Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Geschlagen, gefesselt, im Kofferraum verschleppt
Vier junge Männer aus Kempten und dem Oberallgäu müssen sich vor Gericht verantworten
KEMPTEN/OBERALLGÄU - Die Anklageschrift liest sich wie das Drehbuch eines Gangsterfilms. Vier junge Männer bestellen einen anderen zu einem Parkplatz. Angeblich wollen sie zusammen zu einer Party fahren. Stattdessen überwältigen sie ihr Opfer, fesseln es mit Kabelbindern, kleben den Mund mit Paketband zu, schlagen es. Dann stecken die Männer den Oberallgäuer in den Kofferraum, fahren mit ihm in einen Wald. Drohen, fuchteln mit einem Messer herum, halten ihm eine Schreckschusspistole an den Kopf. Sie lassen ihn erst frei, als er verspricht, ihnen am nächsten Tag 8000 Euro zu übergeben. Als Pfand behalten sie sein Handy und eine Tüte Pillen. Bei der Übergabe empfängt sie jedoch die Polizei. In einem Film würde irgendwann der Abspann kommen. Dann ist die Geschichte zu Ende. In der Realität hat die Tat Auswirkungen auf das Leben aller Beteiligter. Auf das Opfer, das die Nacht, in der es Todesängste ausstand, wohl nie vergessen kann. Auf die Täter, von denen zwei jetzt im Gefängnis sitzen: mehr als drei Jahre lang. Die anderen sind auf freiem Fuß, allerdings auf Bewährung.
17, 18, 19 und 20 Jahre alt waren die jungen Männer aus Kempten und Umgebung in jener Nacht im vergangenen Sommer. Als sie sich nun vor dem Amtsgericht Kempten verantworten, gestehen sie fast alles. Drei von ihnen sind bereits vorbestraft. Dass einer von ihnen dem Opfer das Messer an den Hals gehalten und mit dem Tod gedroht haben soll, weisen sie zurück. Auch dass Waterboarding – eine Foltermethode, bei der das Opfer meint, zu ertrinken – ein Thema war, dementieren sie. Ebenso, dass sie ihrem Opfer im Wald gesagt hätten, dass sie ihm jetzt sein Grab zeigen.
Motiv: Schulden eintreiben
Was aber hat sie bewegt, den heute 18-Jährigen zu fesseln und zu schlagen? Ihm Todesängste einzujagen? Nach Angaben der Angeklagten schuldete er dreien von ihnen Geld. Das wollten sie einfordern. Der eine habe den Oberallgäuer bezahlt, damit er ihm Drogen besorgt, die Lieferung aber sei unvollständig gewesen. Der nächste habe ihm ein Darlehen gegeben, damit der 18-Jährige überhaupt in Drogengeschäfte habe investieren können. Dem Dritten habe er ebenfalls Geld geschuldet – zudem eine Endstufe, ein Teil einer Musikanlage fürs Auto. Dass er diese bei sich gelagert hatte, bestätigt das Opfer, das als Zeuge auftritt. Ein gemeinsamer Bekannter habe die Endstufe abgeholt und vorgegeben, dass sie ihm zustehe. Die Schulden streitet der 18-Jährige ab, zu den Drogengeschäften macht er keine Angaben. Demnächst muss er sich selbst vor Gericht verantworten.
Im Verlauf des Prozesses wird die Rollenverteilung der Viererbande deutlich: Zwei Haupttäter trieben die Geschehnisse in jener Nacht voran. Der 17-Jährige war zwar überall dabei – wurde selbst aber nicht handgreiflich. Der 20jährige Fahrer verließ das Auto nicht. Er kannte das Opfer nicht und war der Einzige, der sich vor der Verhandlung bei ihm entschuldigte. Während des Prozesses tun es ihm die anderen gleich. „Es hätte nicht so ausarten dürfen“, sagt einer.
Tränen bei Urteilsverkündung
Als sich vor der Urteilsverkündung Justizbeamte an den Ausgängen des Saals aufstellen, fließen im Zuschauerbereich Tränen. Richter Dr. Harald Harteis folgt der Einschätzung der Jugendgerichtshilfe und wendet bei allen Angeklagten das Jugendstrafrecht an. Ansonsten, so betont er, hätte ihnen bei der Schwere der Taten – darunter schwerer Raub, Freiheitsberaubung, Körperverletzung – bis zu 15 Jahre Haft gedroht.
Die zwei Haupttäter müssen drei Jahre und sechs Monate beziehungsweise drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis.
Der Fahrer erhält ein Jahr und sechs Monate, der 17-Jährige ein Jahr und neun Monate – beide auf Bewährung und mit Auflagen. Nach der Verhandlung sind die Täter von Familien und Freunden umringt. Das Opfer verlässt den Saal – mit einem Lächeln.