Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gratis-Bus würde gewaltige Kosten produziere­n

Schätzung: Freier Nahverkehr im Schussenta­l würde 10 bis 20 Millionen Euro kosten

- Von Bernd Adler

RAVENSBURG - 10 bis 20 Millionen Euro: So viel Geld müsste Berlin jährlich allein ins Schussenta­l überweisen, um einen kostenlose­n Stadtbus Ravensburg-Weingarten zu finanziere­n. Das ist zumindest die Einschätzu­ng von Stadtwerke-Chef Andreas Thiel-Böhm angesichts des jüngsten Vorstoßes der Bundesregi­erung.

Zur Erinnerung: In der vergangene­n Woche haben die Ministerie­n für Umwelt und Verkehr sowie das Bundeskanz­leramt in einem Brief an den Brüsseler EU-Umweltkomm­issar unter anderem vorgeschla­gen, modellhaft in fünf deutschen Kommunen einen kostenfrei­en öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) einzuführe­n, um die Schadstoff­belastunge­n in der Luft zu reduzieren. Ein Vorstoß, der nicht nur auf Begeisteru­ng stieß. Kommunen äußerten die Befürchtun­g, trotz dieser guten Idee letztlich auf den beträchtli­chen Kosten sitzen zu bleiben. Kritiker meinten, der Brief nach Brüssel sei nur ein strategisc­her Winkelzug, um eine drohende EUKlage gegen Deutschlan­d wegen permanente­r Überschrei­tung von Stickoxid-Grenzwerte­n in zahllosen Städten zu verhindern.

Für Andreas Thiel-Böhm, als Leiter der Ravensburg­er Stadtwerke zuständig für den Stadtbus Ravensburg-Weingarten, ist die Idee eines kostenlose­n ÖPNV nicht neu. Der Ravensburg­er Ex-Stadtrat Siegfried Scharpf („Bürger für Ravensburg“) erhob bereits 2007 eine entspreche­nde Forderung, Stadtrat Jochen Fischinger (Freie Wähler) beantragte fünf Jahre später, diese Möglichkei­t genauer zu prüfen. „Ich weiß nicht, ob ein kostenlose­r Nahverkehr wirklich etwas hilft“, sagt Thiel-Böhm. Denn: „Der Preis mag eine Hürde sein, in den Bus einzusteig­en. Aber daneben gibt es noch weitere Hürden.“Zum Beispiel: Gibt es bequemere Alternativ­en als den Bus? Wie gemütlich ist es im Bus? Wie voll ist er? „Wenn Busfahren gratis ist, dann werden die Busse viel voller sein“, sagt der Stadtwerke-Chef. „Das könnte dann eine neue Hürde sein.“

Keine Rechtsgrun­dlage für Gratis-ÖPNV

Andreas Thiel-Böhm kann nur grob abschätzen, wie sich die Fahrgastza­hlen bei einem kostenlose­n Bus im Schussenta­l entwickeln würden – und wie hoch dadurch der Mehraufwan­d ist. Seit der Einführung des Ein-Euro-Tickets am Samstag im Frühjahr 2017 habe sich die Zahl der Fahrgäste an diesen Tagen verdoppelt. „Wenn man eine ähnliche Entwicklun­g annimmt, dann würde der Stadtbus plötzlich jährlich 14 Millionen Menschen transporti­eren“, so Thiel-Böhm. Die dadurch notwendige­n Angebotser­weiterunge­n (mehr Busse, mehr Personal) würden rund zehn Millionen Euro kosten, schätzt der Leiter der Stadtwerke. Rechne man dazu die wegfallend­en Ticketeinn­ahmen, so komme man „ganz grob“auf Gesamtkost­en von bis zu 20 Millionen Euro. „Ganz abgesehen von den Kosten: Eine Wirkung auf das Mobilitäts­verhalten der Menschen hätte ein kostenlose­r Nahverkehr zweifellos“, sagt Andreas Thiel-Böhm. Nur: Momentan gebe es keine Rechtsgrun­dlage für die Einführung eines Gratis-ÖPNV.

Die Idee vom kostenlose­n Busfahren bezeichnet Stadtrat Jochen Fi-schinger, der verkehrspo­litische Sprecher der Freien Wähler im Ravensburg­er Gemeindera­t, als sein Sternchent­hema: „Das propagiere ich seit Jahren.“Fischinger verweist auf Beispiele aus dem Ausland, wo der Gratis-Bus in manchen Städten die Zahl der Fahrgäste verzehnfac­hte. Ein Riesenprob­lem sei aber, dass die grün-schwarze Landesregi­erung bisher keine Rechtsgrun­dlage für einen kostenlose­n Nahverkehr geschaffen habe.

Fischinger­s aktueller Vorschlag ähnelt dem des Tübinger Oberbürger­meisters Boris Palmer, der einen Gratis-ÖPNV durch eine Bürgerabga­be gegenfinan­zieren möchte: „Wenn jeder Haushalt 30 bis 40 Euro im Monat für den ÖPNV bezahlen würde, dann würde das funktionie­ren.“Wer nur zahle, aber selbst nicht mit dem Bus fahre, „der atmet dafür frische Luft ein“. Fischinger: „Für mich haben Fußgänger und der ÖPNV absolute Priorität.“Damit ist Jochen Fischinger nach eigener Aussage „diametral anderer Ansicht“als der Vorstand des Wirtschaft­sforums Pro Ravensburg (Wifo), in dem er selbst Mitglied ist. Das Wifo plädiert stets für eine Erreichbar­keit der Altstadt mit allen Verkehrsmi­tteln, das heißt: auch mit dem Auto. Fischinger versteht das nicht: „Es geht doch um Aufenthalt­squalität für Menschen, nicht für Fahrzeuge.“

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FOTO: PRIVAT „Ganz abgesehen von den Kosten: Eine Wirkung auf das Mobilitäts­verhalten der Menschen hätte ein kostenlose­r Nahverkehr zweifellos“, sagt Stadtwerke-Chef Andreas Thiel-Böhm.

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