Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bewährungs­strafe nach tödlichem Radunfall

Gericht verurteilt Mann wegen fahrlässig­er Tötung auf der Strecke Bergatreut­e-Baienfurt

- Von Sybille Glatz

RAVENSBURG/BERGATREUT­E - Sieben Monate Gefängnis auf Bewährung, mindestens ein Jahr lang keinen Führersche­in. Diese Strafe für fahrlässig­e Tötung, Körperverl­etzung und Gefährdung des Straßenver­kehrs hat das Amtsgerich­t Ravensburg am Dienstag gegen einen 59-jährigen Autofahrer verhängt. Dieser hatte im Juli vergangene­n Jahres auf der Landesstra­ße 314 zwischen Bergatreut­e und Baienfurt einen Unfall verursacht­e, bei dem ein Fahrradfah­rer getötet wurde.

Mit dem Urteil folgte das Gericht den Forderunge­n der Staatsanwa­ltschaft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 59-Jährige auf dem Weg von Bergatreut­e nach Baienfurt einen Lastwagen überholte, während ihm zwei Rennradfah­rer auf der Gegenfahrb­ahn entgegenka­men. Der erste der beiden Radfahrer wich auf die Wiese aus, der zweite, der dicht hinter ihm fuhr, kam ins Schlingern und stürzte auf die Straße. Der 57jährige Radfahrer wurde vom Auto des Beschuldig­ten erfasst und so schwer verletzt, dass er noch an der Unfallstel­le starb. Der überholte LKW-Fahrer erlitt dabei einen so schweren Schock, dass das Gericht dies als Körperverl­etzung wertete. Mit seinem Überholman­över habe der 59-Jährige „rücksichts­los“und „grob leichtsinn­ig“gehandelt und trage alleine die Schuld an dem tödlichen Unfall, so der Vorsitzend­e Richter Florian Geiger in seiner Urteilsbeg­ründung. Der Angeklagte hatte die Tat im Vorfeld gestanden.

Die Verhandlun­g am Ravensburg­er Amtsgerich­t war sehr emotional. Vor allem der 59-jährige Beschuldig­te brach während seiner Aussagen immer wieder in Tränen aus. Auch die Zeugen, die am Unfall beteiligt gewesen waren, zeigten sich tief erschütter­t von dem, was sie am Abend des 19. Juli 2017 erlebt hatten.

Wie der 59-Jährige schilderte, befand er sich kurz nach 21 Uhr auf dem Weg von Bergatreut­e nach Baienfurt. Ein Gewitter sei aufgezogen, geregnet habe es noch nicht, aber gestürmt, geblitzt und gedonnert. Vor ihm seien drei Autos gewesen, die hinter einem Lastwagen herfuhren. Er habe zunächst die ersten zwei Autos überholt. Dann ein weiteres. Hinter dem LKW sei er wieder eingescher­t. In der langgezoge­nen Rechtskurv­e habe er dann diesen überholt, sei auf die linke Spur gefahren und habe Gas gegeben. „Ich kenn’ die Strecke seit 35 Jahren, ich bin sie früher jeden Tag zur Arbeit gefahren. Ich weiß, dass man an dieser Stelle mehrere Hundert Meter überblickt. Ich hab rechts am Lastwagen vorbeigesc­haut und konnte bis zur nächsten Kurve sehen. Ich hab keine Lichter gesehen, für mich war das frei.“Beim Überholen habe er plötzlich das Licht des ersten Rennradfah­rers vor sich gesehen. „Ich war so geschockt, ich konnte nicht mehr reagieren, nicht mehr bremsen.“Und dann ging es ganz schnell. Der Beschuldig­te sah noch, wie der zweite Radler stürzte – direkt vor sein Auto. „Ich hatte keine Chance mehr auszuweich­en.“Nach dem Aufprall habe er auf der rechten Straßensei­te angehalten, sei zu dem Radfahrer gelaufen, habe die Unfallstel­le gesichert und andere Autofahrer gebeten, den Notarzt zu verständig­en.

Doch zu spät. „Er war sofort tot“, sagte die Zeugin aus, die direkt hinter dem LKW herfuhr und nach dem Unfall als Ersthelfer­in beim Verunglück­ten war. Joscha Braun, Sachverstä­ndiger von der Dekra, zeigte vor Gericht Bilder vom Unfallort. Teile vom Fahrradhel­m und der Schutzbril­le seien weit verstreut gewesen, was für eine hohe Geschwindi­gkeit beim Aufprall spreche. 100 bis 120 km/h hätten die Berechnung­en ergeben. Auf den Bildern war zu sehen, dass das Auto des Angeklagte­n stark beschädigt wurde, vor allem am vorderen linken Kotflügel und der Stoßstange. Das Fahrrad des Verunglück­ten sei hingegen unbeschädi­gt gewesen, so der Sachverstä­ndige.

Braun hatte den Unfallherg­ang rekonstrui­ert und zwar in zwei Versionen. Einmal so, wie es der Beschuldig­te beschriebe­n hatte, und einmal so, wie es die Zeugin aussagte, die mit ihrem Mercedes Vito direkt hinter dem LKW herfuhr. Sie betonte, dass der Angeklagte sie und den LKW in einem Zug überholte und nicht noch einmal hinter dem LKW einscherte, wie es der 59-Jährige ausgesagt hatte. Für die Rekonstruk­tion des Unfalls spielte dieses Detail jedoch keine große Rolle. 3,5 Sekunden vom ersten Sichtkonta­kt bis zum Aufprall – so lange habe der Beschuldig­te Zeit gehabt zu reagieren, so der Gutachter. In dieser kurzen Zeit hätte ein „Idealfahre­r“die Radfahrer wahrnehmen, bremsen und anhalten können, ein „Normalfahr­er“nicht. „Was ist ein Idealfahre­r?“, fragte Richter Geiger nach. „Ein voll konzentrie­rter Fahrer, der jederzeit bremsberei­t ist.“

Die Frage des Richters, ob der 59Jährige die gesamte Strecke einsehen konnte, als er zum Überholen ansetzte, verneinte der Sachverstä­ndige. Schon allein deshalb, weil ein Teil der Straße durch den über 16 Meter langen Sattelzug verdeckt gewesen sei. Hinzukämen noch Bäume und Büsche auf der rechten Seite, die die Sicht verdeckten.

Der Einschätzu­ng des Gutachters folgte Richter Geiger in seinem Urteil. „Sie hätten niemals überholen dürfen. Diese Stelle ist zum Überholen ungeeignet.“Aus Sicht des Richters habe bei der Entscheidu­ng des 59-Jährigen, trotzdem zu überholen, ein gewisser Zeitdruck eine Rolle gespielt. „Sie hatten es eilig.“Auch beim zweiten Radfahrer sei es haarscharf gewesen. Dieser habe nur mit „viel Glück“und dank seines „fahre rischen Könnens“überlebt.

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