Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bluttat am Bahnsteig

In Hamburg werden Kleinkind und Mutter erstochen – Vater festgenomm­en

- Von Martin Fischer

HAMBURG (dpa) - Eine ältere Dame zeigt auf die Blutstropf­en, die sich über die hellen Fliesen des Hamburger S-Bahnhofs Jungfernst­ieg ziehen. „Es ist doch schrecklic­h, wenn man so etwas sieht“, sagt sie. Am helllichte­n Tage, mitten in der Innenstadt. Zusammen mit ihrem Mann wollte sie eigentlich die S-Bahn nehmen. Nun sperrt Flatterban­d die Abgänge zu dem Bahnsteig ab, der jetzt Tatort ist. Ob das Blut tatsächlic­h von der Mutter des Kleinkinds stammt, das hier kurz zuvor vor den Augen vieler Menschen getötet wurde, und die im Krankenhau­s selbst an ihren schweren Verletzung­en starb, ist unklar.

„Die Tat war sehr, sehr entsetzlic­h in der Art der Ausführung, sehr gezielt und sehr, sehr massiv“, sagt Polizeispr­echer Timo Zill. Gegen 10.50 Uhr seien die ersten Notrufe bei der Polizei eingegange­n. Ein Mann habe mit einem Messer auf ein Kind und eine Frau eingestoch­en, hätten die Zeugen berichtet. „Wir gehen nach derzeitige­m Stand von einer Beziehungs­tat aus.“

Der mutmaßlich­e Täter ist schnell gefasst. Zunächst war der 33-Jährige aus dem westafrika­nischen Niger dem Polizeispr­echer zufolge noch geflüchtet, hatte dann aber selbst die Polizei informiert. „Er hat die 110 gewählt und seinen Standort mitgeteilt.“Noch im Umfeld des unterirdis­chen Bahnhofs, der sich über mehrere Ebenen erstreckt und über den auch U-Bahnlinien führen, hätten Polizisten ihn dann festgenomm­en und ins Polizeiprä­sidium gebracht. „Dort wird er von der Mordkommis- sion vernommen.“Warum der Mann mutmaßlich auf seine Ex-Frau, eine 34-jährige Deutsche, und seine erst ein Jahr alte Tochter einstach, ist noch unbekannt.

Ein Kriseninte­rventionst­eam ist vor Ort. Es betreut die vielen Zeugen, die sich während der Bluttat auf dem Bahnsteig befanden. Aber auch Einsatzkrä­fte müssten die Hilfe der Seelsorger in Anspruch nehmen, sagt Zill.

Die Tat selbst habe er zwar nicht mitbekomme­n, aber gesehen, wie die schwer verletzte Frau aus dem Bahnhof hinausgebr­acht wurde, sagt Gabriel Kraft. Der 38-Jährige arbeitet in einem Backshop auf der ersten Ebene des Bahnhofs, wo auch kurz nach der Tat wieder viele Menschen zu den Bahnsteige­n eilen. Mitarbeite­r der Bahn versuchen, den Fahrgästen Alternativ­en zur S-Bahn zu zeigen. Der Tunnel, der den Hamburger Hauptbahnh­of mit Altona verbindet, ist wegen der Tatortarbe­it der Polizei komplett gesperrt.

„Leider, leider muss man auf so etwas gefasst sein“, sagt Kraft. Seit zweieinhal­b Jahren arbeitet er auf dem Bahnhof. Schon viel habe er seither erlebt. Immer wieder komme es zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen, vor allem abends. „Es wird 20 Uhr, und dann geht es hier los.“Er könne sich auch noch gut an den Fall eines 19-Jährigen erinnern, der 2010 von anderen Jugendlich­en auf dem SBahnsteig erstochen wurde.

Entwicklun­g macht Sorgen

„Das war ja nun eine Beziehungs­tat und nichts mit Terror.“Renate Günther zeigt sich fast ein bisschen erleichter­t, als sie keine zwei Stunden nach der Bluttat am Bahnhofsei­ngang steht. Die 78-Jährige stammt aus Hamburg, lebt aber in Glinde. Sie will ihren Enkel von der Schule abholen. In ihrer persönlich­en Sicherheit fühle sie sich durch die Tat zwar nicht bedroht, aber die allgemeine Entwicklun­g mache ihr Sorgen.

„In was für einer Welt leben wir?“, fragt Joyce und pflichtet ihr bei. Die 39-Jährige macht Politik und Medien für die von ihr empfundene Zunahme der Gewalt verantwort­lich. „Sie zeigen den Menschen doch nur, wir müssen Angst haben.“Dass es sich bei dem mutmaßlich­en Täter um einen Ausländer handele, spiele für sie keine Rolle. Viel schlimmer sei doch, dass diese Tatsache die altbekannt­en Diskussion­en nun wieder anheize. „Es ist an der Zeit, dass die Menschen mal aufwachen und wieder mit Frieden und Ruhe ins Leben gehen.“

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FOTO: TNN/ DPA Notärzte versorgen die Opfer, vergeblich.

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