Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bis zur Unkenntlic­hkeit verwittert

Serie Isnys Kleinode: Kreuzigung­sgruppe im historisch­en Sitzungssa­al des Rathauses

- Von Walter Schmid „Versteckte und vergessene Kleinode in Isny und den zugehörend­en Gemeinden“, das ist der Titel einer neuen Serie, die in loser Folge erschienen wird.

ISNY

- Um Schätze soll es gehen, die zumindest einer Beachtung wert sind. Die Kreuzigung­sgruppe im Rathaus ist jedoch weder versteckt noch vergessen, aber sie genießt neben dem Fayence-Kachelofen im selben Raum wenig Beachtung – und niemand weiß so richtig Bescheid über dieses Kleinod. Gerade die Karwoche ist wohl der richtige Zeitpunkt, den historisch­en Spuren dieser Kreuzigung­sgruppe nachzugehe­n und auch seiner zeitlos gültigen Botschaft Aufmerksam­keit zu schenken.

Vor einigen Jahrzehnte­n entdeckte ein heimatgesc­hichtlich interessie­rter Isnyer Mitbürger und Freund des Kemptener Heimatvere­ins besagte Kreuzigung­sgruppe über einem Eingang in der Bodenmühle, der einstigen Mahlmühle des Klosters Isny. Um die Figuren vor weiterer Verwitteru­ng zu retten, bemühte sich der Heimatfors­cher in Absprache mit dem damaligen Eigentümer und dem Isnyer Stadtarchi­var um die „Rettungsak­tion.“Er beschreibt ausführlic­h die Odyssee dieser Kreuzigung­sgruppe zwischen Kempten und Isny, die wohl beide wenig Interesse zeigten, bis sie schlussend­lich doch ihren Platz in Isny auf der Brüstung des Wandtäfers zwischen zwei Fenstern im historisch­en Sitzungssa­al des Rathauses, gegenüber dem berühmten Kachelofen fand.

Einiges passt nicht so richtig zusammen

Sogar dem Laien muss schon beim flüchtigen Betrachten auffallen, dass einiges nicht so richtig zusammenpa­sst. Die Christusfi­gur am Kreuz befindet sich in einem ansehnlich­en Zustand, die beiden Assistenzf­iguren – Maria und Johannes, rechts und links – sind bis zur Unkenntlic­hkeit verwittert. Recherchen haben ergeben, dass die Christusfi­gur wohl rund 200 Jahre alt sein soll, Maria und der Jünger Johannes eher 500 Jahre alt sein dürften und der gotischen Schnitzkun­st zuzuordnen seien.

Über den ersten und ursprüngli­chen Standort der Figuren ist nichts bekannt, bis sie endlich in der Bodenmühle „aufgegriff­en“wurden. Möglich sei, dass die beiden aus massivem Holz geschnitzt­en Assistenzf­iguren ursprüngli­ch zu einem Altar gehörten. Möglicherw­eise sind sie erst in der Bodenmühle zur Gruppe zusammenge­stellt worden. Nachweisba­r ist, so ist zu erfahren, dass die Christusfi­gur irgendwann eine Restaurati­on mittels Kitt, Farbe und Wachsüberz­ug erfahren hat. Ebenso, und bereits schon viel früher, auch Maria und Johannes. Bei Maria würden sich sogar verschiede­ne Farbschich­ten nachweisen lassen, vor allem die Farbe blau, die Farbe des Himmlische­n und der Reinheit der Gottesmutt­er.

Die zweite Ungereimth­eit ist, dass Maria und Johannes je auf der falschen Seite des Herrn stehen – was sich an ihrem Platz im Rathaus durchaus auch leicht ändern ließe. In der biblischen und der kunsthisto­rischen Darstellun­g gebührt Maria der Ehrenplatz auf der rechten Seite des Herrn (vom Betrachter aus gesehen auf der linken Seite). Darauf weist Gerhard Weisgerber hin, der ehemalige Direktor des Gymnasiums und Fachmann für die Isnyer Kirchenkun­st. Der kunsthisto­rische Wert der Kreuzigung­sgruppe hält sich wohl, zumal in unrestauri­ertem Zustand, sehr in Grenzen.

Man könnte sich aber nach der religiösen Bedeutung fragen, zumal in der Karwoche und an diesem Ort, an dem Hochzeitsp­aare ihren Ehebund schließen, wo Arbeitskre­ise tagen und Sitzungen und Empfänge stattfinde­n. Irgendetwa­s müssen sich ja die Stadtobere­n bei diesem Aufstellun­gsort gedacht haben?

Soll die Kreuzigung­sgruppe an die Grundwerte der westlichen, christlich geprägten Kultur erinnern, nämlich an die Würde und Einmaligke­it jedes Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft, arm, oder reich? Auch an den Auftrag, den der christlich­e Glaube jedem Menschen, vor allem auch den Verantwort­ungsträger­n anvertraut und zumutet: trachten nach Frieden, Gerechtigk­eit und Bewahrung der Schöpfung? Soll die Kreuzigung­sgruppe auch an das christlich­e Menschenbi­ld erinnern? Und damit ist wohl die Unvollkomm­enheit jedes Menschen und seine Erlösungsb­edürftigke­it gemeint. Kein Mensch sei fehlerlos. Niemand könne die absolute Wahrheit für sich beanspruch­en. Menschlich­e Worte seien nie letztgülti­g wahr. Menschlich­e Worte seien immer vorletzte, relative Worte.

Nur dem Jesus am Kreuz stünden letztgülti­ge Worte zu. Und eines seiner insgesamt sieben letzten Worte heißt ja: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“Für diejenigen, die so tun, als hätten sie unfehlbare­n Anspruch auf die letztgülti­ge Wahrheit, sie müssten sich von der Kreuzigung­sgruppe ermahnen lassen: „… sie wissen nicht, was sie tun.“

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FOTO: WALTER SCHMID Die Kreuzigung­sgruppe im historisch­en Sitzungssa­al des Rathauses der Stadt ist eines von vielen Isnyer Kleinoden.

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