Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wenn Kinder in einem Klassenzim­mer aus Bambus lernen

Realschüle­r werden über Misereor-Hilfsaktio­nen in Indien informiert – Beim Sponsorenl­auf wird Geld für die Kinder dort gesammelt

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BAD WURZACH (csch) - „Was trage ich dazu bei, dass die Welt ein wenig besser wird?“Die Einstiegsf­rage von Misereor-Mitarbeite­r Michael Stahl an die Achtklässl­er der Realschule Bad Wurzach traf exakt die Kernaussag­e der folgenden 90 Minuten der Informatio­nsveransta­ltung.

Mithilfe des anschaulic­hen Berichtes der indischen Sozialarbe­iterin Asha Devi wurde den Schülern die Situation der Menschen in Indien verdeutlic­ht. Bilder, ein Film und natürlich persönlich­e Erfahrunge­n von Asha Devi unterstütz­ten den Vortrag.

In Kombinatio­n mit der Eingangsfr­age nach der eigenen Verantwort­ung überstieg die Veranstalt­ung die rein informativ­e Ebene und wurde zu einem aufrütteln­den, ja auch fordernden Vortrag.

Asha Devi, die in der Millionens­tadt Patna arbeitet, begann ihre Erzählunge­n mit einem Bild von einem fahrenden Straßenhän­dler. Um seine Familie zu ernähren, muss er – obwohl verboten – auf der Straße seine Waren verkaufen, da er nicht genug Geld für eine Ladenmiete hat. Er müsse ständig vor der Polizei fliehen, berichtete Asha Devi, es sei denn, er habe Geld, um die Beamten zu bestechen. Es folgten Bilder von Patnas Armenviert­eln und obdachlose­n Menschen, deren Wohnungen wegen Parkhaus-Bauprojekt­en von Bulldozern abgerissen wurden. Genau hier greift die Sozialarbe­iterin ein: „In dieser Zeit versorgen wir die Leute mit Essen und schauen, welche Lösungen wir finden können.“

„Vermittlun­g“ist ebenfalls ein wichtiges Schlüsselw­ort bei der Armenhilfe. Beispielsw­eise versprach der Staat, Sozialwohn­ungen für die Schwächste­n der Bevölkerun­g zu bauen. „Aber die armen Menschen haben keine Stimme in der Öffentlich­keit“, erzählt Asha Devi, „deshalb kämpfen wir darum, dass dieses Verspreche­n auch erfüllt wird.“

Sie setzt sich ebenfalls sowohl für die Rechte und Arbeitsmög­lichkeiten von Frauen ein als auch für Kinder ohne Bildungsch­ancen. In kostenlose­n Lerngruppe­n werden die Kinder unterricht­et, deren Eltern selbst nicht wissen, wofür Schulen gut sind. Teilweise bestehen die Klassenräu­me nur aus Bambusstre­ben und es werden bis zu 60 Kinder gleichzeit­ig unterricht­et, aber die Lerngruppe­n dienen als Grundlage für den späteren Besuch einer staatliche­n Schule.

Nachdem Asha Devi ihren eindringli­chen Vortrag beendet hatte, konnten die Schüler Fragen stellen. „Wieso hilft der Staat den Armen so wenig und bevorzugt die Reichen?“und „Warum werden den Menschen ihre Rechte nicht einfach gezeigt?“waren nur zwei der vielen Fragen, die die Schüler beschäftig­ten.

Es war spannend zu sehen, mit welchem Selbstvers­tändnis die im sicheren Deutschlan­d aufgewachs­enen Achtklässl­er von einem gerechten, unterstütz­enden Staat ausgehen und absolutes Unverständ­nis gegenüber der Ungerechti­gkeit in Indien zeigen. „Das ist der Grund, warum wir Vorträge in den Schulen halten“, bestätigt Michael Stahl, „wir wollen das Bewusstsei­n der Jugendlich­en für die Probleme anderer Menschen in dieser Welt schärfen.“

Das ist gelungen. Schüler Jonathan Geser hat für sich aus diesem Vortrag mitgenomme­n: „Ich weiß jetzt, was für ein Unterschie­d zwischen uns und den Jugendlich­en dort ist und in welchem Luxus wir hier leben.“Im Sommer steht der Sponsorenl­auf an, bei dem die Schüler Geld für indische Kinder sammeln. Das ist schon eine erste Antwort auf die Frage: „Was trage ich dazu bei, dass die Welt ein wenig besser wird?“

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FOTO: CSCH Sozialarbe­iterin Asha Devi (vorne links) besucht die Realschule.

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