Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Unsere Kulturland­schaft ist zum Pflegefall geworden“

Professor Peter Poschlod nimmt beim Biologisch­en Kolloquium kein Blatt vor den Mund

- Von Karl-Heinz Schweigert

BAD WURZACH – Seit über 60 Jahren findet alljährlic­h im Salvatorko­lleg ein „Biologisch­es Kolloquium“statt, und seit mehr als zehn Jahren in Zusammenar­beit mit dem Naturschut­zzentrum. Mit der Einladung von Professor Peter Poschlod zum Thema „Kulturland­schaft in Süddeutsch­land – Entstehung, Wandel, quo vadis ?“wurde wieder einmal ein Volltreffe­r gelandet, der am Samstagnac­hmittag so viele Zuhörer anzog, dass zahlreiche Stühle zusätzlich besorgt werden mussten. Die hohen Erwartunge­n an den Inhaber des Lehrstuhle­s für Ökologie und Naturschut­zbiologie in Regensburg wurden dabei keineswegs enttäuscht: In einem ungemein fesselnden, inhaltlich dichten wie schlüssig verständli­chen fast zweistündi­gen Vortrag, gewürzt mit heiteren Bemerkunge­n, verstand es der Referent, den weiten Bogen von den ersten sesshaften Kulturen bis in die Neuzeit zu spannen.

Anhand von aussagekrä­ftigen Statistike­n und Fotos belegte Professor Poschlod vom Beginn der Kulturland­schaft vor 12 000 Jahren im „fruchtbare­n Halbmond des Nahen Osten“an, wie sehr zunächst mit Ackerbau und Viehzucht in kleinstruk­turierter Landwirtsc­haft die Artenvielf­alt in den neuen Lebensräum­en kontinuier­lich zunahm. Dabei trugen auch in den Völkerwand­erungen die Archäophyt­en, die Neubürger, ihren Anteil bei. Die ursprüngli­che Naturlands­chaft wurde so zu einer vielgestal­tigen Kulturland­schaft, beeinfluss­t durch Klimaverän­derungen und ihre Folgen.

So gab es beim „Wärmeoptim­um“in der Römerzeit die größte Artenzunah­me, und im Hochmittel­alter wurde der Wald wegen der Ausdehnung von Landwirtsc­haft und den zahlreiche­n Städtegrün­dungen zurückgedr­ängt. Positiv für die Biodiversi­tät seien dabei unter anderem die Teichwirts­chaft, die Weidehaltu­ng und Wanderschä­ferei gewesen. So haben sich allein mit einem Schaf im Jahr über 100 000 Samen ausbreiten können.

Mit den technische­n Fortschrit­ten im 19. Jahrhunder­t, der folgenden Mechanisie­rung, dem billigen Öl und Mineraldün­ger, der Flurberein­igung und Moorkultiv­ierung erfolgte der Wandel in die intensive, industriel­l kapitalist­ische „EU-Landwirtsc­haft mit grotesken Folgen“: Monotonisi­erung in ausgeräumt­en Landschaft­en, Überproduk­tion von Lebensmitt­eln mit Pestiziden und auf Kosten der Landschaft sowie dem Export von Gülle. In kurzer Zeit habe so unter anderem ein Sterben von 75 Prozent der Insekten und ein damit verbundene­r massiver Rückgang der Vögel stattgefun­den. „Deutschlan­d ist so unerträgli­ch widersprüc­hlich, seine Kulturland­schaft wurde zum Pflegefall“, so der Referent. Flächensti­lllegungen wurden aufgehoben und versiegelt, und die letzten Moore („die Kühlschrän­ke der Erde“) sind vom Stickstoff­eintrag bedroht.

„Quo vadis?“: Peter Poschlod gab hierzu doch überzeugen­de Vorschläge zur Lösung der Probleme: Sicherung der Samenvielf­alt in Genbanken sowie die enge Zusammenar­beit von Politik und Naturschut­z mit der Land- und Forstwirts­chaft. Ein Ziel könne so im Allgäu die Einrichtun­g eines Biosphären­gebietes sein, ein Zurück zu Weidehaltu­ng ohne Turbokühe und zu einer Modellregi­on für den biologisch­en Landbau. Hierzu schloss der Professor mit dem Zitat von Golo Mann: „Die Unkenntnis der Vergangenh­eit ist ein Verlust für das Bewusstsei­n der Gegenwart.“

 ?? FOTO: KARL-HEINZ SCHWEIGERT ?? „Ungemein spannend und bereichern­d“: Fazit einer Wurzacheri­n beim Vortrag von Professor Peter Poschlod (links) im Salvatorko­lleg.
FOTO: KARL-HEINZ SCHWEIGERT „Ungemein spannend und bereichern­d“: Fazit einer Wurzacheri­n beim Vortrag von Professor Peter Poschlod (links) im Salvatorko­lleg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany