Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Nicht den Falschen operieren“

Im Memminger Klinikum wurden sieben Mitarbeite­r ausgebilde­t, um Behandlung­srisiken aufzuspüre­n

- Von Birgit Schindele

MEMMINGEN - „Wir wollen ja nicht den falschen Patienten operieren“, sagt Chefarzt Professor Dr. Jens Stollfuss, „oder den falschen Arm, weil er falsch beschrifte­t wurde.“Um solche Fehler bei der Behandlung zu vermeiden, hat das Memminger Klinikum jetzt sieben Mitarbeite­r zu zertifizie­rten Risikomana­gern ausgebilde­t. „Wenn ein Arzt ins Wartezimme­r tritt“, beginnt Stollfuss seine Erklärung, und Herrn Müller aufrufe, könne theoretisc­h auch Herr Maier aufstehen und mitkommen. „Beispielsw­eise, weil Herr Maier nicht mehr warten will“, sagt der Chefarzt der Radiologie und Nuklearmed­izin. Wenn dann keiner nach dem Geburtsdat­um frage, sei eine Verwechslu­ng möglich.

Das Erkundigen nach persönlich­en Daten gehöre zu einem Prozess, der das Risiko des Verwechsel­ns verhindern solle: „Gerade wenn ich ein Medikament gebe, muss ich mich rückversic­hern, dass vor mir der richtige Patient liegt. Klingt selbstvers­tändlich – aber es ist nicht immer so“, sagt Stollfuss. Schwierig werde es, wenn Patienten in kürzester Zeit behandelt werden müssten; wenn sich Schlagzahl­en erhöhten und Liegezeite­n verkürzten.

„Wir fragen, was passieren könnte“, erklärt Stollfuss. Er bereite sich sozusagen auf Unwahrsche­inlichkeit­en vor. Werde ein Patient auf eine Operation vorbereite­t, könnten Maschinen ausfallen, Menschen krank werden – oder Material fehlt. Doch seine Arbeit befasst sich nicht nur mit Gedankensp­ielen, sondern auch mit tatsächlic­hen Ereignisse­n: „Ein Patient kann nach einem banalen Eingriff eine Thrombose bekommen.“In solchen Fällen betreibe man Ursachenfo­rschung, sagt Stollfuss. Dies geschehe anhand eines für Kliniken entwickelt­en Verfahrens. Die Ergebnisse werden im Haus veröffentl­icht. „Früher wurde das auch schon in Gruppen diskutiert“, sagt Qualitätsm­anagerin Sylvie Schraut – neu sei die Vorgehensw­eise nach festgesetz­ten Standards. Solche Analysen waren laut Stollfuss in Kliniken lange Zeit wenig organisier­t: „Das wurde überall individuel­l geregelt.“Aber gerade in Krankenhäu­sern gebe es komplexe Risiken, die auch ineinander­griffen. Dabei kommt Stollfuss auf sein Anfangsbei­spiel zurück: „Die größtmögli­che Katastroph­e ist die Verwechslu­ng.“

Es gebe eine Reihe weiterer Abläufe, die Risiken bergen. Eine übersehene Blutabnahm­e könne zwar nachgeholt werden, sagt Stollfuss: „Aber wenn ich die Blutabnahm­e vergesse, und der Patient hat ein Problem mit der Blutgerinn­ung, das da- durch übersehen wird, wirkt sich eine Kleinigkei­t gravierend aus.“

Bei all dem spiele auch die personelle Situation eine Rolle: „Wenn Pflegekräf­te überlastet sind, schließen wir Betten“, sagt Stollfuss. Krankheits­bedingte Ausfälle könne das Klinikum nicht kompensier­en, fügt er hinzu. Bei der jüngsten Grippewell­e, als viele Pflegekräf­te krank gewesen seien, habe das Krankenhau­s eine halbe Station schließen müssen, berichtet Schraut. Dennoch muss laut Stollfuss im Notfall niemand Angst haben, nicht behandelt zu werden. Denn dann würden aufschiebb­are Behandlung­en zurückgefa­hren. „Wirtschaft­lich ist das allerdings ein Problem“, sagt der Chefarzt. Einer Mindestanz­ahl von Pflegekräf­ten, wie sie von der Politik gefordert werde, steht Stollfuss skeptisch gegenüber: „Das setzt voraus, dass ich Leute bekomme“, sagt er. „Wenn ich das nicht einhalten kann, muss ich in der Konsequenz Stationen schließen.“In den „normalen Stationen“gebe es kein personelle­s Problem. „Aufpassen müssen wir im Intensiv- und OP-Bereich“, sagt der Chefarzt. Bei personelle­n Engpässen bestehe die Möglichkei­t, Aufgaben anders zu verteilen, fügt Schraut hinzu: „Pflegekräf­te übernehmen dann nur noch Kernaufgab­en.“Das Essen könnten auch andere Mitarbeite­r verteilen.

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FOTO: RALPH KOCH Bis ein Patient auf dem Operations­tisch liegt, durchläuft er mehrere Stationen: Von der Aufnahme über die Anästhesie bis hin zur Vorbereitu­ng zur Operation. Bei jedem Schritt können Fehler passieren.

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