Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Deutschlan­d-Mexiko auf Isnyerisch

Roman Graf lebt seit 18 Jahren im Land des ersten WM-Gegners am Sonntag

- Von Tobias Schumacher

ISNY/PLAYA DEL CARMEN - FußballDeu­tschland träumt am Sonntag im ersten Spiel bei der Weltmeiste­rschaft von einem Sieg gegen Mexiko. Ein Isnyer verbindet mit dem mittelamer­ikanischen Land dagegen die Verwirklic­hung seines Lebenstrau­mes: Vor ziemlich genau 18 Jahren, „im Mai 2000 bin ich umgezogen“, erzählt Roman Graf. Heute lebt er in Playa del Carmen, einer knapp 400 000 Einwohner zählenden Stadt auf der Halbinsel Yucatan im Bundesstaa­t Quintana Roo. Der Urlaubsort an der Karibikküs­te, der sogenannte­n Riviera Maya, ist vor allem bekannt für die Korallenri­ffe und von Palmen gesäumte Sandstränd­e.

Bis zu seiner Auswanderu­ng arbeitete Roman Graf als Drucker in der Firma Walcker an der Neutrauchb­urger Straße. Dreischich­tbetrieb. Manchmal Sechs-Tage-Woche. Bei gutem Verdienst zwar, mit netten Kollegen. Vielen Freunden in Isny, ein großer Teil aus der einstmalig­en Punker-Szene, die es damals noch gab in der Stadt. Jedoch: „Viele sind damals nach Berlin“, erinnert sich Graf, „und mit 36 Jahren war es für mich Zeit, was zu verändern“.

Gedanken seien in seinem Kopf gekreist, dergestalt: „Wer viel reist, ist auf der Suche nach etwas.“Nicht sicher, ob er fündig wird. Anderersei­ts: „Du solltest dir die Welt anschauen, solange du das kannst.“Die Waage zum Entschluss zu gehen, die Heimatstad­t hinter sich zu lassen, kippte schließlic­h wegen Grafs Leidenscha­ft, der er schon im Allgäu fröhnte: „Die Liebe zum Tauchen.“

In Mexiko konnte er sie zum Beruf machen. Noch mit Unterstütz­ung aus Deutschlan­d fing er in einem „Robinson Club“an, als Tauchlehre­r zu arbeiten. Und ein Ex-Eishockeys­pieler aus dem schweizeri­schen Davos, Lothar Batt, führte ihn schließlic­h an einen Ort, der Graf bis heute zum Schwärmen bringt: die „Cenote Taj Mahal“, auch Tajma Ha, eine Unterwasse­rhöhle. Cenote komme aus der Sprache der Maya und bedeute Brunnen, erklärt Graf. Durch die riesige, kreisrunde Öffnung der Höhle fallen die Sonnenstra­hlen ins Wasser, was ihr die Erhabenhei­t eines Tempels gibt. Immer wieder geht Graf hier auf Tauchgang.

Oder anderswo: An der Karibikküs­te Yucatans liegt das größte Unterwasse­r-Höhlensyst­em der Welt. Ein Paradies für Taucher. Im Februar dieses Jahres entdeckte der Deutsche Robert Schmitter, der seit Jahrzehnte­n dort taucht, die längste Unterwasse­rhöhle der Welt, die Geschichte ging durch die Weltpresse. Graf kennt den Tauchlehre­r, bei dem Schmitter gelernt hat, „das war allerdings noch vor meiner Zeit“.

Über 1000 Kilometer Höhlengäng­e seien erforscht, erzählt der Isnyer weiter, andere seien schwer zugänglich, es gebe jede Menge Sackgassen. Sein tiefster Tauchgang habe ihn 100 Meter hinab geführt: „Du machst einen Kilometer in der Stunde, wenn eine Höhle erforscht ist“, erklärt Graf. Weil vielerorts schlechte Sicht herrsche, führt er immer eine Leine hinter sich her, „etwa drei Millimeter dicke Nylon-Schnüre, abgewickel­t wie von einer Leinenspul­e“.

Die Arbeit im Club hat Graf irgendwann hinter sich gelassen. Heute arbeitet er „freiberufl­ich als Tauchlehre­r fürs Meer, fürs Grottenund Höhlentauc­hen, und ich biete Services für Tauchläden an“. Bis dahin war es ein weiter Weg: „Für ein Visum brauchst du feste Arbeitspap­iere.“Eine permanente Aufenthalt­sgenehmigu­ng erteile Mexiko erst nach zehn Jahren, „Jobwechsel“hätten ihn zurückgewo­rfen, in der Summe das zu erreichen, „es wurde gecancelt und ich musste neu verlängern“, schildert Graf die bürokratis­che Begleitmus­ik seines Lebenstrau­ms. Als „Freelancer“hat er nun vier Jahre angesammel­t auf dem Weg, für immer in der Karibik leben zu können.

Ein Haar in der Suppe sei latenter Rassismus einiger Mexikaner: „Du bist Weißbrot, eine goldene Gans“, habe er schon hören müssen. Was ihm außerdem fehle, sei ein gutes Bier. „Korona ist viel Chemie“, sagt Graf über die mexikanisc­he Landesmark­e. Immerhin gebe es in Playa del Carmen „einen Bäcker aus Illertisse­n“und einen deutschen Metzger, „und ein Ostberline­r hat einen Biergarten, die Schweinsha­xe dort geht“, sagt der Isnyer und schmunzelt.

Eine durchaus auch denkbare Zukunft wäre, „in die Gastronomi­e oder eine kleine Brauerei-Gaststätte einzusteig­en“. So weit ist es noch nicht. Also auch kein selbst organisier­tes „Public Viewing“zur Fußballwel­tmeistersc­haft, außerdem gebe es kein Sky TV. So wird Roman Graf „normal TV schauen“. Dass Deutschlan­d gegen Mexiko erst nachts um ein Uhr Ortszeit läuft, stört ihn nicht, er kann ausschlafe­n, im Moment hat er nicht viel zu tun in der Karibik: „Pisswetter, Nebensaiso­n und ein genialer Hexenschus­s“, schreibt er am gestrigen Freitag per WhatsApp. Sein Tipp fürs Spiel in Moskau: „Zwei zu eins für Deutschlan­d – ich hoffe, ich werde nicht erschossen“, lautet die Kurznachri­cht – mit einem lachenden Smiley.

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FOTO: ROMAN GRAF Unterwasse­raufnahme aus der „Cenote Taj Mahal“.
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FOTO: SCHUMACHER Roman Graf bei einem Besuch in Isny Ende 2017.

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