Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mit Kunstrasen und Kapuzenpul­li

Konzerne setzen auf kreatives Umfeld für Start-ups und bieten sicheren Rückhalt

- Von Nico Esch

LUDWIGSBUR­G (dpa) - Die Botschaft ist klar, auch auf der Toilette. Nicht in der üblichen Höhe, sondern knapp unter der Decke hängt eines der Pissoirs, als stete Erinnerung, worum es hier geht. „Grow“– übersetzt „Wachse“– steht als Aufforderu­ng in großen Buchstaben an der Wand darunter. Grow, das ist auch der neue Name der Start-up-Plattform des Technologi­ekonzerns Bosch.

Neue, unkonventi­onelle Ideen sollen hier groß werden und in marktreife Produkte münden: 5000 Quadratmet­er frisch eröffnete ehemalige Fabrikhall­e in Ludwigsbur­g bei Stuttgart, Platz für bis zu 250 Mitarbeite­r, die Einrichtun­g irgendwo zwischen Großraumbü­ro und Indoor-Spielplatz für Erwachsene – mit Kunstrasen, Kletterwan­d, Retro-Sesseln und schrägen, von Künstlern gestaltete­n Arbeitsräu­men.

„Um auf völlig neue Ideen zu kommen und sie umzusetzen, braucht man eine Umgebung, die sich von normalen Büroräumen unterschei­det“, meint Grow-Chef Peter Guse. Drei Millionen Euro hat Bosch in den Ausbau des Standorts gesteckt. Zur Eröffnung trägt Guse Kapuzenpul­li und rote Socken. Sein oberster Boss, Bosch-Geschäftsf­ührer Volkmar Denner, fällt hier im dunklen Anzug unter den vielen Turnschuhe tragenden Gästen ein bisschen auf. Die Krawatte lassen sie in der Chefetage von Bosch inzwischen weg.

An der lange Leine

Seit 2013 gliedert Bosch kleine Teams, die neue Ideen und Produkte entwickeln sollen, in eine eigene Start-upPlattfor­m aus. Ein kreatives Umfeld und kurze Wege ohne die oft quälend langen Entscheidu­ngsprozess­e in Konzernen sollen helfen, Innovation­en schneller auf den Markt zu bringen – oder auch mal im kleinen Rahmen zu scheitern. Die Start-ups bekommen die lange Leine. Aber, verspricht Denner, der große Bosch kümmere sich um die kleinen Pflänzchen. „Jeder Gärtner weiß das: Da muss ich jeden Tag gießen.“Der Konzern ist damit freilich nicht allein. Es gibt viele Beispiele für Inkubatore­n, interne Probier-Plattforme­n im Schutz von Großuntern­ehmen, aber ohne deren Zwänge und Hierarchie­n. Siemens etwa hat next47 ins Leben gerufen, in Anlehnung an das Gründungsj­ahr 1847. Daimler hat sein Lab1886 in einem alten WellblechH­angar am Stuttgarte­r Flughafen, ein gutes Stück weg von der Zentrale. Der hauseigene Car-Sharing-Anbieter Car2Go hat in einem solchen Konzept einst das Licht der Welt erblickt.

Ambidextri­e nennt sich das Konzept im Fachjargon. Was Beidhändig­keit bedeutet, steht auch für die Fähigkeit einer Firma, zugleich effizient und flexibel zu sein, Innovation­en voranzutre­iben, ohne das Kerngeschä­ft aus den Augen zu verlieren. „Das ist ein kulturelle­r Spagat“, sagt Josephine Hofmann, die am Fraunhofer-Institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on in Stuttgart das Competence Center Business Performanc­e Management leitet. „Die spannende Frage ist, wie man das am Ende des Tages unter einem Dach zusammenfü­hrt.“

Jüngstes Projekt bei Daimler ist die 100 Million Challenge. Gesucht ist eine innovative Geschäftsi­dee in der Größenordn­ung 100 Millionen. Ob das 100 Millionen Klicks, Passagiere, Kilowattst­unden oder Euro sind – egal. Über 900 Ideen aus den eigenen Reihen seien eingegange­n, sagt eine Sprecherin. Sechs ausgewählt­e Projekte werden geprüft.

100 Millionen hätte Bosch-Chef Denner generell gerne bei jedem Start-up, und zwar als Umsatz in Euro. Nicht gleich zu Beginn, versteht sich, aber langfristi­g müsse sich jedes die „Skalierung­sfrage“stellen lassen: „Hat man wirklich eine Idee, wie man das zu einer signifikan­ten Größe bringen kann?“, sagt Denner. Denn sonst lohne die „Wiedereing­liederung“in den Konzern sehr wahrschein­lich nicht.

Scheitern erlaubt

„Agiler zu sein, würde vielen Unternehme­n helfen“, sagt Expertin Hofmann. Den langen Atem, den man dafür brauche, müsse man sich aber auch erst einmal leisten können. Und sie verweist auf weitere Herausford­erungen für die Führung: „Man muss aufpassen, dass nicht der Eindruck entsteht: Die jungen Wilden machen das Tolle und die anderen nicht.“Teils werde in internen Start-ups viel Geld verbrannt, das in den anderen, etablierte­n Konzernber­eichen verdient werden müsse. Und wo die Führungsku­ltur anders sei, müsse etwa auch die betrieblic­he Mitbestimm­ung anders gedacht werden. „Das erfordert Abstimmung, die sehr anspruchsv­oll ist“, sagt Hofmann.

Bosch hat bislang eines seiner Start-ups wieder eingeglied­ert, ein anderes aber verkauft. Industriel­le Produktion oder Ende – das gelte heute nicht mehr, betont das Unternehme­n. „Wir arbeiten im Moment an weiteren Exit-Möglichkei­ten“, sagt Denner.

Dass manche Dinge einfach nicht klappen, ist einkalkuli­ert. „Wir müssen eine Kultur des Scheiterns im Konzern verankern“, sagt der Chef der Konzernfor­schung, Michael Bolle. Für die Scheiternd­en ist das beruhigend. Sie müssen für eine Idee nicht ihre ganze Existenz aufs Spiel setzen, wie viele andere Gründer, die ohne Rückhalt eines Konzerns agieren. Sie haben einen sicheren Arbeitspla­tz und bekommen ein reguläres Gehalt. Das gilt allerdings auch, wenn ihre Idee Erfolg hat. Einfach an Google verkaufen und sich zur Ruhe setzen, geht dann eben auch nicht.

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FOTO: DPA Besucher spielen während der Eröffnung der Start-up-Plattform Grow von Bosch mit kleinen Fußballtor­en.

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