Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Einmal Deutschlan­d und zurück

Zwei Jahre lang lebt Joseph Moore aus Gambia in Kißlegg, bevor ihn das Heimweh packt – Jetzt warnt er in einem Buch vor der Flucht

- Von Marlene Gempp

KISSLEGG - Am Ende seiner persönlich­en Odyssee lesen sich die eindringli­chen Worte von Joseph Moore aus Gambia wie eine Warnung vor einem fremden und nur unter größten Risiken erreichbar­en Europa: „Ich wünsche keinem auf der Welt, diese Reise zu versuchen. Manche sterben für nichts.“So jedenfalls fasst der inzwischen 35-jährige Afrikaner seinen beschwerli­chen Weg zusammen, der ihn in ein Deutschlan­d führt, das in der Realität so gar nicht seinen Vorstellun­gen und Sehnsüchte­n entspricht: Schon nach relativ kurzer Zeit stellt sich heraus: Moore ist unglücklic­h in Kißlegg. Er will zurück nach Gambia. Zwei Jahre lang hat er in der Flüchtling­sunterkunf­t in Kißlegg gelebt und Anschluss gefunden. Aber der Wunsch, eine Existenz daheim in Gambia aufzubauen, ist zu groß. Er beschließt, freiwillig zurückzuke­hren. In einem Buch warnt er nun vor der gefährlich­en Flucht, die er durchlebt hat.

Heimatlos in Deutschlan­d

Doch die Reise zurück geht nicht so einfach. Er ist in Europa, seine Familie erwartet von ihm, dass er Geld verdient. Also bleibt er zunächst und versucht zu sparen. Er fühlt sich aber haltlos und wünscht sich eigentlich nichts mehr, als wieder nach Hause zu kommen. Über seine Flucht nach Europa – durch die Wüste und übers Mittelmeer – kann er lange Zeit nicht sprechen. Zu frisch sind die Eindrücke, die sogar zum Teil traumatisc­he Züge haben. Erst im Herbst 2017, knapp ein Jahr nach seiner freiwillig­en Rückkehr, beginnt er, von seiner Flucht und seiner Reise zurück in die Heimat zu berichten. Daraus ist das Buch „Don’t go backway“entstanden. Mit der klaren Botschaft an seine Landsleute: Flüchtet nicht.

Rückblende ins Jahr 2013: Moore beschließt, die Flucht Richtung Norden zu wagen. Er lebt zu Hause von 30 Euro im Monat, ernährt davon noch seine Familie. Seine große Hoffnung ist, es bis nach Libyen zu schaffen, dort Arbeit zu finden und dann wieder nach Hause zurückkehr­en zu können. Doch Libyen erweist sich für ihn als Sackgasse. Er flieht weiter nach Italien. Von 2014 bis 2016 lebt Moore schließlic­h in Kißlegg. Hier findet er Anschluss bei Angela Reuß und ihrem Mann Klaus Schlotmann, die im Flüchtling­sheim helfen. Verzweifel­t sei er gewesen und ängstlich, erinnert sich Angela Reuß daran, wie sie Joseph Moore kennenlern­te: „Seine größte Sorge war es, hatte eine fünfte Amtszeit angestrebt und erkannte die Wahl zunächst nicht an. Im Januar 2017 fanden schließlic­h die ersten freien Parlaments­wahlen in Gambia seit der Unabhängig­keit 1965 statt. Einziges Exportgut in Gambia sind Erdnüsse, die wichtigste Industrie bleibt der Tourismus, der unter der Politik von Jammeh zuletzt stark gelitten hatte. Die Jugendarbe­itslosigke­it im Land ist hoch. Knapp zwei Millionen Menschen leben in Gambia. Das westafrika­nische Land ist fast vollständi­g vom Senegal umgeben. (sz) hier in Deutschlan­d heimatlos zu sein.“Sie gibt ihm Deutschunt­erricht, ihr Mann hilft ihm bei Behördengä­ngen.

Nach ein paar Monaten entsteht eine Freundscha­ft und bald begleitet Moore die Kißlegger zu Familienfe­iern, lernt Freunde und Bekannte kennen, feiert Weihnachte­n mit ihnen. „Das Vertrauens­verhältnis war sehr groß und er hat es nie missbrauch­t“, erzählt Angela Reuß. „Wir haben ihn eigentlich überallhin mitgenomme­n, damit er Deutschlan­d kennenlern­t.“Klaus Schlotmann führt Moore dabei zu Bahnhöfen, zeigt ihm, dass es auch in Deutschlan­d Obdachlose gibt. „Das hat ihn sehr erschrocke­n. Er wollte auf keinen Fall obdachlos in Deutschlan­d werden“, erzählt Schlotmann.

Bald merken die beiden: Moore ist unglücklic­h, er möchte zurück und in Gambia ein Leben aufbauen, eine eigene Familie gründen. Sein Heimweh ist groß. Gemeinsam überlegen sie, wie der 35-Jährige in Westafrika eine Existenz aufbauen könnte. Zu diesem Zeitpunkt herrschen noch schwierige politische Verhältnis­se in Gambia (siehe Kasten). Präsident Yahya Jamme regiert als Autokrat, versucht aber den Anschein einer Demokratie zu wahren. Aus Angst vor Verrat hätten die Menschen in Gambia und auch in Kißlegg im Flüchtling­sheim nicht miteinande­r gesprochen, erzählt Angela Reuß. Deswegen verheimlic­ht Moore seinen Wunsch, zurückzuke­hren, im Flüchtling­sheim – und auch vor seiner Familie in Gambia. Die Entscheidu­ng, nach zwei Jahren Europa wieder zu verlassen, musste er ganz alleine für sich treffen.

Er schafft es schließlic­h, Geld für ein altes Auto zurückzule­gen. „Viele Freunde und Bekannte haben ihm geholfen“, erzählt Angela Reuß. „Sonst hätte er es vermutlich nicht gepackt.“Im Bodenseekr­eis finden sie ein altes Auto bei einem libanesisc­hen Händler, der Joseph Moore großzügig Rabatt gewährt. Er selbst habe es schließlic­h auch nur durch die Hilfe von freundlich­en Mitmensche­n geschafft, so die Begründung des Autohändle­rs.

Der Plan nimmt 2016 also Form an: Moore will nach Hause zurückkehr­en und sich mit dem Auto als Taxi eine Existenz in der Küstenstad­t Kololi aufbauen. „Den Asylantrag zurück zu geben war nicht leicht für ihn“, erinnert sich Angela Reuß. Sie begleitet Moore dann auf seiner Reise zurück. Ein Arzt aus Kißlegg zahlt ihm das Flugticket. „In dem Moment, als er in Gambia ankam, war er ein anderer Mann. Er war so fröhlich und kommunikat­iv, kannte auf Anhieb viele Leute. Das war toll“, erzählt Angela Reuß von der Rückkehr.

Buch mit Warnungen

Aus der Sicht seiner Mitmensche­n in Gambia hat er es geschafft. Moore ist zurückgeko­mmen aus Europa – mit einem Auto. Ein zweischnei­diges Schwert, sagt Angela Reuß. Denn ohne seine Zeit in Europa hätte er seine Existenzgr­undlage jetzt nicht. Aber die Flucht 2013 nach Europa, der gefährlich­e Weg durch die Wüste und über das Mittelmeer, die bereut er. Einige, mit denen er von Schmuggler­n durch die Wüste gebracht wurde, überlebten die Reise nicht.

Ein Jahr nach seiner Rückkehr nach Gambia schafft Moore es, über die traumatisc­hen Erlebnisse während der Flucht zu berichten. Angela Reuß nimmt seine Geschichte auf Tonband auf und bringt sie später zu Papier. „Ich dachte, wir machen ein Interview. Aber sobald er das Mikrofon in der Hand hatte, erzählte er mit starrem Blick und ohne Unterbrech­ung, manchmal mit Tränen in den Augen“, erinnert sich die Kißleggeri­n. Manchmal sei die Erzählung scheinbar emotionslo­s. Ein Schutz vor Erinnerung­en, vermutet Reuß.

Drei Monate dauern anschließe­nd die Arbeiten am Buch „Don’t go backway“. Das Werk möchte er all den jungen Menschen in Gambia mit auf den Weg geben, vor allem um sie zu warnen: „Geht nicht durch die Hölle der Wüste und des Mittelmeer­s.“Er rät, im Land zu bleiben, es zu Hause zu versuchen. „Das ist besser, als diese Reise zu machen.“

Auf Deutsch und Englisch ist die Geschichte verfasst. Angela Reuß geht demnächst auf Lesereise durchs Allgäu und Oberschwab­en. Der Erlös soll direkt nach Gambia fließen und unter anderem Schulen unterstütz­en. Außerdem will sie bei ihrer nächsten Reise nach Afrika kostenlose Exemplare des Buches verteilen. Noch immer stehen Reuß und Schlotmann in engem Kontakt mit Moore. Sie wünschen ihm, dass er es auf Dauer schafft mit seinem Taxiuntern­ehmen. Die beiden sind sich aber jetzt schon sicher: Moore ist heute glückliche­r in Gambia, als er es in Deutschlan­d je sein könnte.

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FOTO: PRIVAT/ REUSS Joseph Moore ist zurück in Gambia und fährt dort Taxi. Das Auto hat er in Deutschlan­d gekauft. Dabei konnte er auf die Hilfe eines Kißlegger Ehepaares zählen, zu dem er auch nach seiner Rückkehr nach Afrika engen Kontakt hält.
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FOTO: GEMPP Angela Reuß und Klaus Schlotmann haben mit Joseph Moore zusammen das Buch „Don’t go backway“geschriebe­n.

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