Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mehr Lkw-Verkehr, mehr Unfälle
Gespräch mit dem Leiter der Verkehrspolizei – Tempo 60 auf Landstraßen ein Ausweg?
WANGEN - Die Unfälle mit Lastwagen häufen sich. Auf den Autobahnen, aber auch auf Landstraßen. Prägnantes Beispiel in der Region war hier zuletzt die L 325 zwischen Wangen und Leupolz: Gleich dreimal waren dort seit Anfang April und binnen eines guten Monats Lkw in schwere Unfälle verwickelt. Eine junge Autofahrerin starb, eine Seniorin wurde schwer verletzt. In allen drei Fällen waren – nach Stand der Ermittlungen – die Brummifahrer Verursacher. Die Polizei benennt zahlreiche Ursachen für die vermehrten Unfälle – nicht nur dort. Und die Beamten des Kißlegger Verkehrskommissariats haben die L 325 seither genauer im Blick: „Wir sind nahezu täglich auf der Strecke präsent“, sagt deren Leiter Albert Maier. Auch um der Bevölkerung zu zeigen: „Wir sind da.“
Vergangenes Jahr erst war die Fahrbahndecke der Straße zwischen Wangen und Leupolz erneuert worden. Man könnte also meinen: Neuer Asphalt sorgt für mehr Sicherheit. Dann aber kam die Unfallserie auf der L 325. Binnen rund eines Monats kippten drei Lastwagen um oder landeten in der Böschung. In allen drei Fällen waren die Lkw-Fahrer von der Fahrbahn abgekommen, einmal ein Lebensmitteltransporter, im zweiten Fall ein Müllfahrzeug und beim dritten Mal ein Laster, der Asphaltabraum transportierte. Und schon in früheren Jahren waren dort Lkw in Unfälle verstrickt.
Mehr Kieslaster ein Grund
Albert Maier nennt drei Gründe, die für die Unfallhäufung ursächlich sein können: Erstens ist da der allgemein zunehmende (Lkw-)Verkehr, nicht nur auf Autobahnen, auch auf Landstraßen. Zweitens haben die Polizisten Lastwagen-Bewegungen von und zur Kiesgrube samt Asphaltmischanlage in Grenis ausgemacht. „In der Vergangenheit haben wir diese so nicht wahrgenommen“, so der Chef der Verkehrspolizei in der Region. Befragungen, auch im Zusammenhang mit den jüngsten Unfällen, hätten aber diesen Trend bestätigt. Und drittens könnte gerade die vergleichsweise frisch gemachte Straße mit ursächlich sein. Die Bankette sind vielleicht durch den neuen Asphalt zum Teil noch nicht so gefestigt sein, vermutet Maier.
Mal ganz abgesehen von den in der Region ohnehin vergleichsweise engen und kurvigen Landstraßen. Maier blickt da auf langfristige Entwicklungen: „Das Straßennetz hat sich nicht verändert, und man hat dem Umstand nicht Rechnung getragen, dass die Lkw immer größer wurden. Unsere Infrastruktur stimmt eigentlich nicht.“Die Gefahr für Lkw, aufs Bankett zu geraten, ist also vergleichsweise groß. Unachtsamkeiten am Steuer wirkten sich da „viel prekärer“aus als anderswo. Maier stellt deshalb die Frage in den Raum: „Sind unsere Kreisstraßen überhaupt für den Lkw-Verkehr geeignet?“
Immer höherer Zeitdruck
Zur Verdeutlichung zieht er Daten der Polizei heran. In den vergangenen drei Jahren war auf den Bundes-, Landesund Kreisstraßen im Landkreis Ravensburg das Abkommen von der Fahrbahn jeweils zwischen 16 und 18 Mal Grund für von Lkw-Fahrern verursachte Unfällen. 2016 und 2017 lag sie damit höher als die Zahl der Auffahrunfälle. Insgesamt waren laut Polizeistatistik seit 2015 im Kreis stets etwas mehr als 100 Mal Brummi-Fahrer Schuld an Unfällen. Mit 88 Unfällen lag sie letztmals 2014 unter dieser Marke.
Es sind also immer voluminösere Brummis unterwegs, deren Fahrer nach Beobachtungen der Polizei zugleich unter immer größerem Zeitdruck stehen. Dabei sind sie mitunter ganz bewusst auf Landstraßen unterwegs, weil die Navigationsgeräte diese als den schnellsten Weg kennzeichnen. Und: „Die Just-in-time-Lieferung von Warengütern nimmt zu.“Albert Maier spricht damit nicht nur den Trend in Unternehmen an, möglichst geringe (und teure) Lagerzeiten zu haben, sondern auch die Bürger selbst: Wer heute im Internet Ware bestelle, erwarte, dass sie möglichst schnell ankommt.
Das Verlassen auf Navis und der Zeitdruck haben Folgen. Denn der Leiter des Verkehrskommissariats hat beobachtet: „Die Zunahme des Verkehrs in unserer Gegend erfolgt auch auf den Nebenstraßen.“Die Unfallgefahr erhöht sich damit. Und dazu besagt eine Faustregel der Polizei, dass hinter jedem Unfall zusätzlich drei Beinahe-Crashs stehen. Also Situationen, die gerade noch glimpflich ausgehen.
Natürlich auch bezogen auf die Autobahn 96, für deren gut 47 Kilometer langen Abschnitt zwischen den Landesgrenzen zu Bayern bei Achberg und an der Illerbrücke bei Aitrach die Kißlegger Verkehrspolizei ebenfalls zuständig ist. Sicher, „wir sind hier noch in einer heilen Welt“, gibt deren Chef zu. Die A 96 sei weniger befahren als andere Autobahnen im Land, Staus seien eher die Ausnahme, und Dauerbaustellen gebe es auch nicht.
Rast selbst in der Kontrollbucht
Allerdings bemerkt Maier Veränderungen. Früher hätten seine Streifen auf der Strecke zwischen Achberg und Aichstetten zwei, vielleicht drei Lastwagen überholt, heute alle ein bis zwei Kilometer. Dass sich die Fahrleistung von Lkw im Land seit 1995 um 22 Prozent erhöht hat, ist also auch hier spürbar. Was an möglichen Haltepunkten sichtbar ist. Der Rasthof bei Aichstetten „ist eigentlich immer voll“, sagt Maier. Und da bei Hörbranz noch die Bauarbeiten laufen, suchen die Brummifahrer Ersatz: auf dem P+R-Parkplatz bei Waltershofen oder gar in den von der Polizei gern genutzten Kontrollbuchten an der Anschlussstelle Kißlegg.
„Ich verstehe da die Fahrer ein Stück weit“, sagt der Leiter der Verkehrspolizei. Vor allem jene aus dem Ausland seien oft „arme Schweine“, die für ganz geringen Lohn führen. Deshalb setzt die Arbeit des Kißlegger Verkehrskommissariats auch an anderer Stelle an, wenn es darum geht, „schwarze Schafe“aus dem Lkw-Verkehr zu ziehen. Eine teils mit Kfz-Fachleuten besetzte Gruppe sei auf der Höhe der (digital-)technischen Zeit, und ihre Arbeit soll vor allem die Fuhrunternehmer treffen.
Vor allem auf die Technik sehen sie es ab. Denn gefälschte Fahrtenschreiber, mit denen die teils drastischen Übertritte von Lenkzeiten vertuscht werden sollen, seien heute „High-Tech“, so Maier. Die Geräte seien voreingestellt, und die Fahrer wüssten oft nur noch, wo sie „den Knopf drücken müssen“. Im Verdachtsfall werde der Apparat ausgebaut und ausgewertet. Bewahrheitet sich der Verstoß, legt die Polizei den Wagen still. Die Folge: Der Lkw steht mitunter bis zu acht Tage.
Laut Maier hat dies zwei Vorteile: Die Ausfallkosten für den Unternehmer lägen schnell bei 10 000 Euro, und es handelt sich dabei nicht mehr um eine Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Straftat: „Da haben wir die Staatsanwaltschaft auf unserer Seite und wir treffen die richtigen.“
Jeder zweite Lkw beanstandet
Wie nötig die Arbeit offenbar ist, zeigen abermals Zahlen der Polizei: So haben 35 Spezialisten für den Schwerverkehr der Verkehrsdirektion Sigmaringen im vergangenen Jahr etwas mehr als 10 000 Lkw kontrolliert – bezogen auf ihren Zuständigkeitsbereich auf der A 96, auf der A 81 aber auch auf den Landstraßen in der hiesigen Region, den Kreisen Ravensburg, Friedrichshafen, Konstanz und Sigmaringen.
Das Ergebnis: Mit knapp 5000 wies fast die Hälfte aller Fahrzeuge Beanstandungen auf. Vor allem aber: Bei mehr als 3800 Brummis ermittelten die Beamten Verstöße gegen das „Fahrpersonalrecht“. Konkret geht es dabei um die Lenk- und Ruhezeiten, aber auch, weil das Kontrollgerät „nicht ordnungsgemäß betrieben“wurde. 250 Mal ging es für die Brummifahrer nicht mehr weiter. Albert Maier hat dafür nur einen Satz übrig: „Ich find’s krass.“
Eine Paradelösung für die Probleme zunehmenden Lastwagenverkehrs und von Rechtsverstößen hat er ebenso wenig wie viele andere Experten. Wohl aber eine Idee, wie man den Verkehr auf Landstraßen ein Stück weit sicherer machen könnte: „Ich würde mich da mal vorwagen“, sagt Albert Maier – und schlägt dort eine Tempobegrenzung für Brummifahrer auf nur noch 60 Stundenkilometer vor. Denn: „Das ist für mich eine Konsequenz.“