Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Verhaltene Stimmung
Kehrausstimmung nach dem deutschen 0:1 gegen Mexiko beim Public Viewing auf dem Marktplatz
Frust überwiegt beim Leutkircher Public Viewing und dem 0:1 gegen Mexiko.
LEUTKIRCH - Es schaut bös aus vor dem Anpfiff. Dunkle Wolken dräuen von Südwesten her, ein regenschwangerer Wind lässt Übles ahnen, und der „Affen“-Wirt spannt schon mal einen Regenschirm über den nässeempfindlichen Beamer, der die bewegten Bilder auf die Großbildleinwand vor dem Kornhaus wirft. Da tut es gut, dass am Sonntagabend von besagter Leinwand herab der TV-Gastkommentator Christoph Kramer die bangende Fanschar beruhigt: „Alle Lösungen sind gefunden.“
Er hätte mit diesem ebenso bedingungswie grundlosen Optimismus Regierungssprecher unter Kanzlerin Merkel werden sollen. Die Leute lachen jedenfalls, und als die Nationalhymnen angestimmt werden, dreht der Wirt schon mal den Lautstärkeregler nach oben. Motto: viel hilft viel. Die jungen Fans wedeln heftig mit ihren riesigen schwarz-rot-goldenen Flaggen. Auch ein dunkelhäutiger Fan lässt sich mit der Deutschlandfahne fotografieren. Die große Deutschland-Sause kann steigen.
Zaghafte „Deutschland“-Rufe
Leider steigt bloß der Blutdruck der Fans in beängstigende Höhen, weil Mexikos Lozano schon nach zwei Minuten eine Riesenchance hat, Abwehrrecke Hummels umherirrt wie ein Ziegenbock auf Rollschuhen und weil es nach einer Viertelstunde in der deutschen Abwehr schon wieder knackt und knirscht. Das einzig Konstante bei Löws Leuten sind die Fehlpässe.
Der Stimmungspegel rutscht nach jedem Patzer – also nahezu stetig – weiter nach unten, und der Satz des TV-Kommentators „Passiert ist ja noch nichts“hat auch bloß bis zur 35. Minute seine Richtigkeit, als Lozano nach einem weiteren Hummels-Missgeschick einnetzt zum 1:0 für Mexiko. Jetzt blinzelt sogar die Sonne zwischen den dunklen Wolken raus, doch die Stimmung wird nicht heller, und die vereinzelten „Deutschland“-Rufe wirken so zaghaft wie das deutsche Angriffsspiel.
Gedrückte Stimmung
In der Halbzeitpause macht der Pizza-Bäcker ums Eck ein Bombengeschäft, doch nach dem Gesehenen schmeckt den meisten schwarz-rotgoldenen Fans die Margerita wie ein Stück kalte Pappe. „Jetzt muaß der Löw aber was mache“, schimpft ein Fan, den sein 5-er-Trikot als Hummels-Fan ausweist, auf dem Pissoir. „Des goht ja gar it.“Wo Volkes Stimme recht hat, hat sie recht. Meistens aber schweigt Volkes Stimme, weil das Gebotene des Noch-Weltmeisters gar so jämmerlich ausschaut, dass es einem glatt auf die Stimmbänder schlägt.
„Wann wird Deutschland endlich wach bei dieser WM?“mahnt der TV-Kommentator, woraufhin der ansonsten grausig schwache Kimmich zu einem beherzten Fallrückzieher ansetzt, was die Fans auch prompt aus ihrer Lethargie reißt. Das aber entpuppt sich als Strohfeuer, und schon vor dem Abpfiff sind die meisten so sauer, dass es nicht einmal mehr zum Schimpfen reicht. 0:1 zum WM-Auftakt gegen Mexiko! Die jugendlichen Fahnenträger rollen ihre riesigen Banner zusammen und trotten beklommen nach Hause, vor der Stadtbücherei rußt ein schwarz-rotgoldener Bengalo-Feuerwerkskörper unbeachtet vor sich hin, und ein Bediensteter kehrt fein säuberlich den Boden: Kehrausstimmung beim Public Viewing.
Der Begriff Public Viewing bedeutet im Englischen übrigens ursprünglich die öffentliche Betrachtung eines Verstorbenen. Diesmal trifft es auch in diesem Sinn zu – auch wenn es sich nur um zu Grabe getragene deutsche WM-Hoffnungen handelt. Immerhin hat der Himmel seine Schleusen das ganze Deutschlandspiel über geschlossen gehalten. Aber das ist nach diesen 90 Minuten nur ein sehr schwacher Trost.
Das Public Viewing wird von Gastronom Raphael Notz (Blauer Affe) in Zusammenarbeit mit der Schwäbischen Zeitung veranstaltet. Zumindest alle wichtigen Spiele sollen immer übertragen werden. Als nächster Knaller wartet am Samstag, 23. Juni (20 Uhr), das nächste Spiel der deutschen Mannschaft gegen Schweden, das am Montag 1:0 gegen Südkorea gewonnen hat.