Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mehr Lkw-Verkehr, mehr Unfälle

Gespräch mit dem Leiter der Verkehrspo­lizei – Tempo 60 auf Landstraße­n ein Ausweg?

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Die Unfälle mit Lastwagen häufen sich. Auf den Autobahnen, aber auch auf Landstraße­n. Prägnantes Beispiel in der Region war hier zuletzt die L 325 zwischen Wangen und Leupolz: Gleich dreimal waren dort seit Anfang April und binnen eines guten Monats Lkw in schwere Unfälle verwickelt. Eine junge Autofahrer­in starb, eine Seniorin wurde schwer verletzt. In allen drei Fällen waren – nach Stand der Ermittlung­en – die Brummifahr­er Verursache­r. Die Polizei benennt zahlreiche Ursachen für die vermehrten Unfälle – nicht nur dort. Und die Beamten des Kißlegger Verkehrsko­mmissariat­s haben die L 325 seither genauer im Blick: „Wir sind nahezu täglich auf der Strecke präsent“, sagt deren Leiter Albert Maier. Auch um der Bevölkerun­g zu zeigen: „Wir sind da.“

Vergangene­s Jahr erst war die Fahrbahnde­cke der Straße zwischen Wangen und Leupolz erneuert worden. Man könnte also meinen: Neuer Asphalt sorgt für mehr Sicherheit. Dann aber kam die Unfallseri­e auf der L 325. Binnen rund eines Monats kippten drei Lastwagen um oder landeten in der Böschung. In allen drei Fällen waren die Lkw-Fahrer von der Fahrbahn abgekommen, einmal ein Lebensmitt­eltranspor­ter, im zweiten Fall ein Müllfahrze­ug und beim dritten Mal ein Laster, der Asphaltabr­aum transporti­erte. Und schon in früheren Jahren waren dort Lkw in Unfälle verstrickt.

Mehr Kieslaster ein Grund

Albert Maier nennt drei Gründe, die für die Unfallhäuf­ung ursächlich sein können: Erstens ist da der allgemein zunehmende (Lkw-)Verkehr, nicht nur auf Autobahnen, auch auf Landstraße­n. Zweitens haben die Polizisten Lastwagen-Bewegungen von und zur Kiesgrube samt Asphaltmis­chanlage in Grenis ausgemacht. „In der Vergangenh­eit haben wir diese so nicht wahrgenomm­en“, so der Chef der Verkehrspo­lizei in der Region. Befragunge­n, auch im Zusammenha­ng mit den jüngsten Unfällen, hätten aber diesen Trend bestätigt. Und drittens könnte gerade die vergleichs­weise frisch gemachte Straße mit ursächlich sein. Die Bankette sind vielleicht durch den neuen Asphalt zum Teil noch nicht so gefestigt sein, vermutet Maier.

Mal ganz abgesehen von den in der Region ohnehin vergleichs­weise engen und kurvigen Landstraße­n. Maier blickt da auf langfristi­ge Entwicklun­gen: „Das Straßennet­z hat sich nicht verändert, und man hat dem Umstand nicht Rechnung getragen, dass die Lkw immer größer wurden. Unsere Infrastruk­tur stimmt eigentlich nicht.“Die Gefahr für Lkw, aufs Bankett zu geraten, ist also vergleichs­weise groß. Unachtsamk­eiten am Steuer wirkten sich da „viel prekärer“aus als anderswo. Maier stellt deshalb die Frage in den Raum: „Sind unsere Kreisstraß­en überhaupt für den Lkw-Verkehr geeignet?“

Immer höherer Zeitdruck

Zur Verdeutlic­hung zieht er Daten der Polizei heran. In den vergangene­n drei Jahren war auf den Bundes-, Landesund Kreisstraß­en im Landkreis Ravensburg das Abkommen von der Fahrbahn jeweils zwischen 16 und 18 Mal Grund für von Lkw-Fahrern verursacht­e Unfällen. 2016 und 2017 lag sie damit höher als die Zahl der Auffahrunf­älle. Insgesamt waren laut Polizeista­tistik seit 2015 im Kreis stets etwas mehr als 100 Mal Brummi-Fahrer Schuld an Unfällen. Mit 88 Unfällen lag sie letztmals 2014 unter dieser Marke.

Es sind also immer voluminöse­re Brummis unterwegs, deren Fahrer nach Beobachtun­gen der Polizei zugleich unter immer größerem Zeitdruck stehen. Dabei sind sie mitunter ganz bewusst auf Landstraße­n unterwegs, weil die Navigation­sgeräte diese als den schnellste­n Weg kennzeichn­en. Und: „Die Just-in-time-Lieferung von Warengüter­n nimmt zu.“Albert Maier spricht damit nicht nur den Trend in Unternehme­n an, möglichst geringe (und teure) Lagerzeite­n zu haben, sondern auch die Bürger selbst: Wer heute im Internet Ware bestelle, erwarte, dass sie möglichst schnell ankommt.

Das Verlassen auf Navis und der Zeitdruck haben Folgen. Denn der Leiter des Verkehrsko­mmissariat­s hat beobachtet: „Die Zunahme des Verkehrs in unserer Gegend erfolgt auch auf den Nebenstraß­en.“Die Unfallgefa­hr erhöht sich damit. Und dazu besagt eine Faustregel der Polizei, dass hinter jedem Unfall zusätzlich drei Beinahe-Crashs stehen. Also Situatione­n, die gerade noch glimpflich ausgehen.

Natürlich auch bezogen auf die Autobahn 96, für deren gut 47 Kilometer langen Abschnitt zwischen den Landesgren­zen zu Bayern bei Achberg und an der Illerbrück­e bei Aitrach die Kißlegger Verkehrspo­lizei ebenfalls zuständig ist. Sicher, „wir sind hier noch in einer heilen Welt“, gibt deren Chef zu. Die A 96 sei weniger befahren als andere Autobahnen im Land, Staus seien eher die Ausnahme, und Dauerbaust­ellen gebe es auch nicht.

Rast selbst in der Kontrollbu­cht

Allerdings bemerkt Maier Veränderun­gen. Früher hätten seine Streifen auf der Strecke zwischen Achberg und Aichstette­n zwei, vielleicht drei Lastwagen überholt, heute alle ein bis zwei Kilometer. Dass sich die Fahrleistu­ng von Lkw im Land seit 1995 um 22 Prozent erhöht hat, ist also auch hier spürbar. Was an möglichen Haltepunkt­en sichtbar ist. Der Rasthof bei Aichstette­n „ist eigentlich immer voll“, sagt Maier. Und da bei Hörbranz noch die Bauarbeite­n laufen, suchen die Brummifahr­er Ersatz: auf dem P+R-Parkplatz bei Waltershof­en oder gar in den von der Polizei gern genutzten Kontrollbu­chten an der Anschlusss­telle Kißlegg.

„Ich verstehe da die Fahrer ein Stück weit“, sagt der Leiter der Verkehrspo­lizei. Vor allem jene aus dem Ausland seien oft „arme Schweine“, die für ganz geringen Lohn führen. Deshalb setzt die Arbeit des Kißlegger Verkehrsko­mmissariat­s auch an anderer Stelle an, wenn es darum geht, „schwarze Schafe“aus dem Lkw-Verkehr zu ziehen. Eine teils mit Kfz-Fachleuten besetzte Gruppe sei auf der Höhe der (digital-)technische­n Zeit, und ihre Arbeit soll vor allem die Fuhruntern­ehmer treffen.

Vor allem auf die Technik sehen sie es ab. Denn gefälschte Fahrtensch­reiber, mit denen die teils drastische­n Übertritte von Lenkzeiten vertuscht werden sollen, seien heute „High-Tech“, so Maier. Die Geräte seien voreingest­ellt, und die Fahrer wüssten oft nur noch, wo sie „den Knopf drücken müssen“. Im Verdachtsf­all werde der Apparat ausgebaut und ausgewerte­t. Bewahrheit­et sich der Verstoß, legt die Polizei den Wagen still. Die Folge: Der Lkw steht mitunter bis zu acht Tage.

Laut Maier hat dies zwei Vorteile: Die Ausfallkos­ten für den Unternehme­r lägen schnell bei 10 000 Euro, und es handelt sich dabei nicht mehr um eine Ordnungswi­drigkeit, sondern um eine Straftat: „Da haben wir die Staatsanwa­ltschaft auf unserer Seite und wir treffen die richtigen.“

Jeder zweite Lkw beanstande­t

Wie nötig die Arbeit offenbar ist, zeigen abermals Zahlen der Polizei: So haben 35 Spezialist­en für den Schwerverk­ehr der Verkehrsdi­rektion Sigmaringe­n im vergangene­n Jahr etwas mehr als 10 000 Lkw kontrollie­rt – bezogen auf ihren Zuständigk­eitsbereic­h auf der A 96, auf der A 81 aber auch auf den Landstraße­n in der hiesigen Region, den Kreisen Ravensburg, Friedrichs­hafen, Konstanz und Sigmaringe­n.

Das Ergebnis: Mit knapp 5000 wies fast die Hälfte aller Fahrzeuge Beanstandu­ngen auf. Vor allem aber: Bei mehr als 3800 Brummis ermittelte­n die Beamten Verstöße gegen das „Fahrperson­alrecht“. Konkret geht es dabei um die Lenk- und Ruhezeiten, aber auch, weil das Kontrollge­rät „nicht ordnungsge­mäß betrieben“wurde. 250 Mal ging es für die Brummifahr­er nicht mehr weiter. Albert Maier hat dafür nur einen Satz übrig: „Ich find’s krass.“

Eine Paradelösu­ng für die Probleme zunehmende­n Lastwagenv­erkehrs und von Rechtsvers­tößen hat er ebenso wenig wie viele andere Experten. Wohl aber eine Idee, wie man den Verkehr auf Landstraße­n ein Stück weit sicherer machen könnte: „Ich würde mich da mal vorwagen“, sagt Albert Maier – und schlägt dort eine Tempobegre­nzung für Brummifahr­er auf nur noch 60 Stundenkil­ometer vor. Denn: „Das ist für mich eine Konsequenz.“

 ?? ARCHIVFOTO: ROLAND RASEMANN ?? Auf der A 96 ist die Verkehrspo­lizei immer wieder mit Lkw-Kontrollen beschäftig­t, hier ein Archivfoto von 2015. Deren Ergebnisse empfindet deren Leiter Albert Maier als „krass“.
ARCHIVFOTO: ROLAND RASEMANN Auf der A 96 ist die Verkehrspo­lizei immer wieder mit Lkw-Kontrollen beschäftig­t, hier ein Archivfoto von 2015. Deren Ergebnisse empfindet deren Leiter Albert Maier als „krass“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany