Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Effektiv und geräuscharm
Reiner Hoffmanns Wiederwahl zum Gewerkschaftschef trotz Kritik ungefährdet
BERLIN - Die Messlatte liegt hoch. 93,1 Prozent. So viele Ja-Stimmen bekam Reiner Hoffmann vor vier Jahren bei seiner ersten Wahl zum Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Am Montag steht seine Wiederwahl an auf dem 21. DGB-Bundeskongress, der am Sonntag mit einer Ansprache des Bundespräsidenten eröffnet wird.
Es ist unstrittig, dass die 400 Delegierten Hoffmann in seinem Amt bestätigen werden. Aber er wird sich auf ein nicht ganz so gutes Ergebnis einstellen müssen, heißt es in Gewerkschaftskreisen.
Eigentlich könnte er ja aufhören. Ende Mai wird er 63 Jahre alt. Aber es scheint im Gewerkschaftslager Mode zu werden, dass dann anders als bislang üblich noch nicht Schluss sein muss. Reiner Hoffmann tritt für eine komplette neue Amtszeit von vier Jahren an. In Rente will er erst mit (fast) 67 gehen. So wie VerdiChef Frank Bsirske. IG-Metall-BossJörg Hofmann wird sich 2019 vermutlich ähnlich aufstellen.
Hoffmanns Wirken an der Spitze des gewerkschaftlichen Dachverbandes war zwar effektiv, aber eher geräuscharm. „Er ist kein lärmender Gewerkschaftsboss.“Der in der Öffentlichkeit fast immer gut gelaunte und strahlend lächelnde Mann aus Wuppertal „hat den Laden zusammengehalten“, urteilt ein Gewerkschaftsfunktionär anerkennend. „Er hat es in den vier Jahren geschafft, dass sich die Mitgliedsgewerkschaften selten gekeilt haben.“Hoffmann habe für Teambildung auch in der DGB-Spitze gesorgt, was deshalb eine Leistung sei, weil „Vorgänger Michael Sommer nicht unbedingt einen einheitlichen Laden hinterlassen hat“, wird in der Berliner DGB-Zentrale kolportiert. „Er telefoniert so lange mit den Chefs der Einzelgewerkschaften, bis sie einer Meinung sind. Er ist der Sandwich-Mann.“ Nach dem Poltergeist Sommer hat der Mann mit Stil und Fingerspitzengefühl dem DGB sicherlich gutgetan.
Aber dieser Erfolg hat einen Preis. Hoffmanns Profil als DGB-Chef ist schwächer als man es bei seinem Start erwarten konnte. „Nicht alle finden seine freundliche, ruhige Art gut“, sagt eine Gewerkschafterin aus der IG Metall. „Der DGB könnte sich mehr profilieren mit politischen Aktionen“, urteilt ein Kölner Gewerkschaftsmann, der aber ebenfalls seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die nicht ganz Zufriedenen wollen Reiner Hoffmann, den netten Kerl, nicht mit öffentlicher Kritik beschädigen. Das ist die Stimmungslage, die es schwer macht, das Ergebnis von 2014 zu wiederholen.
Hoffmann und sein Umfeld ziehen aber durchaus eine positive Bilanz. „Wir haben zahlreiche Themen politisch und gesellschaftlich gesetzt“, sagt der DGB-Chef. Bessere Renten, paritätische Finanzierung der Krankenkassen, Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit, all dies würde ohne Kampagnen des DGB nicht im Koalitionsvertrag stehen, ist Hoffmann überzeugt. Der Koalitionsvertrag trägt in der Tat passagenweise die Handschrift der Gewerkschaften.
Klassenkampf-Rhetorik
Am Ende seiner ersten Amtszeit scheint Hoffmann erkannt zu haben, dass er schlagzeilenträchtiger auftreten muss. So warnt er inzwischen in Interviews und Reden vor einem „digitalen Proletariat“und „moderner Sklaverei“. Dabei ist ihm Klassenkampf-Rhetorik eigentlich fremd. Aber er weiß um die Gesetzte der Mediengesellschaft. Und er hat wohl auch endlich die Themen gefunden, mit denen er seine zweite Amtszeit prägen will – so wie Vorgänger Sommer mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Reiner Hoffmann will „den digitalen Kapitalismus bändigen“. Er möchte den Arbeitnehmern Zukunftsängste nehmen, die diese haben aufgrund eines „weitreichenden Wandels der Arbeitswelt, der durch Digitalisierung, Globalisierung und demografische Entwicklung getrieben wird“. Deshalb wird der neue und alte DGB-Chef mehr Mitbestimmung einfordern und die große Koalition vor sich hertreiben mit der Forderung, Arbeitgebern die Flucht aus Tarifverträgen zu erschweren. „Die Tarifbindung muss dringend erhöht werden.“Für dieses Zukunftsprogramm wird er im „Parlament der Arbeit“, wie der DGB seine alle vier Jahre stattfindenden Kongresse nennt, garantiert viel Beifall bekommen. Wie viele Stimmen, das wird sich zeigen.