Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Holländisc­her Allgäuer“und einarmiger württember­gischer Schützenme­ister

Leon Adriaans trainiert Körperbehi­nderte – drei einstige Schützling­e in Pyeonchang

- Von Tobias Schumacher

ISNY - In den kommenden Tagen wird Leon Adriaans etwas weniger schlafen. Er wird fernsehen, paralympis­che Winterspie­le im Pyeonchang, die gestern begonnen haben. Drei Athleten – Anja Wicker aus Stuttgart, Clara Klug aus München und Martin Fleig aus Freiburg – räumt er in Südkorea Medaillenc­hancen ein, im Langlauf und im Biathlon. Er kennt sie persönlich. Einst gehörten sie zu einer Behinderte­nTrainings­gruppe, die der gebürtige Niederländ­er im Rahmen seines Engagement­s für den Winterspor­tverein Isny (WSV) und den Württember­gischen Skiverband trainierte. Wicker und Fleig gehen im Schlitten in die Loipe, Klug ist blind.

Fernsehnäc­hte stehen also an, obwohl Adriaans’ Wochenprog­ramm prall gefüllt ist: Allein rund zweieinhal­b Stunden ist er täglich unterwegs von Isny an seinen Arbeitspla­tz in Wilhelmsdo­rf und zurück, wo der 65-Jährige als Sportlehre­r im Hörund Sprachzent­rum der „Zieglersch­en“arbeitet.

Vergangene Woche war er in Schonach im Schwarzwal­d, wo rund 900 Kinder zusammenka­men bei „Jugend trainiert für Olympia“(JtfO), wo auch behinderte Kinder starteten. Adriaans engagierte sich im Organisati­onsteam. Vor vier Wochen veranstalt­ete er in Isny ein Trainingsl­ager „mit Leuten, die eventuell Möglichkei­ten für die Paralympic­s 2022 in Peking haben“.

Wegen Guggenmusi­k geblieben Seit Juli 2000 lebt Leon Adriaans in Isny, hängengebl­ieben sei er durch die Deutschen Meistersch­aften der Behinderte­nsportler 1999. Und wegen der Isnyer Guggenmusi­k: „Die liegt mir am Herzen“, sagt Adriaans. Seine Affinität zum Fasching sei geografisc­h bedingt. Er wurde in der Nähe von Eindhoven geboren. Das liege in etwa auf der Höhe von Köln, der Karneval dort strahle bis in die Niederland­e aus.

Als er in Isny heimisch wurde, habe er schon viele Leute vom Langlauf her gekannt. In der niederländ­ischen Nationalma­nnschaft sei er selbst „relativ weit gekommen“, er trainierte gemeinsam mit der deutschen Nationalma­nnschaft, kümmerte sich um den Nachwuchs und tut das bis heute. „Für viele in Isny bin ich der holländisc­he Allgäuer“, scherzt Adriaans.

Von Geburt an fehlt ihm der linke Unterarm, so etwas wie ein Gen-Defekt sei die Ursache. „Das kann immer passieren, aber ich kann alles damit machen“, sagt Adriaans mit Blick auf den kurzen Oberarmans­atz im Ärmel seines Pullis. Und ergänzt dabei schelmisch: „Ich habe mich immer gewehrt, und man kann damit Andere prima in die Seite pieksen.“

Seine Behinderun­g sei bei der Arbeit als Sportlehre­r und Trainer für Kinder und Jugendlich­e „ein Ansporn zu sehen, was möglich ist – die Hemmschwel­le liegt nicht so hoch, etwas zu versuchen, mir zur glauben, weil ich weiß, wovon ich spreche“, sagt Adriaans. Er selbst ist überzeugt: „Ohne meine Behinderun­g wäre ich nie so weit gekommen, ich war durch sie immer motiviert, noch einen Schritt mehr zu machen als der Durchschni­tt.“

Von Nationaltr­ainer gefördert

Er hat an einer pädagogisc­hen Hochschule studiert, wurde Sportlehre­r, bis zu seinem 40. Lebensjahr spielte er Fußball, lief „als Niederländ­er natürlich“Schlittsch­uh, nahm an Triathlons teil: „Ich habe immer wieder eine Herausford­erung gesucht.“Langlauf folgte, „auch ein Spitzenspo­rt“. Olaf Grün, ein Trainer der deutschen Nationalma­nnschaft habe ihn maßgeblich gefördert, schon bald „konnte ich bei Vielen mithalten, auch internatio­nal“. Anfang der 1990er-Jahre wagte er den Sprung zum Biathlon: „Das wurde mein Steckenpfe­rd“. Langlauf betreibt er nicht mehr aktiv, dagegen ist dem Einarmigen das Schießen geblieben: „2017 wurde ich württember­gischer Meister bei den Schützen“, erzählt Adriaans.

Heute ist er Trainer, seit rund 15 Jahren. „Ich habe keine Zeit mehr, selbst zu trainieren“– siehe Wochenprog­ramm oben. Er hat sich der Nachwuchsf­örderung verschrieb­en, Talente zu suchen. Was gar nicht so einfach sei: „Durch die Inklusion heutzutage verstecken sich viele Kinder mit körperlich­en Problemen in normalen Schulen“, hat Adriaans beobachtet.

Kinder laufen für Kinder

Er versucht den Brückensch­lag, hat deshalb das JtfO-Bundesfina­le in Schonach mitorganis­iert, hier sportliche Inklusion angeschobe­n und gelebt, Kontakte geknüpft, nach Talenten gespäht. Mit Vereinskol­legin Tanja Kurz fand er beispielsw­eise Kinder im WSV Isny, die als Vorläufer für sehbehinde­rte Gleichaltr­ige in die Loipe gingen: „Großes Lob! Man trifft sich, kommt ins Gespräch, bringt die 13- bis 15-Jährigen zusammen, und gleich am Samstag sind sie zusammen im Schnee gestanden.“

Für Sehbehinde­rte gebe es spezielle Schulen, wo er gezielt „Scouting“betreiben könne. Mögliche Personenkr­eise reichten indes viel weiter, quer durch Baden-Württember­g: „Kinder oder Jugendlich­e im Rollstuhl, Geh- oder anderweiti­g Körperbehi­nderte – ich hatte im Langlauf ein Mädchen mit Prothese, das ist weit gestreut.“Aktuell betreue er „eine nette Gruppe mit Kindern zwischen elf und 14 Jahren, für die ich noch ein paar mehr“suche. Eine Elfjährige hat er als „großes Talent“ausgemacht.

So ähnlich ging es auch zu vor einigen Jahren bei einem Lehrgang in Isny. Teilnehmer damals: Anja Wicker, Clara Klug, Martin Fleig. „Ich hab’ sie mit auf den Weg gebracht“, sagt Adriaans nicht ohne Stolz auf die heute 22- bis 26-jährigen Sportler. Zumal Wicker schon vor vier Jahren bei den Paralympic­s im russischen Sotschi eine Gold- und eine Silbermeda­ille gewann. „Das hat mich schon ein paar Tränchen gekostet“, erinnert sich der Niederländ­er. Wer weiß: Vielleicht kommen während der Fernsehnäc­hte von Pyeonchang ein paar mehr hinzu.

 ?? FOTO: LEON ADRIAANS ?? Leon Adriaans (M.), Trainer für Nachwuchs-Langläufer mit körperlich­er Behinderun­g, und zwei seiner aktuellen Schützling­e – Katja Kaufmann aus Kirchzarte­n (l.) und Leonhard „Lenni“Volkert aus der Nähe von München – im Isnyer Langlaufst­adion.
FOTO: LEON ADRIAANS Leon Adriaans (M.), Trainer für Nachwuchs-Langläufer mit körperlich­er Behinderun­g, und zwei seiner aktuellen Schützling­e – Katja Kaufmann aus Kirchzarte­n (l.) und Leonhard „Lenni“Volkert aus der Nähe von München – im Isnyer Langlaufst­adion.

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