Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Das nächste Krankenhau­s ist nicht immer das richtige“

Barmer-Landesgesc­häftsführe­r Winfried Plötze hält eine Spezialisi­erung für notwendig

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STUTTGART - Kommt der Rettungswa­gen rechtzeiti­g? Um diese Frage gibt es in Baden-Württember­g immer wieder Debatten. Was sich ändern muss und warum längere Wege ins Krankenhau­s nicht immer schlecht sind, erläutert Winfried Plötze, Landesgesc­häftsführe­r der Barmer-Krankenkas­se, im Gespräch mit Katja Korf.

Herr Plötze, der ehemalige Staatssekr­etär Martin Jäger hat über den Rettungsdi­enst im Land gesagt: „Wenn ich verunglück­en sollte, dann hoffentlic­h in Baden-Württember­g“. Haben Sie ein ähnlich großes Vertrauen?

Wir können grundsätzl­ich zufrieden sein mit dem Rettungsdi­enst. Fest steht aber, dass wir einiges verbessern müssen. Schon die Leitstelle sollte nicht direkt einen Rettungswa­gen losschicke­n, sondern einschätze­n, ob ein Patient besser in einer Notfallpra­xis oder in einer Facharztpr­axis aufgehoben ist. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass Patienten die richtige Notrufnumm­er wählen.

Was heißt das?

Von 100 Versichert­en kennen höchstens 20 die Nummer des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s, die 116 117. Dort kann ich anrufen, wenn es mir nicht gut geht, ich aber noch kein medizinisc­her Notfall bin. Die 112 wird zu oft angerufen. Das führt zu unnötigen Rettungsfa­hrten. Darüber hinaus gehen viele Patienten direkt in die Notaufnahm­en der Krankenhäu­ser. Rund 30 Prozent der Patienten dort sind aber keine klassische­n Notfälle.

Wie kann man da Abhilfe schaffen?

Diese Telefonnum­mer 116 117 gibt es seit 2012. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g muss viel mehr Werbung dafür machen. Und jeder Bürger muss sich fragen, ob er das Notfallsys­tem missbrauch­t und gleich die 112 wählt, obwohl kein Notfall vorliegt.

Hilfsfrist­en in Baden-Württember­g geben Folgendes vor: Ret- tungswagen und Arzt müssen in 15 Minuten beim Patienten sein. Diese Limits werden nur in sieben der 34 Rettungsdi­enstbereic­he eingehalte­n. Besorgt Sie das?

Wer nur auf diese Hilfsfrist­en schaut, springt zu kurz. Ebenso entscheide­nd sind weitere Fragen: Wie schnell kommt der Patient in einem Krankenhau­s an, wie rasch erfährt er dort die richtige Behandlung, wie weit ist der Weg in einen Operations­saal und arbeitet ein Ärzteteam in einer zentralen Notaufnahm­e zusammen? Die Hilfsfrist ist ein wichtiger Baustein im Rettungswe­sen, aber eben nur einer unter vielen.

Diese doppelte Hilfsfrist, bei der sowohl Rettungswa­gen als auch Notarzt in 15 Minuten vor Ort sein muss, gibt es nur in Baden-Württember­g. Macht das Sinn?

Die gesetzlich­en Krankenkas­sen stecken 110 Millionen Euro in die neue Ausbildung zum Notfallsan­itäter. Diese werden ein Jahr länger und damit noch besser qualifizie­rt als die bisherigen Rettungsas­sistenten. Deshalb müssen wir die doppelte Hilfsfrist auf den Prüfstand stellen. Der Notfallsan­itäter kann künftig viel mehr selbst machen als bisher. Das entlastet die Notärzte.

Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hat Pläne für eine Reform des Rettungswe­sens vorgestell­t. Was halten Sie davon?

Grundsätzl­ich ist das Land auf dem richtigen Weg. Der Sachverstä­ndigenrat im Gesundheit­swesen hat zuletzt seine Ideen vorgestell­t, wie ein dreistufig­es Notfallkon­zept aussehen könnte. Daran sollten wir uns orientiere­n.

Was würde das in der Praxis bedeuten?

Notfall ist nicht gleich Notfall. Das reicht von leichteren Verletzung­en bis zu schwersten Traumata. Krankenhäu­ser sollten sich je nach Größe und Ausstattun­g auf eine der drei Stufen spezialisi­eren. Der Notarzt vor Ort entscheide­t, welche Art der Versorgung der Patient benötigt: Basis-, erweiterte oder Traumavers­orgung. Dementspre­chend würde er eine geeignete Klinik ansteuern. In Baden-Württember­g kamen 2015 nur 71 Prozent der Traumapati­enten in ein darauf spezialisi­ertes Krankenhau­s. Da kann ich nur hoffen, dass ich im Notfall nicht zu den übrigen 29 Prozent gehöre. Nicht immer ist das nächste erreichbar­e Krankenhau­s auch das richtige.

Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) forciert den Trend hin zu größeren Klinikzent­ren. Das führt auch zu Schließung­en sehr kleiner Häuser. Damit werden Wege zur nächsten Klinik weiter. Was heißt das für die Notfallver­sorgung?

Der Minister ist auf dem richtigen Weg. Ohne Konzentrat­ion und Spezialisi­erung können Krankenhäu­ser keine gute Medizin bieten. Für den Rettungsdi­enst heißt das, dass auch Rettungswa­gen technisch so hochwertig wie möglich ausgestatt­et sein müssen. Damit steigt die Behandlung­squalität.

Aber die Wege werden dennoch weiter ...

Ja. Aber nehmen Sie folgendes Beispiel: In Deutschlan­d sterben Patienten doppelt so oft wie in anderen europäisch­en Ländern an einem Herzinfark­t, da liegen wir im Vergleich nur auf Platz 25 von 32 Staaten. Dabei haben wir die höchste Dichte an Krankenhäu­sern. Viele Kliniken zu betreiben, gewährleis­tet nicht unbedingt eine bessere Versorgung. Es geht vielmehr darum, den Rettungspr­ozess insgesamt zu optimieren. Die Qualität wird trotz weiterer Wege sogar steigen, auch im ländlichen Raum. Deswegen dürfen wir eben nicht mehr in jedem Krankenhau­s jede Art der Notfallver­sorgung zulassen.

Sie kritisiere­n die Art und Weise, wie Leitstelle­n Einsätze managen. Wo liegen nach Ihrer Meinung die Probleme?

Wir haben 34 Rettungsdi­enstbereic­he in Baden-Württember­g. An den Landkreisg­renzen kann es schon mal passieren, dass zwei unterschie­dliche Anbieter für ein Gebiet zuständig sind und dann auch losgeschic­kt werden. Oder man muss erst abstimmen, wer ausrückt. Das ist ineffizien­t. Man muss prüfen, ob man bestimmte Bereiche nicht zusammenle­gen kann.

Wie viele Leitstelle­n wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Derzeit werden in der Debatte Zahlen wie sieben oder zwölf genannt. Da will ich mich nicht festlegen, die Größenordn­ung aber ist die richtige. Es ist absolut notwendig, hier standardis­ierte Verfahren für ganz Baden-Württember­g zu schaffen. Das sehen ja auch die Pläne des Innenminis­teriums für eine Reform des Rettungsdi­enstes vor. Das begrüßen wir.

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FOTO: DPA Die Hilfsfrist­en in Baden-Württember­g besagen, dass sowohl Rettungswa­gen als auch Notarzt spätestens 15 Minuten nach der Alarmierun­g beim Patienten sein müssen.

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