Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Prokurist veruntreut über Jahre hinweg Ware
Lindauer Schöffengericht verurteilt einen 55-Jährigen – Er hatte Artikel in großer Zahl auf die Seite geschafft und auf Märkten verkauft
WESTALLGÄU - Ein früherer leitender Angestellter eines Westallgäuer Unternehmens muss nach Stand der Dinge ins Gefängnis. Der 55-Jährige hatte über Jahre hinweg in großem Umfang Waren des Betriebes veruntreut und auf Märkten in Süddeutschland verkauft. Das „Geschäft“betrieb er auch noch weiter, nachdem die Kripo bereits seine Wohnung durchsucht und dabei tausende Artikel beschlagnahmt hatte. Die Quittung bekam der Mann gestern vom Schöffengericht in Lindau: Es verurteilte ihn wegen Untreue in 27 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. „Sie haben die gesamte Infrastruktur der Firma für ihre Tätigkeit genutzt, die sie nebenher ausgeübt haben“, erklärte die Vorsitzende Richterin Ursula Brandt in der Urteilsbegründung.
Der Angeklagte arbeitete 15 Jahre in dem Unternehmen. Seit 2008 war er Prokurist, seit 2010 Verkaufs- und Einkaufsleiter. Die Vertrauensstellung nutzte er aus, um mindestens seit 2012 Ware auf die Seite zu schaffen. In welch großem Umfang wurde 2015 bei einer Hausdurchsuchung deutlich. Beamte stießen in der Garage des Angeklagten auf ein „riesiges Warenlager“, wie der leitende Ermittler der Kripo erklärte. In Regalen stapelten sich mehr als 13 000 Hüte, Mützen und Schals. Ein Lkw sei nötig gewesen, um alles abzutransportieren, schilderte der Ermittler. In den meisten Artikeln waren die Etiketten herausgetrennt. Beamte fanden sie in Müllsäcken auf dem Anwesen.
Die Ware hatte sich der Angeklagte auf zwei Wegen beschafft. Zum einen ließ er sich von Mitarbeiterinnen Artikel aus dem Lager der Firma absondern und auf die Seite legen. „Es sollte immer exklusiv sein“, erklärte eine Mitarbeiterin des Unternehmens die Auswahl des Prokuristen. Zudem ließ er sich immer wieder eigens Kopfbedeckungen anfertigen. Angeblich benötigte er die Artikel für Sonderkunden, tatsächlich nahm er sie nach Hause und verkaufte sie später neben Produkten anderer Hersteller über eine GmbH seiner Frau auf Weihnachts- oder Gartenmärkten.
Ende 2015 flogen die Taten auf. Bereits bei den Jahresinventuren 2013 und 2014 waren erhebliche Fehlbestände aufgefallen. Deshalb hielt der Geschäftsführer Mitarbeiterinnen an, Bestellungen abseits der Regel festzuhalten. Eine Detektei bestätigte schließlich den Verdacht gegen den Prokuristen: Sie kaufte an einem Stand des Angeklagten Kopfbedeckungen, die der Mann zuvor in der Firma anfertigen lassen hatte. Die erwähnte Hausdurchsuchung und die Kündigung durch seinen Arbeitgeber waren die Folge.
Vor Gericht räumte der 55-Jährige die Taten ein. Er bereue sie zutiefst, erklärte er mehrfach. Im Rückblick konnte er sein Verhalten nicht erklären. „Ich hatte einen guten Job, uns ging es wirtschaftlich gut“, sagte der Angeklagte.
Die Beteuerungen kamen freilich weder bei seinem früheren Arbeitgeber noch beim Gericht als „ernsthafte Reue“an. Das liegt vor allem am Verhalten des Angeklagten nach der Hausdurchsuchung im Herbst 2015. Einige Wochen später verkaufte er auf einem Weihnachtsmarkt erneut Ware seines früheren Betriebes. Das brachte eine Mitarbeiterin des Unternehmens ans Licht, die den Markt zusammen mit ihrer Tochter besuchte. Als der Angeklagte sie sah, raffte er gezielt Hüte seines früheren Arbeitgebers zusammen und ließ sie vom Stand verschwinden. Und auch ein Jahr später verkaufte er erneut veruntreute Artikel auf einem Weihnachtsmarkt. Auch dort entdeckte eine Mitarbeiterin des Unternehmens die Ware und verständigte die Kripo. Eine zweite Hausdurchsuchung bei dem Angeklagten war die Folge. Dabei stießen die Beamten noch einmal auf fast 500 Artikel, die der Mann veruntreut hatte.
Eine Absicht wies der 55-Jährige in diesen Fällen von sich. Er will die Ware nicht als Artikel seines früheren Arbeitgebers erkannt haben. Das allerdings bezweifelten sowohl die Produktionsleiterin des Unternehmens als auch die Assistentin des Vertriebsleiters. „Die Mitarbeiterinnen nehmen es ihnen nicht ab. Wir nehmen es ihnen auch nicht ab“, sagte Richterin Brandt und wertete die Aussage des Angeklagten als „reine Schutzbehauptung“.
Wie hoch genau der Schaden ist, den der Prokurist seinem früheren Arbeitgeber angerichtet hat, ist unklar. Teil der Anklage waren nur die Kopfbedeckungen, die bei der Hausdurchsuchung gefunden wurden. Als Basis für die Berechnung des Schadens ging das Gericht vom Verkaufspreis an Händler aus. Davon nahm es kleinere Abschläge vor, etwa, weil ein Teil der Artikel nicht aktuelle Ware war. Insgesamt kam es so auf einen Schaden von mehr als 250 000 Euro. Angesichts dieser Höhe, des langen Tatzeitraums und des Verhaltens des Angeklagten nach der ersten Hausdurchsuchung sah das Schöffengericht keine Chance auf eine Bewährungsstrafe, die die Verteidigung gefordert hatte. „Ich wüsste beim besten Willen nicht, wie ich sie begründen sollte“, sagte Richterin Brandt.
Zumindest einen Teil des Schadens hat der 55-Jährige wieder gut gemacht. Er hat dem Unternehmen 150 000 Euro plus Anwaltskosten überwiesen. Damit sind die Forderungen seines früheren Arbeitgebers aber noch nicht befriedigt. Das Unternehmen will angesichts der Waren, die bei der zweiten Hausdurchsuchung gefunden wurden, weitere 46 000 Euro von seinem früheren Mitarbeiter. Richterin Brandt sprach in der Urteilsbegründung zudem von einem erheblichen Imageschaden für das Unternehmen. Er sei entstanden, weil der Angeklagte die Artikel deutlich unter dem normalen Preis verkauft hatte.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
„Wir würden es Ihnen gönnen, nicht ins Gefängnis zu müssen. Das Urteil muss aber tat- und schuldangemessen sein.“Richterin Ursula Brandt über die verhängte Freiheitsstrafe