Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Angespannte Lage in Jerusalem
Massenprotest gegen Umzug der US-Botschaft erwartet – Maas betont Solidarität mit Israel
JERUSALEM/BERLIN (dpa/KNA) Vor der für heute geplanten Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem und dem Gedenken an die Staatsgründung Israels vor 70 Jahren ist die Lage in der Stadt angespannt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dankte US-Präsident Donald Trump für die Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und bekräftigte den Anspruch auf die gesamte Stadt. Netanjahu sagte am Sonntag, Jerusalem sei „seit mehr als 3000 Jahren die Hauptstadt unseres Volkes“gewesen. „Wir haben davon geträumt, es wiederaufzubauen, die vereinte Stadt – und das ist genau, was wir jetzt tun.“
Tausende Israelis versammelten sich später zu einem Marsch durch die Altstadt. Unter strengem Polizeischutz feierten sie am sogenannten Jerusalemtag die „Wiedervereinigung“der Stadt, also die Eroberung des arabisch geprägten Ostteils im Sechstagekrieg 1967. Die Palästinenser beanspruchen diesen Teil jedoch als Hauptstadt eines künftigen unabhängigen Staates. Die Regierung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kritisierte zudem die Verlegung der US-Botschaft. Der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Ahmed Hussein, rief die Palästinenser zu friedlichen Protesten auf.
Insgesamt gilt die Sicherheitslage in Jerusalem, Gaza und dem Westjordanland als angespannt. Bereits am Sonntagmorgen war es auf dem Tempelberg zu Zusammenstößen zwischen Juden und Arabern gekommen. Bis zu eine Million Menschen wollen heute im Gazastreifen an der Grenze zu Israel protestieren. Auch in Ramallah werden Tausende bei einem Marsch durch die Stadt erwartet. Bei den palästinensischen Protesten werden gewaltsame Konfrontationen mit israelischen Soldaten befürchtet. Auch der morgige NakbaTag, mit dem die Palästinenser an die Vertreibung im Zuge der Staatsgründung Israels gedenken, könnte zu gewaltsamen Ausschreitungen führen.
Außenminister Heiko Maas erinnerte derweil an die besondere Verantwortung Deutschlands im Kampf gegen Rassismus und Judenhass. „Für die Sicherheit Israels und gegen Antisemitismus einzustehen, muss für uns immer zur Identität unseres Landes gehören“, schrieb der SPDPolitiker in einem Gastbeitrag für die „Bild“-Zeitung.
WASHINGTON - In den sieben Jahrzehnten seit der Gründung Israels im Jahr 1948 haben die arabischen Staaten mehrere Kriege gegen den jüdischen Staat geführt. Die meisten von ihnen unterhalten bis heute keine diplomatischen Beziehungen mit den Israelis; die Arabische Liga verbot ihren Mitgliedern einst sogar ausdrücklich den Friedensschluss mit Israel. Doch am 70. Gründungstag Israels ist von der damaligen Empörung nicht mehr viel übrig: Selbst angesichts der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem bleibt in der arabischen Welt der große Aufschrei aus. Die großen Verlierer sind die Palästinenser.
Laut Umfragen haben sich insbesondere viele junge Araber mit Israel arrangiert und betrachten eine Lösung des Palästinenser-Problems als weniger vordringlich als die ältere Generation. In einer Studie des Arab Centers in Washington im vergangenen Jahr äußerten weniger als ein Viertel der Befragten die Ansicht, die USA sollten sich in Nahost vor allem um eine Lösung des Streits zwischen Israel und den Palästinensern bemühen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, mit seinen 32 Jahren selbst ein Mitglied der jungen Generation, sorgte kürzlich mit der Aussage für Schlagzeilen, die Palästinenser sollten die US-Vorschläge für einen Nahost-Frieden akzeptieren oder „den Mund halten“.
Zwei Faktoren prägen die heutige Sicht der arabischen Regierungen auf Israel und das Palästinser-Problem: der Arabische Frühling und die als Bedrohung empfundene Politik des Iran.
Eigene Länder wichtiger
Bei arabischen Regierungen sitzt der Schock über die Volksaufstände gegen autoritäre Regimes von Tunesien bis zum Jemen auch heute noch tief. Für viele Königshäuser und Kabinette ist es wichtiger, sich um die Zustände im eigenen Land zu kümmern, als sich im israelisch-palästinensischen Konflikt zu engagieren. Einige Länder, wie etwa Saudi-Arabien, haben groß angelegte Reformprogramme gestartet, um die bestehenden Machtverhältnisse für die Zeit nach der Ausbeutung der Ölvorkommen zu sichern. Neue Aufstände, womöglich mit Unterstützung der von den arabischen Herrschern gefürchteten Muslim-Bruderschaft, sind aus der Sicht der Saudis und anderer Araber ein Horrorszenarium.
Nicht nur Israel fürchte eine neue palästinensische Intifada, analysierte die israelische Zeitung „Haaretz“: Arabische Staaten sorgten sich, dass ein neuer Palästinenser-Aufstand einen neuen Arabischen Frühling bei ihren eigenen Bevölkerungen auslösen könnte. Die derzeitige Lage in den arabischen Staaten sei ungünstig für die Anliegen der Palästinenser, sagte der marokkanische Außenminister Nasser Bourita kürzlich.
Als US-Präsident Donald Trump im vergangenen Dezember die Anerkennung Jerusalems und die Verlegung der amerikanischen Botschaft in das auch von den Palästinensern als Hauptstadt beanspruchte Jerusalem verkündete, war die Reaktion vielsagend: Aus den arabischen Hauptstädten kam außer ein paar Lippenbekenntnissen nicht viel. Nur die Palästinenser selbst gingen auf die Straße. Ein von der Türkei durchgesetzter Appell, die islamischen Staaten sollten Jerusalem ihrerseits offiziell zur Hauptstadt der Palästinenser erklären, wurde in der ganzen Region ignoriert.
Auch am 70. Gründungstag Israels an diesem Montag wird kein anti-israelischer Ruck durch die arabische Welt gehen. Für Saudi-Arabien und andere Akteure sind die Beziehungen zu den USA und das Vorgehen gegen den Iran derzeit weit wichtiger als die Wiederholung traditioneller anti-israelischer Parolen. In einer Zeit, in der die Regierungen in Riad, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und anderen Staaten auf die Unterstützung der USA bei der Gegenwehr gegen die aggressive iranische Politik in der Region zählen, will sich niemand mit Trump anlegen. Die saudische Zeitung „Al-Riad“brachte die Haltung vor Kurzem auf den Punkt: „Die Araber müssen erkennen, dass der Iran gefährlicher für sie ist als Israel.“