Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Salomon tritt erneut zur OB-Wahl an
Freiburg wählt am Sonntag einen Oberbürgermeister – Amtsinhaber Dieter Salomon hofft zum dritten Mal auf einen Sieg
FREIBURG (rot) - Der Grüne Dieter Salomon will sich am Sonntag in Freiburg zum dritten Mal zum Oberbürgermeister wählen lassen. Er wird nicht nur in seiner Partei als möglicher Nachfolger Winfried Kretschmanns (Grüne) für das Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten gehandelt. Ambitionen verneint er allerdings. Die CDU hat gegen ihn erst gar keinen Kandidaten aufgestellt.
FREIBURG - Die jungen WG-Mitbewohner haben ein „Zimmer frei“– und stehen vor der Wahl: Mit wem der Kandidaten, eine Kandidatin inklusive, wollen sie die nächsten acht Jahre zusammenleben? Ein 57jähriger Bewerber gibt sich locker: „Finde ich cool, dass Ihr so alte Typen wie mich noch zum Casting einladet“und fügt hinzu, dann wohne er ja „gleich mit meinen späteren Pflegekräften zusammen.“In der Folge hat es der Rat der Wohngemeinschaft aber nicht immer ganz einfach, zu Wort zu kommen, denn der Bewerber listet in hohem Tempo auf, was er alles erreicht und zu bieten habe. Die Botschaft ist klar: Zu so einem erfahrenen Kandidaten gibt es doch gar keine Alternative.
Bei dem Bewerber handelt es sich um Dieter Salomon, mit 16 Jahren als Freiburgs grüner Oberbürgermeister sogar bereits länger im Amt als Angela Merkel. Geladen zu dem fiktiven WG-Casting mit den OB-Kandidaten für die Wahl an diesem Sonntag haben die Landeszentrale für politische Bildung und das altehrwürdige Colloquium Politicum – eine Plattform für politischen Diskurs – der Universität Freiburg. Der Andrang ins Audimax ist dabei so enorm, dass viele Besucher draußen bleiben müssen – obwohl es in den Wochen zuvor wahrlich keinen Mangel an Kandidatendiskussionen gegeben hatte.
Soviel Interesse ist durchaus ungewöhnlich für eine Wahl, die viele im Vorfeld eigentlich längst schon für gelaufen gehalten hatten. Das war früher anders: Als Salomon 2002 im zweiten Wahlgang zum ersten grünen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt wurde, war das eine kleine Sensation. Und bei der Wiederwahl acht Jahre später gewann er nur mit hauchdünner Mehrheit den ersten Wahlgang, nachdem ein Bürgerentscheid den von ihm geplanten Verkauf der kommunalen Freiburger Stadtbau GmbH abgelehnt hatte.
Kein CDU-Gegenkandidat
Aber dieses Jahr? Selbstbewusst gab Salomon seine Kandidatur bereits mit reichlich Vorlauf im Januar 2017 bekannt. Die CDU, mit der Salomons Grüne im Freiburger Gemeinderat kooperieren, mühte sich vergeblich, einen geeigneten Gegenkandidaten zu finden und verzichtete zum zweiten Mal auf eine Aufstellung. Die SPD fand ebenfalls keinen eigenen Bewerber und unterstützt schließlich einen parteilosen Kandidaten. Beste Aussichten also, und so meinte Salomon auch, die Teilnahme an einem von jungen Leuten zusammen mit der Landeszentrale entwickelten Kandidat-O-Mat mit der Begründung absagen zu können: „Ich bin alt genug, um nicht mehr über jedes Stöckchen, das man mir hinhält, springen zu müssen. Und ich glaube auch nicht, dass man mit so primitiven Fragen Leute für Politik begeistern kann.“
Das kam nicht gut an und passte in das Bild von der „Arroganz der Macht“, die Kritiker ihm regelmäßig vorhalten. Seitdem gilt das Rennen zumindest gefühlt – Umfragen, die dies stützen gibt es, wie bei Bürgermeisterwahlen üblich, nicht – wieder offen. Dass ein grüner Oberbürgermeister, dem auch seine Gegenkandidaten in vielen Punkten eine gute Bilanz bescheinigen, nicht etwa kritisiert wird, weil er zu links und utopisch, sondern weil er zu konservativ und angepasst sei, lässt sich dabei am ehesten mit dem speziellen Freiburger Klima erklären.
Denn dass Freiburg etwas Besonderes sei, darin sind sich die meisten Bewohner einig – mit gutem Grund, aber auch mit einer gewissen Selbstgefälligkeit. Die beginnt beim allabendlichen Blick auf die Wetterkarte, schließlich liegt man bei den Sonnentagen in Deutschland weit vorne. Damit einher geht die Vorreiterrolle als „Green City“, eine der Erfolgsgeschichten Salomons: Rund um das Jahr treffen Delegationen von Stadtverwaltungen aus der ganzen Welt in Freiburg ein, um mehr über die Politik der erneuerbaren Energien zu erfahren und durch den autofreien Stadtteil Vauban zu spazieren. Salomon inszeniert Freiburg somit gekonnt als eine Art Kalifornien im Kleinen.
Wie der amerikanische Sonnenstaat steht die badische Stadt somit für Innovation und ein liberales Klima. Damit einhergeht, dass es unter den knapp 230 000 Einwohnern an Freigeistern nicht mangelt. „In Freiburg sind das ganze Jahr über Esoterik-Tage“bilanzierte einmal ein altgedienter Lokaljournalist. Salomon hält dagegen von wolkigen Visionen herzlich wenig: Ehrgeizige Stadtentwicklungs-Projekte sind ihm durchaus ein Anliegen, Voraussetzung ist aber eine klare Realisierbarkeit. Das passt ganz gut in die Realo-Hochburg Baden-Württemberg, war aber selbst einigen grünen Stadträten zu viel, die sich 2008 abspalteten und in die Opposition gingen,
„Ich bin alt genug, um nicht mehr über jedes Stöckchen, das man mir hinhält, springen zu müssen.“
um dort die reine links-grüne Lehre hochzuhalten. Vertreten wird sie im Gemeinderat durch die Lehrerin Monika Stein, die nun folgerichtig gegen Salomon kandidiert und ihm einerseits zu wenige soziale, andererseits zu repressive Politik vorwirft. Für Nicht-Freiburger muss man allerdings erklären, dass zu dieser „repressiven Politik“auch ein zeitweises Alkoholverbot im Freiburger Kneipenviertel „Bermudadreieck“gezählt wird, das schließlich vom Verwaltungsgericht gekippt wurde.
Beim studentischen Publikum der „Zimmer frei“-Veranstaltung kommt die bodenständig-sympathische Stein mit kompromisslos linker Linie gut an, ebenso der geschmeidige SPD-nahe Kandidat Martin Horn, ein 33jähriger Europa- und Entwicklungskoordinator der Stadt Sindelfingen.
Wer sich den Fragenkatalog des WG-Rats anhört, mag sich denken: „Wohl der Stadt, in der dies die brennendsten Dieter Salomon, der sich im Wahlkampf zum Teil rar gemacht hat Themen sind!“Als größte Misere wird mit dem überhitzten Wohnungsmarkt ein in der Tat heikles Thema angesprochen, darüber hinaus geht es aber auch um den Lärm des Nachtlebens in der Freiburger Innenstadt, Proberäume für Bands, die Förderung von Subkulturen und das Zusammenleben in Vielfalt. Richtig – war da nicht etwas? Nach dem erschütternden Mord des Asylbewerbers Hussein K. an einer jungen Studentin war vor allem in den sozialen Netzwerken eine Welle von Hass auf die badische Stadt eingeschlagen. Nachrichtenredaktionen entsandten ganze Bataillone von Reportern zur Erstellung städtischer Psychogramme, in denen teils mit hörbarer Genugtuung konstatiert wurde, dass Freiburg eben doch nicht nur das Reich des Guten, Sonnigen und Schönen sei.
Salomon behielt sich aber auch hier seine Unbeirrbarkeit bei. Während der grüne Tübinger Bürgermeisterkollege Palmer von „bedrohten blonden Professorentöchtern“zu fabulieren begann, blieb er auf Kurs. Bei „Zimmer frei“bilanzierte der im australischen Melbourne geborene Politiker, der in Freiburg passenderweise einst über die Grünen promoviert hat, dann auch den zeitweise starken Zuzug von Flüchtlingen: „Die Stadt und die Menschen haben bewiesen, dass sie liberal und tolerant und offen sind und haben Leute willkommen geheißen“.
Der nächste Kretschmann?
Das sorgte für allgemeine Zustimmung im Audimax – der einzige AfDnahe Kandidat war nicht aufgetaucht – und Salomon zog darauf unverkennbar Parallelen zwischen sich und einem weiteren Freiburger Konsens-Thema, dem Sportclub: Der werde „seit 40 Jahren gut geführt“und sei zudem bislang „nach jedem Abstieg wiedergekommen“. Während der SC derzeit aber tatsächlich um den Klassenerhalt bangen muss, sieht sich Salomon weiterhin fest in der ersten Bürgermeister-Liga.
Spekulationen, er könne dereinst einmal Winfried Kretschmann als Baden-Württembergischen Ministerpräsident nachfolgen, erteilt er gewohnt undiplomatisch und entschieden eine Absage – hatte er doch einst über seine Zeit als Fraktionsvorsitzender gesagt: „Als intelligenter Mensch ertragen Sie zehn Jahre im Stuttgarter Landtag nur mit viel Humor oder im Suff“.