Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Merkels Vision für Europa birgt Konfliktpotenzial
Vor dem EU-Gipfel Ende Juni hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Pläne für Europa skizziert. In einigen Punkten liegt die Kanzlerin mit den europäischen Partnern offensichtlich über Kreuz.
Migration und Flüchtlinge: Die europäische Asylreform ist seit Jahren Streitthema Nummer 1 in der EU – nun sucht Merkel eine gemeinsame Linie mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Sie will die Grenzschutzbehörde Frontex zu einer eigenständigen „europäischen Grenzpolizei mit europäischen Kompetenzen“ausbauen. Sie unterstützt die Idee einer europäischen Flüchtlingsbehörde, die langfristig vereinheitlichte Asylverfahren an den EU-Außengrenzen abwickeln könnte. Die Details bergen Konfliktpotenzial. Die Verteilung der Menschen nach Quoten ist das größte Hindernis für eine EU-Asylreform.
Eurozone: Merkel will den europäischen Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) ausbauen. Strittig sind die Details. Der jetzige ESM kann gegen Spar- und Reformauflagen langfristige Kredite an pleitebedrohte Staaten vergeben, wenn die Stabilität der Eurozone in Gefahr ist. Er wird von den 19 Euro-Staaten kontrolliert. Merkel will für den künftigen EWF zusätzliche Kompetenzen – so die Vergabe kürzer laufender Kredite und die Beurteilung der Wirtschaftsdaten betroffener Länder. Merkel will aber auch den neuen Fonds zwischenstaatlich organisieren. Das widerspricht den Plänen der EU-Kommission, die eine EU-Institution will. Auch Merkels Variante eines „Investivhaushalts“dürfte für hitzige Debatten sorgen. Emmanuel Macron wollte dagegen einen EurozonenHaushalt mit einem vielfachen Volumen. Militärische Unabhängigkeit: Die Kanzlerin stellt sich hinter Macrons Idee einer europäischen Interventionstruppe. Diese soll Europa sicherheitspolitisch schlagkräftiger und unabhängiger von den USA machen und könnte eingreifen, wenn Terrororganisationen in Afrika demokratisch gewählte Regierungen bedrohen. Der Unterschied zu Macron: Merkel will die neue Truppe in EU-Strukturen einbinden. Der französische Präsident fürchtet, dass die Einheit dann nicht so schnell und flexibel einsetzbar wäre.
EU-Sicherheitsrat: Bis die EUStaaten in wichtigen außenpolitischen Fragen eine gemeinsame Linie finden, vergeht oft viel Zeit. Merkel bringt nun die Idee eines EU-Sicherheitsrats in Spiel, der nur aus einem Teil der EU-Staaten bestehen würde und damit schneller handeln könnte. Allerdings könnte ein solches Gremium in der EU eine Zwei-Klassen- Gesellschaft zementieren. Der Vorschlag hat deshalb kaum Aussicht auf Zustimmung kleinerer Länder.
EU-Haushalt: Überraschend plädiert Merkel wie EU-Kommission und Parlament dafür, den EU-Finanzrahmen für die Jahre ab 2021 noch vor der Europawahl 2019 auszuhandeln. Viele EU-Länder halten eine Einigung binnen so kurzer Frist aber für unrealistisch, zumal die Verteilungskämpfe wegen der Milliardenlücke nach dem Brexit besonders heftig werden dürften.
Verkleinerung der EU: Neu ist Merkels Bekenntnis zu zwei Punkten, die Macron wichtig waren: eine Verkleinerung der EU-Kommission von derzeit 28 Kommissaren und sogenannte transnationale Listen. Merkel sagt, es sollten „weniger Kommissare als bisher“sein, und dafür sollten auch große Länder „in einem Rotationsverfahren einmal auf einen Kommissar“verzichten. (dpa)