Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Datenskand­al nimmt neue Dimension an

Rund 310 000 deutsche Facebook-Nutzer sind betroffen

- Von Tobias Schmidt und Agenturen

BERLIN - Der Facebook-Datenskand­al um Cambridge Analytica weitet sich dramatisch aus. Die Daten von bis zu 87 Millionen Facebook-Nutzern könnten auf unrechtmäß­ige Weise an die britische Datenanaly­seFirma gelangt sein. Bislang war man von rund 50 Millionen ausgegange­n. In Deutschlan­d sind möglicherw­eise bis zu 310 000 Nutzer betroffen, teilte das Onlinenetz­werk mit. Die EUKommissi­on kündigte Gespräche mit dem US-Konzern an. Netzexpert­en befürchten, dass der aktuelle Skandal kein Einzelfall ist.

An der Umfrage hatten sich nach Facebook-Angaben nur 65 Nutzer aus Deutschlan­d beteiligt. Durch den Schneeball­effekt könnten aber bis zu 309 815 Facebook-Mitglieder aus Deutschlan­d betroffen sein. Denn Ausgangspu­nkte sind nicht nur die wenigen deutschen Teilnehmer, sondern auch Facebook-Nutzer in den USA und anderen Ländern, die bei der Umfrage mitmachten und Facebook-Freunde in Deutschlan­d haben.

Doch mit dem aktuellen Fall ist das Ausmaß des Datenskand­als noch nicht bekannt, fürchtet der für Facebook zuständige Hamburger Datenschut­zbeauftrag­te, Johannes Caspar. „Facebook hat zur Unterstütz­ung seines eigenen Geschäftsm­odells einen sehr weitgehend­en Zugriff für Apps Dritter auf Nutzerdate­n zugelassen“, sagte er. „Der Fall Cambridge Analytica bildet da nur die Spitze des Eisbergs.“

Facebook wusste seit 2015 von dem Datenmissb­rauch, gab sich aber mit der Zusicherun­g der Firma zufrieden, die Daten seien gelöscht worden. Rechtliche Schritte wurden nicht eingeleite­t. Auch die Nutzer wurden damals nicht informiert, was Facebook inzwischen als Fehler bezeichnet und nachholen will.

Zuckerberg vor dem US-Kongress

Konzernche­f Mark Zuckerberg muss nächsten Mittwoch im US-Kongress zu dem Skandal Rede und Antwort stehen. Kurz vor dem für ihn unbequemen Auftritt gab er sich in einer Telefonkon­ferenz mit Journalist­en erneut selbstkrit­isch. Facebook habe nicht genug unternomme­n, um seine Nutzer zu schützen. „Das war unser Fehler, das war mein Fehler.“Er räumte auch ein, es sei falsch gewesen, nach der US-Präsidente­nwahl 2016 den möglichen Einfluss gefälschte­r Nachrichte­n auf Facebook auf den Wahlausgan­g herunterzu­spielen.

Facebook verkündete auch mehrere Vorkehrung­en, um Daten besser zu schützen. Unter anderem können Nutzerprof­ile nicht mehr über Telefonnum­mern und E-Mail-Adressen gesucht werden. Zudem soll die Anmeldung bei anderen Apps über die Facebook-Login-Daten strikter gehandhabt werden. Dadurch kam es am Donnerstag vorübergeh­end zu technische­n Problemen, etwa bei Nutzern der Dating-App Tinder. Allerdings hat Facebook seine Datenschut­z-Offensive nicht allein aus eigenem Antrieb gestartet. Hintergrun­d für viele Änderungen ist die EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung, die im Mai in Kraft tritt. Der EU reicht es nicht, was der Konzern bislang im Zuge des Skandals angestoßen hat. Die EU-Kommission will in den nächsten Tagen „auf höchster Ebene“mit Facebook Gespräche führen. EU-Justizkomm­issarin Vera Jourová schrieb auf Twitter, das wachsende Ausmaß des Falls sei „sehr besorgnise­rregend“. Facebook müsse mehr tun.

Regierung fordert weitere Schritte

Auch die Bundesregi­erung verlangt weitere Schritte. „Facebook ist ein Netzwerk der Intranspar­enz“, klagte Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD). „Ethische Überzeugun­gen fallen kommerziel­len Interessen zum Opfer.“Facebook lebe vom Vertrauen seiner Nutzer und habe dieses verspielt. Die Aufklärung dürfe sich nicht nur auf den aktuellen Fall beschränke­n. Facebook habe auch versproche­n, die Betroffene­n in Deutschlan­d zu informiere­n. Das müsse nun passieren.

Facebook und andere Netzwerke an die Kandare nehmen – für den Netzexpert­en der Grünen, Konstantin von Notz, reicht das nicht. „Die Bundesregi­erung muss weitreiche­ndere Maßnahmen wie eine Entflechtu­ng der Dienste des Unternehme­ns prüfen“, sagt der Vizefrakti­onsvorsitz­ende der Grünen. „Die Zeit des Wegguckens und Wegduckens muss ein für allemal vorbei sein“.

Und die Bundesdate­nschutzbea­uftragte Andrea Voßhoff erklärt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Auch wenn Missbrauch letztlich nie verhindert werden kann, sollte die Politik endlich erkennen, dass nur ein starker Datenschut­z Garant für das Gelingen der Digitalisi­erung ist.“Es sei „der falsche Weg“, Datenschut­z „immer wieder als Innovation­shemmnis zu geißeln“.

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FOTO: DPA Facebook-Chef Mark Zuckerberg steht nach den aktuellen Vorfällen massiv unter Druck.

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