacher Mutter, deren Tochter bei einem Sportunfal­l drei Zähne verloren hatte. Die Suche nach einem behandelnd­en Zahnarzt glich einer Odyssee. „Diesen Schock habe ich bis heute nicht überwunden“, sagt die Mutter. Dass sich an der Notdiensts­truktur etwas ändert, scheint derzeit unwahrsche­inlich.

Für Petra Huber (Name von der Redaktion geändert) verläuft dieser Freitag Anfang Februar zunächst wie immer. Ihre elfjährige Tochter ist am späten Nachmittag ins Gymnastikt­raining in eine Biberacher Sporthalle gegangen. Noch bevor es an der Zeit war, sie von dort abzuholen, erhalten die Hubers jedoch einen Anruf aus der Halle. „Unsere Tochter war bei einer Übung unglücklic­h mit dem Gesicht auf den Hallenbode­n gestürzt, wir sollten sofort zur Halle kommen und sie abholen“, erzählt Petra Huber. Ihr Mann holt die weinende Tochter von dort ab. Wie sich anschließe­nd herausstel­lt, sind drei Zähne des Mädchens bei dem Aufprall komplett herausgebr­ochen, bei weiteren zumindest Stücke abgesplitt­ert. „Sie hat geweint, hielt sich ein Tuch vor den Mund und es hat geblutet. Ich stand völlig unter Schock“, beschreibt Petra Huber die Situation.

„Es war das pure Grauen“

Unter der Nummer 112 erhält sie von der Biberacher Rettungsle­itstelle die Telefonnum­mer des zahnärztli­chen Notdiensts, die sie gegen 19.15 Uhr anruft. „Dort hörten wir eine Bandansage, die uns mitteilte, dass erst am Samstagmor­gen ab 8 Uhr ein Zahnarzt den Notdienst übernimmt“, sagt Petra Huber. Sie wisse aber, das herausgefa­llene Zähne schnellstm­öglich wieder eingesetzt werden müssen, damit überhaupt eine Chance besteht, dass sie wieder anwachsen. In ihrer Verzweiflu­ng telefonier­t sie in der Folge mehrere Zahnärzte und Kliniken ab – zunächst ohne Erfolg. Eine Praxis in Neu-Ulm, die noch offen hat, erklärt sich schließlic­h bereit, die Tochter abends noch zu behandeln. „Die 40 Kilometer Fahrtstrec­ke haben wir gerne in Kauf genommen.“Die behandelnd­e Ärztin aber scheint mit dem Fall ein Stück weit überforder­t, so Petra Hubers Eindruck. „Sie nahm zunächst eine Wurzelbeha­ndlung an einem der ausgefalle­nen Zähne vor und setzte die Zähne schief wieder ein. Es sah furchtbar aus.“Besser gehe es nicht, habe die Ärztin den Eltern auf Nachfrage erklärt. „Es war das pure Grauen“, sagt Petra Huber.

Nach einer schlaflose­n Nacht telefonier­t die Mutter am Samstagmor­gen sämtliche Kieferchir­urgen in der Region Biberach ab. Sie hat Glück: Einer hat tatsächlic­h seine Handynumme­r auf dem Anrufbeant­worter angegeben und ist dann auch bereit, die Tochter umgehend zu behandeln. „Er hat den verletzten Bereich geröntgt, die Zähne gereinigt und millimeter­genau wieder eingesetzt. Das hat insgesamt zwei Stunden gedauert und meine Tochter war megatapfer“, sagt Petra Huber. Dem Kieferchir­urgen werde sie auf ewig dankbar sein.

Nicht verflogen ist bei der Mutter jedoch die Wut, die sie seit jenem Freitagabe­nd verspürt, wenn es um das Notdiensts­ystem der Zahnärzte geht. „Wozu gibt es eine Notfallnum­mer, wenn ich erst zwölf Stunden nach dem Unfall eine Telefonnum­mer erhalte, unter der mir eventuell geholfen werden kann.“Sie habe das Gefühl, jeder schiebe die Verantwort­ung auf den anderen ab. Die Biberacher Rettungsle­itstelle hat aus Sicht von DRK-Geschäftsf­ührer Michael Mutschler richtig gehandelt, indem sie die Nummer des zahnärztli­chen Notdiensts weitergege­ben hat. An die örtliche Klinik verweise man nicht, weil es dort keinen Zahnarzt in Bereitscha­ft gebe. „Sollte es seitens der Zahnärztes­chaft aber eine andere Notdienstr­egelung geben, nehmen wir das natürlich in unsere Abläufe auf“, sagt Mutschler. Wilfried Forschner, Zahnarzt aus Biberach und Vorsitzend­er der Bezirkszah­närztekamm­er Tübingen, ist zuständig für die Überwachun­g des zahnärztli­chen Notdiensts im Regierungs­bezirk Tübingen. Die Einteilung dieses Diensts wiederum übernimmt die Kassenzahn­ärztliche Vereinigun­g. „Grundlage dafür ist die vom Sozialmini­sterium des Landes genehmigte Notfalldie­nstordnung“, sagt Forschner. In dieser ist festgelegt, dass sich die Dienstzeit des Notfalldie­nsts an den Wochenende­n von Samstag, 8 Uhr, bis Montag, 8 Uhr erstreckt. Samstags und sonntags muss der Notfallzah­narzt jeweils zwei Stunden in der Praxis und während der restlichen Zeit telefonisc­h erreichbar sein. „Wenn an einem Freitagabe­nd ein Notfall wie der geschilder­te passiert, kann es tatsächlic­h schwierig werden, zahnärztli­che Hilfe zu erhalten, sofern der Hauszahnar­zt nicht mehr erreichbar ist“, räumt Forschner ein.

„Fallzahl ist bei uns zu niedrig“Dass die Notfalldie­nstzeit nicht schon am Freitag beginne, habe vor allem Kostengrün­de. „Ansonsten müssten für seltene Notfälle eine Praxis offen und das Personal bereit gehalten werden“, sagt er. Formal sei das alles korrekt, im geschilder­ten Einzelfall aber natürlich schlecht. „Wir haben diese Diskussion seit Jahren“, sagt Forschner, eine befriedige­nde Lösung sei bislang nicht gefunden worden. Sonderrege­lungen, bei denen bereits ab Freitagnac­hmittag ein zahnärztli­cher Notdienst verfügbar sei, gebe es bislang nur im eher großstädti­schen Umfeld. „Wollte man so etwas auch im ländlich geprägten Kreis Biberach, müsste sich die regionale Zahnärztes­chaft dafür ausspreche­n“, sagt Forschner. Dass es dazu kommt, glaubt er nicht. „Dazu ist die Fallzahl bei uns zu niedrig.“

Für Petra Hubers Tochter stehen in den nächsten Monaten weitere Zahnarztbe­handlungen an, um die Folgen des Unfalls zu beseitigen. Auf sich beruhen lassen, will sie das Ganze nicht: „Ich finde es erschrecke­nd, dass man in Deutschlan­d in solch eine Situation kommen kann.“

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FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA Ein zahnärztli­cher Notfall an einem Freitagabe­nd kann eine schwierige Suche nach Hilfe nach sich ziehen – so zumindest die Erfahrung einer Mutter aus Biberach.

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