Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mehr Hilfe für Patienten

Experten fordern Notfallzen­tren und Gesundheit­sportal

- Von Tobias Schmidt

BERLIN (AFP/sz) - Patienten sollen besser durch den Dschungel des deutschen Gesundheit­ssystems gelotst werden. Das fordert der Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der Entwicklun­g im Gesundheit­swesen (SVR), der am Montag in Berlin sein Gutachten vorlegte. Unter anderem empfohlen wird eine Umstruktur­ierung der Notfallver­sorgung. So soll es künftig integriert­e regionale Leitstelle­n und Notfallzen­tren geben, in denen niedergela­ssene Ärzte unter einem Dach zusammenar­beiten und die für Patienten rund um die Uhr über eine einheitlic­he Rufnummer erreichbar sind.

Zudem bräuchten Patienten mehr Informatio­nen – im Idealfall dadurch, dass Ärzte mehr Zeit haben, mit ihnen zu sprechen. Der SVR schlägt ein „nationales Gesundheit­sportal“vor. Künftige Digitalang­ebote wie elektronis­che Patientena­kten müssten nutzerfreu­ndlich sein, gerade für ältere Menschen.

BERLIN - Landarztma­ngel, überlastet­e Rettungsst­ellen, lange Wartezeite­n für psychisch Kranke: Das sind nur einige der Großbauste­llen im deutschen Gesundheit­ssystem. Der demografis­che Wandel und die Landflucht verschärfe­n die Probleme, warnt der Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der Entwicklun­g im Gesundheit­swesen (SVR) in seinem am Montag vorgestell­ten Gutachten. Trotz vielfältig­er Reformgese­tze gebe es noch eine erhebliche „Über-, Unter- und Fehlversor­gung“der Patienten, so das ernüchtern­de Fazit des SVR-Vorsitzend­en Ferdinand Gerlach. Eine Übersicht über die größten Probleme – und Lösungsvor­schläge der Experten:

Der generelle Befund:

Zwischen Kliniken und Praxen verlaufe eine „unsichtbar­e, aber sehr folgenreic­he Mauer“, beklagen die Sachverstä­ndigen. Um die Steuerung zu verbessern, schlägt der Sachverstä­ndigenrat eine Stärkung der Rolle der Hausärzte und neue zentrale Stellen vor.

Ärztemange­l auf dem Land, Überangebo­t in den Städten:

Das Problem der ausreichen­den Versorgung in struktursc­hwachen Regionen wächst. Wenn absehbar ist, dass Ärzte aufhören, solle die Nachbesetz­ung dort künftig schon fünf Jahre im Voraus vorgenomme­n werden, so eine Forderung. Darüber hinaus soll ein „finanziell spürbarer Landarztzu­schlag“von bis zu 50 Prozent auf Grundleist­ungen die Mediziner wieder aufs Land locken. Die Kostenexpl­osion bei der Übernahme von Praxen in Ballungsge­bieten will der SVR durch eine Befristung der Zulassung von Ärzten auf 30 Jahre stoppen.

Haus- statt Facharzt, ambulant statt stationär:

Zu viele Patienten wenden sich laut des Befundes direkt an Fachärzte. Um dem einen Riegel vorzuschie­ben, werden vergünstig­te Wahltarife der Krankenkas­se für Hausarztmo­delle angeregt. Patienten, die ohne Überweisun­g direkt zum Facharzt gehen, sollen dafür künftig nach Vorbild der wieder abgeschaff­ten Praxisgebü­hr eine „Kontaktgeb­ühr“zahlen, deren Höhe die Politik festlegen müsse. Psychiater, Frauen- und Augenärzte sollen ausgenomme­n werden. Zudem moniert das Gutachten, dass es in Krankenhäu­sern zu viele Betten gebe. Wo immer dies möglich sei, solle ambulant statt stationär behandelt werden, so die Forderung. Weiterer Vorschlag: Vor für die Kliniken besonders lukrativen Eingriffen – etwa Operatione­n an der Wirbelsäul­e – soll das Einholen einer zweiten Arztmeinun­g zur Pflicht werden. Insgesamt wäre es besser, die Planung orientiere sich stärker an den vorgesehen­en Leistungen der Krankenhäu­ser anstelle der Bettenzahl. Die Experten sehen auch den Bund in der Pflicht, das Angebot zu verbessern und in Richtung Zentralisi­erung und Spezialisi­erung zu steuern.

Notfallver­sorgung:

Rettungsst­ellen sind immer häufiger überfüllt, die Wartezeite­n lang und Ärzte und Pfleger überlastet. Das liegt laut dem Gutachten vor allem daran, dass Patienten „mit vergleichs­weise harmlosen Beschwerde­n“die Notaufnahm­en blockierte­n. Das Geschäft der Rettungswa­gentranspo­rte sei zu lukrativ, moniert der Bericht weiter. Der Vorschlag: Über eine bundesweit gleiche Nummer sollen rund um die Uhr „Integriert­e Leitstelle­n“erreichbar sein, die den Patienten sagen, was die passende Versorgung wäre: Vom Notarzt mit Martinshor­n bis zum Besuch des Bereitscha­ftsarztes. Für Patienten, die noch mobil sind, sollen Sofortterm­ine in Praxen oder Notfallzen­tren vermittelt werden. In Letzteren würde getrennt zwischen Patienten, die in die Rettungsst­elle gehören oder von einem niedergela­ssenen Arzt ausreichen­d versorgt werden könnten.

Psychische Erkrankung­en:

Die Zahl der von psychische­n Leiden Betroffene­n werde künftig deutlich steigen, prognostiz­iert der Sachverstä­ndigenrat. Schon heute gibt es lange Wartezeite­n beim Psychiater oder Psychother­apeuten. Das führe dazu, dass viele Patienten stationär behandelt würden, obwohl eine ambulante Versorgung ausreiche. Hier rät das Gremium, die ambulanten und teilstatio­nären Angebote in den Kliniken deutlich auszuweite­n. Zur Vermittlun­g freier Therapiepl­ätze fordern die Experten Terminserv­icestellen und Onlineplat­tformen.

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FOTO: DPA Der erste Weg des Patienten führt zu oft zum Facharzt, kritisiere­n Experten. Ihr Vorschlag: Gebühren sollten die Menschen dazu bringen, lieber zum Hausarzt zu gehen.

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