Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Die Schlüsselministerien sind genial verhandelt“
SPD-Kreisverband diskutiert Mitgliederentscheid– Junge Sozialisten sind gegen eine Groko
RAVENSBURG - Zu einer außerordentlichen SPD-Versammlung hatte Heike Engelhardt vom Kreisverband am Samstag in das ehemalige Schwimmbad im ZfP (Zentrum für Psychiatrie) in Weißenau geladen. Der Grund: Der Mitgliederentscheid der Sozialdemokraten darüber, ob eine große Koalition („Groko“) für die Genossen infrage kommt. Zur Unterstützung hatte sich Engelhardt den Bundestagsabgeordneten Martin Gerster an die Seite geholt.
Das Groko-Programm sei ziemlich sozialdemokratisch geraten, schrieb zuletzt „Die Zeit“und auch, dass der SPD-Entscheid nicht verfassungswidrig sei, denn natürlich könne eine Partei die Entscheidung, ob sie koaliert, treffen, wie sie will. Und so formuliert es auch Martin Gerster, der sich nach einer Einleitung von Engelhardt als Hauptredner auf dem Podium entpuppt, vor vielleicht 30 Genossen und einer Handvoll Genossinnen.
„Ja“, nicht „hurra“
Und Gerster hat eine klare Meinung, mit der auch nicht hinter dem Berg hält. Er wird mit „Ja“stimmen. „Nicht mit hurra-hurra!“, wie Gerster gesteht. Aber nichtsdestotrotz werbe er dafür, beim Mitgliedervotum für eine Groko zu votieren. Ihm scheint „die Ressort-Verteilung sensationell“, ja sogar „mega“, wie Gerster betont: „Das zeigt sich schon daran, dass sich die CDU sehr darüber aufregt.“Auch die Gewerkschaften würden sich klar für die Koalition aussprechen, ebenso „ganz viele Kommunalpolitiker“und von den 153 Abgeordneten seien sicherlich 140 dafür, schätzt er.
Ganz anders werden wohl die Jungen Sozialisten (Jusos) abstimmen, glaubt Antonio Hertlein aus Schlier als Vorstandsmitglied der Jusos im Kreis Ravensburg. Er sieht die Glaubwürdigkeit der SPD in Gefahr, und „wenn wir keine klare Linie fahren, dann werden wir versinken“. Einige der anwesenden Genossen halten es für „das Recht der Jugend, keine Kompromisse eingehen zu wollen, andere – wie der frühere Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig – fragen sich und die kleine Runde provokant: „Kann sich die SPD nur erneuern, wenn sie in der Opposition ist? Zumal der Begriff der Erneuerung als ziemlich leere Schachtel dasteht.“
Die Partei ist gespalten
Ein anderes Mitglied sieht die Alterspyramide in der SPD so „wie hier im Saal abgebildet“und wagt zu behaupten, dass die Partei deutlich gespaltener sei als vorher angenommen. Und auch das scheint sich bei der Versammlung abzubilden: Einer fordert einen „New Deal“, eine andere bittet um „mehr Kommunikation mit der Basis“, die meisten fordern „Klarheit“, „keine Kompromisse“, und hätten sich schließlich auch einen Befürworter des „Nein“zur Groko auf dem Podium gewünscht.
Heike Engelhardt indes ist klar und kompromisslos und gibt noch einmal schriftlich Auskunft: „Ich habe lange geschwankt und war gegen eine neue große Koalition. Die Haltung von Martin Schulz, am 24. September eine Regierungsbeteiligung auszuschließen, fand ich nachvollziehbar und richtig. Nach dem Scheitern der schwarzen Ampel ebenfalls darauf zu beharren, fand ich konsequent, aber unklug, sich Gesprächen zu verweigern unhöflich und der neuen Situation nicht angemessen. Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche fand ich hoffnungsvoll.“Den Koalitionsvertrag und die ausgehandelten Schlüsselministerien (Arbeit, Soziales, Auswärtiges Amt, Finanzen) hält Engelhardt für „genial verhandelt“. Und für sie steht fest, dass die SPD aus einer neuen Groko deutlich erfolgreicher hervorgehen werde als in der Vergangenheit.
„Kann sich die SPD nur erneuern, wenn sie in der Opposition ist?“, fragt Rudolf Bindig in die Runde.
Neuwahlen sind unerwünscht
Worüber sich die Mehrheit der Genossen einig ist: Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt gereichten wohl eher zum Schaden denn zum Nutzen der SPD. Denn, wie Gerster sagt: „Ich habe noch das Wahlergebnis vom September in den Knochen.“