Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wahl mit Risiken für Erdogan

- Von Susanne Güsten politik@ schwaebisc­he. de

Unabhängig vom Ergebnis der türkischen Wahlen wird das Land auf Monate hinaus mit vielen Problemen beschäftig­t sein. Den Umfragen zufolge ist eine Machtteilu­ng in Ankara das wahrschein­lichste Resultat. Staatschef Erdogan bleibt zwar im Präsidente­npalast, doch im Parlament muss er mit starken Gegenkräft­en zurechtkom­men. Eine solche Konstellat­ion erfordert Kompromiss­bereitscha­ft, die nicht zu den Stärken des 64-Jährigen zählt. Schon wird deshalb über erneute Wahlen noch vor Jahresende spekuliert, doch angesichts der Stimmung in der Bevölkerun­g wäre das ein hohes Risiko für Erdogan. Je nach Wahlausgan­g könnte schon am Sonntagabe­nd eine Nachfolge-Diskussion beginnen.

Politische Stabilität – das Hauptversp­rechen Erdogans mit Blick auf das Präsidials­ystem – wird es also voraussich­tlich nicht geben. Dabei muss die Türkei dringend Reformen angehen, unter anderem in der Wirtschaft. Das Land hat sich bis jetzt auf Investoren verlassen, die ihr Geld aus Schwellenl­ändern wie der Türkei abziehen. Erdogans Einmischun­g in die Arbeit der Zentralban­k hat die Anleger zusätzlich verunsiche­rt. Der Kursverfal­l der Lira wirft die Frage auf, wie türkische Unternehme­n ihre Schulden von rund 200 Milliarden Dollar bezahlen sollen.

Schwierige Entscheidu­ngen stehen auch in der Außenpolit­ik an. Die Türkei hat sich tief in den SyrienKrie­g verstrickt und zugleich Soldaten in den Irak entsandt, um dort gegen die kurdische Terrororga­nisation PKK vorzugehen. Eine strategisc­he Sackgasse deutet sich an. Erdogans Vorstellun­g, die Türkei könne als eigenständ­ige Kraft die Entwicklun­gen in Europa und im Nahen Osten beeinfluss­en, entspringt einem verzerrten Selbstbild, das den tatsächlic­hen Machtverhä­ltnissen nicht entspricht: In Syrien etwa kann Ankara nicht ohne grünes Licht aus Moskau handeln. Gleichzeit­ig bricht Erdogan die Brücken zum Westen ab. In seiner neuen Regierung wird es laut Medienberi­chten kein EU-Ministeriu­m mehr geben. Neue Richtungse­ntscheidun­gen wären also fällig, doch ob Ankara nach der Wahl dazu fähig sein wird, ist unsicher.

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