Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Trump droht mit weiteren Strafzöllen
Sorge vor weltweitem Handelskrieg wächst – Lindner kritisiert EU-Gegenmaßnahmen
WASHINGTON/BRÜSSEL/BERLIN Der Welt droht ein neuer Handelskonflikt: Die großen Wirtschaftsmächte haben am Freitag mit deutlichen Drohungen auf die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium reagiert. Europa, aber auch Kanada, Brasilien, Mexiko sowie China kündigten drastische Gegenmaßnahmen an und mahnten Washington zur Zurückhaltung. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte am Freitag laut einer Sprecherin, dass die Europäische Union einen Gegenschlag vorbereite. Geplant seien Strafzölle auf typisch amerikanische Produkte wie Bourbon-Whiskey, Harley-Davidson-Motorräder oder Levi’s-Jeans, so Juncker. Die EU werde nicht tatenlos zusehen, wenn Unternehmen und Arbeitsplätze in Europa bedroht seien.
Trump selbst verteidigte sein Vorgehen, ab kommender Woche hohe Strafzölle auf Stahl und Aluminium zu verhängen. Wenn ein Land viele Milliarden Dollar im Handel mit praktisch jedem Land verliere, mit dem es Geschäfte macht, „dann sind Handelskriege gut – und einfach zu gewinnen“, schrieb Trump beim Online-Nachrichtendienst Twitter. Der US-Präsident legte sogar nach: Er wolle künftig auch auf andere Produkte Einfuhrzölle oder Grenzsteuern erheben, wenn dies andere Länder auch für US-Produkte tun. Der Präsident will damit eigene Unternehmen vor Konkurrenz schützen und so neue Jobs schaffen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte die US-Pläne. „Die Bundesregierung lehnt solche Zölle ab“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Ein „Handelskrieg“könne „in überhaupt niemandes Interesse sein“, auch nicht in dem der USWirtschaft. FDP-Chef Christian Lindner kritisierte sowohl Trumps Vorgehen als auch die Reaktion der EU. „Da kann es nicht um Motorräder von Harley Davidson gehen“, sagte er am Freitag zur „Schwäbischen Zeitung“. Es müsse um große Umsatzbringer für die USA gehen, etwa die Medien-Riesen Google oder Facebook. Man müsse „deutlich schärfere Sanktionen“in den Raum stellen, um Trump zu überzeugen.
Auch die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) schlossen sich der weltweiten Kritik an. Die Zölle würden „wahrscheinlich Schaden nicht nur außerhalb der USA, sondern auch der US-Wirtschaft selbst“zufügen, sagte IWF-Sprecher Gerry Rice.
WASHINGTON (dpa) - Freund und Feind überrascht, Berater verprellt, Präsident glücklich. Auf diesen Nenner lässt sich Donald Trumps Entscheidung bringen, Strafzölle auf Stahl und Aluminium zu verhängen. Dass mit dieser rüden Ankündigung eine neue Phase in seiner Präsidentschaft eingeleitet würde, wäre zu viel gesagt. Vieles aber spricht dafür, dass man von diesem Trump mehr erleben wird: noch ungestümer, noch mehr alleine mit dem Kopf durch die Wand. Es sieht so aus, als habe er die Mahner und Mäßiger um ihn herum ein bisschen satt.
Seine Stahl-Entscheidung verkündete Trump völlig überraschend, auch wenn sich Handelsbeziehungen schon seit Langem verschlechtern. Seit Monaten spricht er von diesen Zöllen, jetzt hat er, was er immer wollte. „Wer keinen (eigenen) Stahl hat, der hat kein Land“, dieser Satz gehört seit dem Wahlkampf zum „Best of“seiner Reden. Nur: Diese Entscheidung war nicht vorbereitet, die Maßnahmen nicht fertig, Senat und engste Berater wussten nichts davon, nichts war angekündigt. Berater ignorierte Trump. Er wollte jetzt durchziehen.
Wer, wie Trump, nach dieser Stahl-Entscheidung sagt: Handelskriege sind gut, und sie sind leicht zu gewinnen, der interessiert sich vermutlich nicht für Beben auf Märkten, für verprellte Alliierte, für eine schwer irritierte EU, eine kritische Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Das ist alles sehr beunruhigend“, sagt A.B. Stoddard von RealClear Politics. Die stabilisierenden Kräfte, sie verließen Trump.
US-Medien berichten, Trump koche seit Tagen vor Wut. Außer sich sei er über die Degradierung seines Schwiegersohnes und Beraters Jared Kushner, der keinen Zugang mehr zu Top-Secret-Informationen hat. Verantwortlich für diese Entscheidung: John Kelly, Trumps strenger Stabschef. Es heißt, Trump habe die Nase voll von dessen Disziplin und Härte. Er will jetzt selber machen.
Trump macht keine Gefangenen
„Oft genug hat sein Stab Trump noch von der Zinne holen können“, schreibt der Informationsdienst Axios am Freitag. „Das ist vorbei. Er hat versucht, nach Kellys Regeln zu spielen. Jetzt lernen alle, nach POTUS’ Regeln zu spielen“– der Präsident am Drücker und sonst keiner, vor allem beim Thema Handel mache der keine Gefangenen mehr. Das könnte seinen Wirtschafts-Chefberater Gary Cohn endgültig vom Hof treiben, die Strafzölle sind für ihn eine schwere Niederlage.
Trump liebt das Chaos, die Präsidentschaft von Tag zu Tag, Widersprüche und Hin und Her sind ihm einerlei, solange er nur alle Aufmerksamkeit hat. Und die ist ihm sicher. Die Lage aber ist kompliziert. Die „New York Times“berichtet, Trump wolle Kelly als Hebel nutzen, um Tochter Ivanka nebst Mann Jared Kushner aus dem Weißen Haus zu treiben. Seine Familie ist Trump heilig. Aber wenn ihm schlechte Schlagzeilen selber nahezukommen drohen, kennt er womöglich auch keine Verwandten mehr. Gleichzeitig halten sich Berichte, Kellys Tage seien gezählt.
Dass der Präsident Hope Hicks als Kommunikationsberaterin verliert, muss ihn sehr hart getroffen haben. Sie war eine seiner engsten Vertrauten, John Decker beschreibt sie als eine Art „Executive Producer“des Präsidenten. Mit ihrem Abgang fällt ein weiteres Element weg, das Trump in geordnete Bahnen zu lenken wusste, sofern das überhaupt geht.
Spontan, ungezügelt, wuchtig: Im Jahr der Kongresswahlen will Trump noch viel mehr den Wahlkämpfer geben. Wenig gibt ihm so viel Energie wie johlende Mengen möglichst weit weg von der ihm faden Hauptstadt und ihren Mühen. Ich, der Präsident: Dazu sollen auch deutlich mehr live im Fernsehen übertragene Verhandlungsrunden gehören, wie er sie zur Einwanderung und jüngst auch 64 Minuten lang zu Waffengesetzen praktiziert hat. Das Weiße Haus als Reality-TV, in dem Trump beiläufig mit der Todesstrafe für Drogendealer sympathisiert. So erreicht Trump seine Basis, hat seine Fernsehbilder, markiert Entschlusskraft, Amerika zuerst. Was von diesen Positionen konkrete Politik wird, ist eine ganz andere Frage. Ob, wie beim Stahl, die Folgen von Washington noch kontrollierbar sind, auch.
„Wie kann Trump in all diesem Chaos effektiv regieren?“, fragte CNN am Freitag.