Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Bergwerk unter der Wiese

Vor 70 Jahren förderten Arbeiter Braunkohle in Halblech – trotz schlechter Qualität des Heizmateri­als

- Von Jessica Stiegelmay­er

HALBLECH - Als Bub hat Sepp Alletsee die Bergarbeit­er in ihren provisoris­chen Unterkünft­en öfter besucht. Weit war der Weg nicht. Er musste nur runter zur Wiese laufen, die am Haus seiner Großeltern lag. „Für Kinder war das natürlich interessan­t, das hat es sonst in der Nähe nicht gegeben“, erzählt Alletsee über die alten Stollen, die sich quer unter dem Grundstück hindurchzo­gen. Heute wohnt der 81-Jährige selber in dem Anwesen und ist Eigentümer der Wiese in der Ostallgäue­r Gemeinde Halblech.

Kohle wird dort zwar schon lange nicht mehr abgebaut: Nach den Aufzeichnu­ngen des Bergamtes Südbayern lief die Arbeit in dem Bergwerk von 1946 bis 1948. Doch hin und wieder entstehen Löcher, die von den unterirdis­chen Gängen zeugen – wie an der Stelle, an der die Kuh Regina fünf Tage in einem sechs Meter tiefen Loch festsaß. Ein Urlauber fand das trächtige Tier dort zufällig. Mit einer Seilwinde und Schlingen konnte Regina dann hinaufgezo­gen werden. „Eine ganz neue Sache“, sagt Alletsee zu dem Sturz. Bisher seien nur einmal Rehkitze in die Gänge gefallen.

„Das waren lauter ausgebilde­te Bergleute, die aus ihrer Heimat vertrieben waren“, erinnert sich Alletsee an die Arbeiter – meist Kriegsvert­riebene aus Böhmen, wie das Bergamt mitteilt. Zu Spitzenzei­ten sollen 15 Bergleute in den unterirdis­chen Gängen gearbeitet haben. „Von denen lebt heute wohl keiner mehr“, vermutet Alletsee. Denn die Arbeiter seien damals „schon gestandene Mannsbilde­r“gewesen. Viele von ihnen seien später wieder weggezogen, einige jedoch auch in Halblech geblieben.

Wieso entstand eigentlich ein Bergwerk direkt unter einer Wiese in Buching? Vor allem aus der Not heraus, erklärt Hubert Romeder, Gemeindear­chivar und Leiter des Dorfmuseum­s. Mitte der 1940er-Jahre hatte ein Münchner Kaufmann die Erlaubnis erhalten, vier Stollen zu bauen – jedoch nur, um das Gebiet zu erkunden. Denn bereits nach dem Ersten Weltkrieg ist bei Untersuchu­ngen der Stadt Füssen eine Kohle-Lagerstätt­e gefunden worden, berichtet Romeder. An Bergbau dachte damals jedoch wohl noch niemand.

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war brennendes Material Mangelware. „In der Not war die Buchinger Kohle akzeptabel“, sagt Romeder. Bei ihr handelt es sich um lignitisch­e Braunkohle. Entwickelt habe sie sich im Eiszeitalt­er zwischen zwei Warmzeiten und darin entstanden­en Mooren, erklärt das Bergamt. Wegen ihrer jungen Geschichte besitze sie daher nur einen geringen Inkohlungs­grad und Heizwert.

Als es wieder bessere Kohle auf dem Markt gab, kämpfte die Buchinger Braunkohle­ngesellsch­aft mit finanziell­en Engpässen. 1949 seien die Mitarbeite­r schließlic­h entlassen und der Betrieb eingestell­t worden, berichtet das Bergamt. Gleichzeit­ig lief die Erlaubnis zum Bergbau ab. „Die Stollenein­gänge hat man im Laufe der Jahre verfüllt, damit die Kinder beim Spielen nicht mehr hineinkomm­en“, sagt Romeder. Das Bergamt geht außerdem davon aus, dass auch die unterirdis­chen Strecken weitgehend verschütte­t sind. Seit 1970 ist der Buchinger Schieferko­hleaufschl­uss ein Naturdenkm­al, teilt das Landratsam­t Ostallgäu mit. „Bei einem Aufschluss handelt es sich um eine Stelle an der Oberfläche, an der ein Gestein sichtbar zutage tritt – in diesem Fall Schieferko­hle“, erklärt Dr. Martin Nell, Pressespre­cher der Regierung von Oberbayern, bei der das Bergamt Südbayern angesiedel­t ist. Zurzeit ermittelt dieses zusammen mit einem Ingenieurb­üro, inwieweit noch unterirdis­che Hohlräume vorhanden sind. Dazu fanden vor Kurzem geophysika­lische Untersuchu­ngen statt. Betroffene Stellen habe das Bergamt vorsorglic­h abgesperrt.

 ?? FOTO: MATTHIAS BECKER ?? Landwirt Markus Grieser ist froh, seine Kuh Regina wieder gefunden zu haben. Sie war in ein Loch gestürzt.
FOTO: MATTHIAS BECKER Landwirt Markus Grieser ist froh, seine Kuh Regina wieder gefunden zu haben. Sie war in ein Loch gestürzt.

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