Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Unsere Kulturlandschaft ist zum Pflegefall geworden“
Professor Peter Poschlod nimmt beim Biologischen Kolloquium kein Blatt vor den Mund
BAD WURZACH – Seit über 60 Jahren findet alljährlich im Salvatorkolleg ein „Biologisches Kolloquium“statt, und seit mehr als zehn Jahren in Zusammenarbeit mit dem Naturschutzzentrum. Mit der Einladung von Professor Peter Poschlod zum Thema „Kulturlandschaft in Süddeutschland – Entstehung, Wandel, quo vadis ?“wurde wieder einmal ein Volltreffer gelandet, der am Samstagnachmittag so viele Zuhörer anzog, dass zahlreiche Stühle zusätzlich besorgt werden mussten. Die hohen Erwartungen an den Inhaber des Lehrstuhles für Ökologie und Naturschutzbiologie in Regensburg wurden dabei keineswegs enttäuscht: In einem ungemein fesselnden, inhaltlich dichten wie schlüssig verständlichen fast zweistündigen Vortrag, gewürzt mit heiteren Bemerkungen, verstand es der Referent, den weiten Bogen von den ersten sesshaften Kulturen bis in die Neuzeit zu spannen.
Anhand von aussagekräftigen Statistiken und Fotos belegte Professor Poschlod vom Beginn der Kulturlandschaft vor 12 000 Jahren im „fruchtbaren Halbmond des Nahen Osten“an, wie sehr zunächst mit Ackerbau und Viehzucht in kleinstrukturierter Landwirtschaft die Artenvielfalt in den neuen Lebensräumen kontinuierlich zunahm. Dabei trugen auch in den Völkerwanderungen die Archäophyten, die Neubürger, ihren Anteil bei. Die ursprüngliche Naturlandschaft wurde so zu einer vielgestaltigen Kulturlandschaft, beeinflusst durch Klimaveränderungen und ihre Folgen.
So gab es beim „Wärmeoptimum“in der Römerzeit die größte Artenzunahme, und im Hochmittelalter wurde der Wald wegen der Ausdehnung von Landwirtschaft und den zahlreichen Städtegründungen zurückgedrängt. Positiv für die Biodiversität seien dabei unter anderem die Teichwirtschaft, die Weidehaltung und Wanderschäferei gewesen. So haben sich allein mit einem Schaf im Jahr über 100 000 Samen ausbreiten können.
Mit den technischen Fortschritten im 19. Jahrhundert, der folgenden Mechanisierung, dem billigen Öl und Mineraldünger, der Flurbereinigung und Moorkultivierung erfolgte der Wandel in die intensive, industriell kapitalistische „EU-Landwirtschaft mit grotesken Folgen“: Monotonisierung in ausgeräumten Landschaften, Überproduktion von Lebensmitteln mit Pestiziden und auf Kosten der Landschaft sowie dem Export von Gülle. In kurzer Zeit habe so unter anderem ein Sterben von 75 Prozent der Insekten und ein damit verbundener massiver Rückgang der Vögel stattgefunden. „Deutschland ist so unerträglich widersprüchlich, seine Kulturlandschaft wurde zum Pflegefall“, so der Referent. Flächenstilllegungen wurden aufgehoben und versiegelt, und die letzten Moore („die Kühlschränke der Erde“) sind vom Stickstoffeintrag bedroht.
„Quo vadis?“: Peter Poschlod gab hierzu doch überzeugende Vorschläge zur Lösung der Probleme: Sicherung der Samenvielfalt in Genbanken sowie die enge Zusammenarbeit von Politik und Naturschutz mit der Land- und Forstwirtschaft. Ein Ziel könne so im Allgäu die Einrichtung eines Biosphärengebietes sein, ein Zurück zu Weidehaltung ohne Turbokühe und zu einer Modellregion für den biologischen Landbau. Hierzu schloss der Professor mit dem Zitat von Golo Mann: „Die Unkenntnis der Vergangenheit ist ein Verlust für das Bewusstsein der Gegenwart.“