Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Von Isny nach Pyeongchang
Paralympics: Clara Klug führt deutsche Mannschaft ins Stadion und fesselt Leon Adriaans vor den Fernseher
Fahnenträgerin Clara Klug begann Karriere bei Langlauftrainer Leon Adriaans.
ISNY - Es wurde die erwartet schlafarme Zeit: Die Nächte von Montag auf Dienstag und von Donnerstag auf Freitag vergangene Woche – „die Nächte, in denen es um die Medaillen ging“– hat Leon Adriaans, Trainer in der Behindertenabteilung des Wintersportvereins Isny, vor dem Fernseher verbracht. Natürlich wollte er „Live-Zeuge“werden, wie drei seiner einstmaligen Schützlinge bei den Paralympics im südkoreanischen Pyeongchang abschneiden. „Ich habe nicht erwartet, dass sie so viel gewinnen dürfen“, zieht er gestern im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“die „positive Bilanz“.
Wie berichtet, hatten Clara Klug, Anja Wicker und Martin Fleig als Jugendliche in Isny bei Adriaans trainiert, auch später trafen sie sich immer wieder bei Lehrgängen und Wettkämpfen. Jetzt kehren zwei von ihnen als paralympische Medaillengewinner zurück – Klug gar als Fahnenträgerin, die die deutsche Mannschaft bei der gestrigen Abschlussfeier ins Stadion führen durfte.
Dank an die Trainer
Zweimal Bronze hat die 23-jährige Paralympics-Debütantin Klug in Pyeongchang gewonnen. „Es hätten zwei Silberne sein können, wenn die Russin nicht zugelassen worden wäre“, merkt Adriaans als einzigen Kritikpunkt der erfolgreichen Woche an. Einer aus Russland stammenden Biathletin war kurzfristig Startrecht unter der neutralen Flagge des Paralympischen Komitees erteilt worden, obwohl gegen sie Dopingverdacht besteht. Sie platzierte sich vor Clara Klug.
Mit ihr stand Leon Adriaans mehrfach in Kontakt: „Ich musste ja jedes Mal gratulieren – und habe mich sehr gefreut, als sie in einem Fernsehinterview auch ihren Trainern gedankt hat“, erzählt der niederländische Wahl-Isnyer. Er fühlte sich persönlich angesprochen.
Schmunzeln muss er, wenn er ans „Beinahe-Missgeschick“der blinden Biathletin im ersten Rennen zurückdenkt. Bundesweit ging durch die Medien, wie Klug wenige Meter vor der Ziellinie langsamer wurde, weil sie dachte, das Rennen sei bereits vorbei. Erst als ihr Begleitläufer Martin Härtl lautstark gegen den Jubel des südkoreanischen Publikums anschrie, sie solle weiterlaufen, sicherte sich Klug doch die Bronzemedaille. Bei den Paralympics sei derlei natürlich nicht zu beeinflussen, aber im Training achte er darauf, dass es an Start und Ziel möglichst leise ist, damit sich die sehbehinderten Läufer besser orientieren können, bescheibt Adriaans ein Detail seiner Arbeit.
Aus Pyeongchang weiß er außerdem zu berichten, dass Biathletin im Auftaktrennen eigentlich schon in der ersten Runde aussteigen wollte, weil sie wetterbedingt mit AsthmaProblemen zu kämpfen hatte. Härtl habe sie bis zum ersten Schießen genötigt: „Als sie dann eine Null schoss, kam die Motivation, weiterzumachen“, erzählt Adriaans. Und bis zur letzten Runde sei es mit den Beschwerden dann immer besser geworden: „Das war das Besondere an der ersten Bronzemedaille“.
Erstes Männer-Gold seit Jahren Noch größer sind Freude und Stolz darüber, dass sein einstiger Schützling Martin Fleig der erste deutsche paralympische Goldmedaillen-Gewinner seit acht Jahren wurde. „2018 war das noch viel schwieriger als früher, weil Amerikaner, Kanadier und Russen mit dabei waren, nicht nur ein paar Hansel – das war eine richtig große Leistung von Martin, echter Spitzensport“, zieht Adriaans bildlich gesprochen den Hut.
Auch von Biathlet Fleig weiß er etwas, was nicht die große Öffentlichkeit erreicht hat: „Nach dem sechsten Platz im ersten Wettkampf war er richtig am Boden zerstört und hat in der Kabine geweint“, erfuhr Adriaans, der das Verhältnis zu seinen früheren Athleten als „sehr herzlich“charakterisiert. Die Trainer in Südkorea und Freunde zu Hause hätten den Langläufer „wieder fangen können“, im zweiten Rennen langte es schon zu Platz vier.
Dann kam das Goldrennen über 12,5 Kilometer: „Beim dritten Schießen hatte Martin drei, vier Sekunden Vorsprung, dann hat er wieder eine Null geschossen und seine Trainer haben ihn angefeuert: ’Jetzt gilt’s!’ Das war ein unheimlicher Druck“, weiß Adriaans.
Am frühen Sonntagmorgen freute er sich zuletzt über die Medaille in der Team-Staffel. Noch einmal war früh aufstehen angesagt gewesen. Und nach dem Gespräch mit der SZ umgehend die Rückkehr an den heimischen Fernseher zur Übertragung der Abschlussfeier mit „seiner“Fahnenträgerin, Clara Klug.
„Ich werde bei den Ehrungen dabei sein, wenn sie nach Deutschland zurückkehren“, verneint Adriaans die letzte Frage, ob er am Flughafen zum Empfangskomitee gehöre, wenn die Sportler aus Südkorea zurückkehren. „Ich muss auch mal wieder in der Schule sein“, ulkt der Sportlehrer, der in Wilhelmsdorf hör- und sehbehinderte Kinder und Jugendliche unterrichtet und von Isny dorthin jeden Tag pendelt. Es sei nach den zwei Fernsehnächten vergangene Woche schon einiges an Konzentration nötig gewesen, „mit sehr wenig Schlaf geradeaus zu fahren“.
Eltern oder Erwachsene, die Gefallen gefunden haben an den Paralympics, lädt Leon Adriaans ein, sich bei ihm zu melden, wenn sie Kinder oder Jugendliche mit Handicap kennen, die Lust haben, sich in Isny einmal im Wintersport zu probieren. Der Kontakt zum Trainer ist möglich per E-Mail an:
allgaier05@web.de