Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Böse Gerüchte über die Nachbarn
Psychisch kranker 78-Jähriger behauptet ein Vater habe Zehnjährige missbraucht und Kinderpornos gedreht
SONTHOFEN - Der Zorn brach aus dem Zeugen heraus: „Sie terrorisieren das ganze Haus“, sagt der 31-Jährige. „Wir leben in einer kleinen Stadt und dank Ihnen steht man als Kinderschänder da. Das ist alles haltlos und eine Unverschämtheit.“Der angesprochene Angeklagte lächelte. Der 78-Jährige war wegen falscher Verdächtigung und übler Nachrede am Amtsgericht Sonthofen angeklagt. Er hatte das Gerücht verbreitet, sein Nachbar habe die eigene zehnjährige Tochter missbraucht, pornografische Aufnahmen gemacht und ins Internet gestellt. Obwohl der Angeklagte die Geschichte frei erfunden hat, meldete er den „Vorfall“ans Landratsamt. Das Jugendamt befragte das Mädchen, den Vater und Nachbarn – mit dem Ergebnis, dass es sich bei den Ausführungen um haltlose Behauptungen handelt. So landete der 78Jährige auf der Anklagebank. Er wurde freigesprochen, weil er unter einer psychischen Erkrankung leidet.
Alles begann mit einem Fax, das der Angeklagte im März 2017 ans Landratsamt versandte. Darin teilte der 78-Jährige mit, dass in dem von ihm bewohnten Mehrfamilienhaus bei einem Mädchen von ihren Verwandten pornografische Aufnahmen gemacht wurden. Daraufhin rief eine Jugendamtsmitarbeiterin beim Angeklagten an. Ihr gegenüber erklärte der Rentner, an der Zehnjährigen seien sexuelle Handlungen vorgenommen, diese gefilmt und das Video ins Internet gestellt worden. Ein anderer Nachbar habe sich das Video im Internet angesehen und davon erzählt. Der Angeklagte verschickte zwei weitere Faxe an die Kreisbehörde, in denen er die Vorwürfe wiederholte und berichtete, Schreie des Mädchens im Treppenhaus gehört zu haben. Der 38-jährige Vater des Kindes und der 31-jährige Nachbar zeigten den Angeklagten an, weil sie durch ihn zu Unrecht verdächtigt worden waren.
„Das ist mir zu Ohren gekommen“, versuchte der Angeklagte, seine Behauptungen zu rechtfertigen. „Das wird im Haus gesprochen. Ich habe solche Fälle im Fernsehen gesehen.“Doch im Laufe der Verhandlung stellte sich heraus, dass die meisten Nachbarn den Kontakt mit dem Mann eingestellt hatten, weil er sie ebenfalls verschiedener Straftaten bezichtigt hat.
Der 78-jährige Rentner lebt alleine in einem oberen Stockwerk eines Mehrfamilienhauses und leidet unter schweren gesundheitlichen Problemen. „Durch die Krankheit bin ich gezwungen, den ganzen Tag zu Hause rumzusitzen“, erzählte er. Seine Ehe ist geschieden und die erwachsenen Kinder leben in einem anderen Bundesland. Diese Isolation habe zu der wahnhaften Störung des Mannes beigetragen, erklärt ein Psychiater vor Gericht. „Ein Mensch, der einen Wahn hat, ist mit Worten nicht zu überzeugen, dass es nicht wahr ist“, sagte der Gutachter. „Die Realitätswahrnehmung ist so gestört, dass die Einsichtsfähigkeit aufgehoben ist.“Mit weitergehenden Straftaten sei nicht zu rechnen, erklärte der Psychiater. „Aber ich kann nicht ausschließen, dass es wieder zu solchen Taten kommen kann.“Er erklärt den Mann für nicht einsichtsfähig.
„Ein Mensch, der einen Wahn hat, ist mit Worten nicht zu überzeugen, dass es nicht wahr ist“, sagte der Gutachter während der Gerichtsverhandlung in Sonthofen.
„Gerüchte sind das Schlimmste, was es gibt“
Somit blieb Richterin Brigitte Gramatte-Dresse keine andere Wahl, als den Täter freizusprechen. „Aber der einzige Grund ist, dass Sie aufgrund Ihrer wahnhaften Störung nicht in der Lage sind, das Unrecht einzusehen. “, wandte sich die Richterin an den Angeklagten. „Gerüchte sind das Schlimmste, was es gibt.“Deshalb muss sich der 78-Jährige jetzt in Behandlung eines Psychiaters begeben, forderte GramatteDresse. „Wir können hier nicht zulassen, dass Sie unschuldige Menschen beschuldigen.“