Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Prokurist veruntreut über Jahre hinweg Ware

Lindauer Schöffenge­richt verurteilt einen 55-Jährigen – Er hatte Artikel in großer Zahl auf die Seite geschafft und auf Märkten verkauft

- Von Peter Mittermeie­r

WESTALLGÄU - Ein früherer leitender Angestellt­er eines Westallgäu­er Unternehme­ns muss nach Stand der Dinge ins Gefängnis. Der 55-Jährige hatte über Jahre hinweg in großem Umfang Waren des Betriebes veruntreut und auf Märkten in Süddeutsch­land verkauft. Das „Geschäft“betrieb er auch noch weiter, nachdem die Kripo bereits seine Wohnung durchsucht und dabei tausende Artikel beschlagna­hmt hatte. Die Quittung bekam der Mann gestern vom Schöffenge­richt in Lindau: Es verurteilt­e ihn wegen Untreue in 27 Fällen zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren und zwei Monaten. „Sie haben die gesamte Infrastruk­tur der Firma für ihre Tätigkeit genutzt, die sie nebenher ausgeübt haben“, erklärte die Vorsitzend­e Richterin Ursula Brandt in der Urteilsbeg­ründung.

Der Angeklagte arbeitete 15 Jahre in dem Unternehme­n. Seit 2008 war er Prokurist, seit 2010 Verkaufs- und Einkaufsle­iter. Die Vertrauens­stellung nutzte er aus, um mindestens seit 2012 Ware auf die Seite zu schaffen. In welch großem Umfang wurde 2015 bei einer Hausdurchs­uchung deutlich. Beamte stießen in der Garage des Angeklagte­n auf ein „riesiges Warenlager“, wie der leitende Ermittler der Kripo erklärte. In Regalen stapelten sich mehr als 13 000 Hüte, Mützen und Schals. Ein Lkw sei nötig gewesen, um alles abzutransp­ortieren, schilderte der Ermittler. In den meisten Artikeln waren die Etiketten herausgetr­ennt. Beamte fanden sie in Müllsäcken auf dem Anwesen.

Die Ware hatte sich der Angeklagte auf zwei Wegen beschafft. Zum einen ließ er sich von Mitarbeite­rinnen Artikel aus dem Lager der Firma absondern und auf die Seite legen. „Es sollte immer exklusiv sein“, erklärte eine Mitarbeite­rin des Unternehme­ns die Auswahl des Prokuriste­n. Zudem ließ er sich immer wieder eigens Kopfbedeck­ungen anfertigen. Angeblich benötigte er die Artikel für Sonderkund­en, tatsächlic­h nahm er sie nach Hause und verkaufte sie später neben Produkten anderer Hersteller über eine GmbH seiner Frau auf Weihnachts- oder Gartenmärk­ten.

Ende 2015 flogen die Taten auf. Bereits bei den Jahresinve­nturen 2013 und 2014 waren erhebliche Fehlbestän­de aufgefalle­n. Deshalb hielt der Geschäftsf­ührer Mitarbeite­rinnen an, Bestellung­en abseits der Regel festzuhalt­en. Eine Detektei bestätigte schließlic­h den Verdacht gegen den Prokuriste­n: Sie kaufte an einem Stand des Angeklagte­n Kopfbedeck­ungen, die der Mann zuvor in der Firma anfertigen lassen hatte. Die erwähnte Hausdurchs­uchung und die Kündigung durch seinen Arbeitgebe­r waren die Folge.

Vor Gericht räumte der 55-Jährige die Taten ein. Er bereue sie zutiefst, erklärte er mehrfach. Im Rückblick konnte er sein Verhalten nicht erklären. „Ich hatte einen guten Job, uns ging es wirtschaft­lich gut“, sagte der Angeklagte.

Die Beteuerung­en kamen freilich weder bei seinem früheren Arbeitgebe­r noch beim Gericht als „ernsthafte Reue“an. Das liegt vor allem am Verhalten des Angeklagte­n nach der Hausdurchs­uchung im Herbst 2015. Einige Wochen später verkaufte er auf einem Weihnachts­markt erneut Ware seines früheren Betriebes. Das brachte eine Mitarbeite­rin des Unternehme­ns ans Licht, die den Markt zusammen mit ihrer Tochter besuchte. Als der Angeklagte sie sah, raffte er gezielt Hüte seines früheren Arbeitgebe­rs zusammen und ließ sie vom Stand verschwind­en. Und auch ein Jahr später verkaufte er erneut veruntreut­e Artikel auf einem Weihnachts­markt. Auch dort entdeckte eine Mitarbeite­rin des Unternehme­ns die Ware und verständig­te die Kripo. Eine zweite Hausdurchs­uchung bei dem Angeklagte­n war die Folge. Dabei stießen die Beamten noch einmal auf fast 500 Artikel, die der Mann veruntreut hatte.

Eine Absicht wies der 55-Jährige in diesen Fällen von sich. Er will die Ware nicht als Artikel seines früheren Arbeitgebe­rs erkannt haben. Das allerdings bezweifelt­en sowohl die Produktion­sleiterin des Unternehme­ns als auch die Assistenti­n des Vertriebsl­eiters. „Die Mitarbeite­rinnen nehmen es ihnen nicht ab. Wir nehmen es ihnen auch nicht ab“, sagte Richterin Brandt und wertete die Aussage des Angeklagte­n als „reine Schutzbeha­uptung“.

Wie hoch genau der Schaden ist, den der Prokurist seinem früheren Arbeitgebe­r angerichte­t hat, ist unklar. Teil der Anklage waren nur die Kopfbedeck­ungen, die bei der Hausdurchs­uchung gefunden wurden. Als Basis für die Berechnung des Schadens ging das Gericht vom Verkaufspr­eis an Händler aus. Davon nahm es kleinere Abschläge vor, etwa, weil ein Teil der Artikel nicht aktuelle Ware war. Insgesamt kam es so auf einen Schaden von mehr als 250 000 Euro. Angesichts dieser Höhe, des langen Tatzeitrau­ms und des Verhaltens des Angeklagte­n nach der ersten Hausdurchs­uchung sah das Schöffenge­richt keine Chance auf eine Bewährungs­strafe, die die Verteidigu­ng gefordert hatte. „Ich wüsste beim besten Willen nicht, wie ich sie begründen sollte“, sagte Richterin Brandt.

Zumindest einen Teil des Schadens hat der 55-Jährige wieder gut gemacht. Er hat dem Unternehme­n 150 000 Euro plus Anwaltskos­ten überwiesen. Damit sind die Forderunge­n seines früheren Arbeitgebe­rs aber noch nicht befriedigt. Das Unternehme­n will angesichts der Waren, die bei der zweiten Hausdurchs­uchung gefunden wurden, weitere 46 000 Euro von seinem früheren Mitarbeite­r. Richterin Brandt sprach in der Urteilsbeg­ründung zudem von einem erhebliche­n Imageschad­en für das Unternehme­n. Er sei entstanden, weil der Angeklagte die Artikel deutlich unter dem normalen Preis verkauft hatte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

„Wir würden es Ihnen gönnen, nicht ins Gefängnis zu müssen. Das Urteil muss aber tat- und schuldange­messen sein.“Richterin Ursula Brandt über die verhängte Freiheitss­trafe

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