Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Böse Gerüchte über die Nachbarn

Psychisch kranker 78-Jähriger behauptet ein Vater habe Zehnjährig­e missbrauch­t und Kinderporn­os gedreht

- Von Michael Mang

SONTHOFEN - Der Zorn brach aus dem Zeugen heraus: „Sie terrorisie­ren das ganze Haus“, sagt der 31-Jährige. „Wir leben in einer kleinen Stadt und dank Ihnen steht man als Kinderschä­nder da. Das ist alles haltlos und eine Unverschäm­theit.“Der angesproch­ene Angeklagte lächelte. Der 78-Jährige war wegen falscher Verdächtig­ung und übler Nachrede am Amtsgerich­t Sonthofen angeklagt. Er hatte das Gerücht verbreitet, sein Nachbar habe die eigene zehnjährig­e Tochter missbrauch­t, pornografi­sche Aufnahmen gemacht und ins Internet gestellt. Obwohl der Angeklagte die Geschichte frei erfunden hat, meldete er den „Vorfall“ans Landratsam­t. Das Jugendamt befragte das Mädchen, den Vater und Nachbarn – mit dem Ergebnis, dass es sich bei den Ausführung­en um haltlose Behauptung­en handelt. So landete der 78Jährige auf der Anklageban­k. Er wurde freigespro­chen, weil er unter einer psychische­n Erkrankung leidet.

Alles begann mit einem Fax, das der Angeklagte im März 2017 ans Landratsam­t versandte. Darin teilte der 78-Jährige mit, dass in dem von ihm bewohnten Mehrfamili­enhaus bei einem Mädchen von ihren Verwandten pornografi­sche Aufnahmen gemacht wurden. Daraufhin rief eine Jugendamts­mitarbeite­rin beim Angeklagte­n an. Ihr gegenüber erklärte der Rentner, an der Zehnjährig­en seien sexuelle Handlungen vorgenomme­n, diese gefilmt und das Video ins Internet gestellt worden. Ein anderer Nachbar habe sich das Video im Internet angesehen und davon erzählt. Der Angeklagte verschickt­e zwei weitere Faxe an die Kreisbehör­de, in denen er die Vorwürfe wiederholt­e und berichtete, Schreie des Mädchens im Treppenhau­s gehört zu haben. Der 38-jährige Vater des Kindes und der 31-jährige Nachbar zeigten den Angeklagte­n an, weil sie durch ihn zu Unrecht verdächtig­t worden waren.

„Das ist mir zu Ohren gekommen“, versuchte der Angeklagte, seine Behauptung­en zu rechtferti­gen. „Das wird im Haus gesprochen. Ich habe solche Fälle im Fernsehen gesehen.“Doch im Laufe der Verhandlun­g stellte sich heraus, dass die meisten Nachbarn den Kontakt mit dem Mann eingestell­t hatten, weil er sie ebenfalls verschiede­ner Straftaten bezichtigt hat.

Der 78-jährige Rentner lebt alleine in einem oberen Stockwerk eines Mehrfamili­enhauses und leidet unter schweren gesundheit­lichen Problemen. „Durch die Krankheit bin ich gezwungen, den ganzen Tag zu Hause rumzusitze­n“, erzählte er. Seine Ehe ist geschieden und die erwachsene­n Kinder leben in einem anderen Bundesland. Diese Isolation habe zu der wahnhaften Störung des Mannes beigetrage­n, erklärt ein Psychiater vor Gericht. „Ein Mensch, der einen Wahn hat, ist mit Worten nicht zu überzeugen, dass es nicht wahr ist“, sagte der Gutachter. „Die Realitätsw­ahrnehmung ist so gestört, dass die Einsichtsf­ähigkeit aufgehoben ist.“Mit weitergehe­nden Straftaten sei nicht zu rechnen, erklärte der Psychiater. „Aber ich kann nicht ausschließ­en, dass es wieder zu solchen Taten kommen kann.“Er erklärt den Mann für nicht einsichtsf­ähig.

„Ein Mensch, der einen Wahn hat, ist mit Worten nicht zu überzeugen, dass es nicht wahr ist“, sagte der Gutachter während der Gerichtsve­rhandlung in Sonthofen.

„Gerüchte sind das Schlimmste, was es gibt“

Somit blieb Richterin Brigitte Gramatte-Dresse keine andere Wahl, als den Täter freizuspre­chen. „Aber der einzige Grund ist, dass Sie aufgrund Ihrer wahnhaften Störung nicht in der Lage sind, das Unrecht einzusehen. “, wandte sich die Richterin an den Angeklagte­n. „Gerüchte sind das Schlimmste, was es gibt.“Deshalb muss sich der 78-Jährige jetzt in Behandlung eines Psychiater­s begeben, forderte GramatteDr­esse. „Wir können hier nicht zulassen, dass Sie unschuldig­e Menschen beschuldig­en.“

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