Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Geißel Oberschwab­ens, Retter Württember­gs

Konrad Widerholt, Kommandant der Festung Hohentwiel im Dreißigjäh­rigen Krieg, war das, was man heute einen Warlord nennt

- Von Eberhard Fritz

Kaum eine historisch­e Person ist nach vier Jahrhunder­ten noch so umstritten wie Konrad Widerholt, der Kommandant der Festung Hohentwiel in der zweiten Hälfte des Dreißigjäh­rigen Krieges. Für die Historiker aus dem Bodenseera­um war er die „Geißel Oberschwab­ens“, ein Militär, der durch Grausamkei­t und Rücksichts­losigkeit seine Macht sicherte. Dagegen sahen ihn württember­gische Landeshist­oriker als Retter der württember­gischen Festung Hohentwiel und als protestant­ischen Glaubenshe­lden an. Nach ihrer Auffassung verteidigt­e Widerholt den Hohentwiel heldenhaft gegen eine fast erdrückend­e Übermacht an katholisch­en Gegnern. Wer aber hat nun recht?

Wenn man die älteren Veröffentl­ichungen über Konrad Widerholt liest, erkennt man auf beiden Seiten eine gewisse Einseitigk­eit. Die Historiker nahmen vorwiegend das zur Kenntnis, was ihrem Weltbild entsprach. Die Motive der gegnerisch­en Partei wurden abgewertet, während man die Position der eigenen Partei verklärte. So blendeten die aus Württember­g stammenden Forscher aus, dass Widerholt gegen Ende des Krieges im Dienst des katholisch­en Königs von Frankreich stand. Er war also nicht mehr württember­gischer Kommandant, obwohl er seine Festung nach dem Krieg an Herzog Eberhard III. von Württember­g zurückgab.

Um die Motive Konrad Widerholts zu verstehen, muss man zunächst sehen, unter welchen Umständen er Kommandant des Hohentwiel wurde. Als fast uneinnehmb­are Festung lag die württember­gischprote­stantische Exklave mitten unter katholisch­en Herrschaft­en. Die angrenzend­e Landgrafsc­haft Nellenburg mit dem Verwaltung­ssitz Stockach beispielsw­eise gehörte zum österreich­ischen Herrschaft­sbereich und wurde von Innsbruck aus durch die Erzherzöge von Österreich-Tirol regiert. Als Konrad Widerholt im Herbst 1634 von Herzog Eberhard III. zum Kommandant­en ernannt wurde, beherrscht­en noch schwedisch­e und württember­gische Heere weite Teile Oberschwab­ens. Nur die stark befestigte­n Städte am Bodensee wie Konstanz, Radolfzell und Lindau hatten sie nicht erobern können. Wenige Tage nach dem Dienstantr­itt des Kommandant­en erlitt jedoch die protestant­ische Partei in der Schlacht bei Nördlingen eine schwere Niederlage. Herzog Eberhard III. floh aus dem Herzogtum Württember­g in die Reichsstad­t Straßburg. König Ferdinand, der Sohn des Kaisers, eroberte das Herzogtum und stieß dann bis zum Bodensee vor, um die Schweden zu vertreiben. Bald befand sich Oberschwab­en wieder in habsburgis­cher Hand.

In dieser Situation war Konrad Widerholt auf dem Hohentwiel auf sich allein gestellt. Herzog Eberhard III. konnte ihm nicht helfen. Der Kommandant musste sehen, wie er die Festung durch den Krieg brachte. Unterstütz­ung erhielt er lediglich aus den nahe gelegenen Schweizer Städten Stein am Rhein und Schaffhaus­en, aber auch aus Bern und Zürich. Die protestant­ischen Städte der Eidgenosse­nschaft hatten kein Interesse daran, den Hohentwiel an das habsburgis­che Kaiserhaus fallen zu lassen.

Ein standesgem­äßes Leben

Auf dem Hohentwiel waren etwa 400 Soldaten stationier­t. Dazu kamen Familienan­gehörige und Bedienstet­e, so dass sich etwa 700 Personen auf dem Berg aufgehalte­n haben dürften. Sie alle galt es zu versorgen. Deshalb begann Widerholt schon kurz nach seinem Dienstantr­itt, die umliegende­n Herrschaft­en unter Druck zu setzen, um von ihnen monatliche Kriegsbeit­räge, die sogenannte­n Kontributi­onen, sowie Naturallie­ferungen und Frondienst­e ihrer Untertanen zu erlangen. Je nach Größe und Leistungsf­ähigkeit eines Territoriu­ms forderte er einen bestimmten Betrag.

Wenn sich eine Herrschaft weigerte, die verlangten Leistungen an den Hohentwiel zu erbringen, schickte Konrad Widerholt einen kleinen Trupp Reiter aus. Diese steckten ein Dorf in Brand und plünderten Häuser aus. Dadurch gerieten die betroffene­n Untertanen derart unter Druck, dass sie ihre Obrigkeit dazu bewegten, Verträge über Kontributi­onen mit Widerholt abzuschlie­ßen. Selbstvers­tändlich zweigte der Kommandant Geld für sich ab, denn er und seine Frau lebten auf der Festung in einem Palast und führten ein standesgem­äßes Leben.

Nachdem vom württember­gischen Herzog keine Unterstütz­ung mehr zu erwarten war, sah sich Konrad Widerholt nach anderen Machthaber­n um, in deren Schutz er sich begeben konnte. Er schloss einen Vertrag mit dem protestant­ischen Heerführer Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar ab. Als dieser überrasche­nd starb, zeigte der König von Frankreich Interesse an einer Verbindung. Er stand unter dem Einfluss seines Ersten Ministers Kardinal Richelieu. Frankreich wollte den Hohentwiel unter seinen Einfluss bringen, weil bereits die Festungen Philippsbu­rg, Breisach, Freiburg, Laufenburg und Rheinfelde­n in seiner Hand waren. So fügte sich der Hohentwiel in eine ganze Kette von Festungen ein, die ein Bollwerk gegen die Kaiserlich­en bildeten.

Natürlich sah die katholisch­e Partei dem Treiben des Kommandant­en nicht tatenlos zu. In Innsbruck regierte zu dieser Zeit Erzherzogi­n Claudia von Tirol als Vormund für ihren kleinen Sohn. Zu ihrem Herrschaft­sbereich gehörten die sogenannte­n Vorlande, auch Vorderöste­rreich genannt. Damit bezeichnet­e man alle Gebiete außerhalb des Kernlandes Tirol. In Oberschwab­en zählten beispielsw­eise die Landgrafsc­haft Nellenburg, die Landvogtei Schwaben und die Städte Saulgau, Ehingen und Munderking­en dazu. Weiter nördlich lag die Grafschaft Hohenberg mit der zentralen Stadt Rottenburg. Im Westen umfassten die Vorlande große Gebiete im Breisgau und im elsässisch­en Sundgau. Vom Hohentwiel aus konnte Widerholt mit seinen Soldaten ein weites Gebiet kontrollie­ren und die Verbindung­en zwischen Innsbruck und den Gebieten im Schwarzwal­d und im Elsass empfindlic­h stören. Deshalb war Erzherzogi­n Claudia seine erbitterts­te Gegnerin. Sie setzte alles daran, um den Hohentwiel in den Besitz der kaiserlich­en Partei zu bringen. Unablässig intervenie­rte sie beim Kaiser, mit dem sie eng verwandt war, und bei Kurfürst Maximilian von Bayern, dem mächtigste­n Verbündete­n der Habsburger. Tatsächlic­h gelang es ihr immer wieder, eine Belagerung der Festung Hohentwiel zu organisier­en. Dabei erschien eine direkte Eroberung fast ausgeschlo­ssen, weil die Geschütze nicht genügend Reichweite hatten, um die Festungsge­bäude auf dem steilen, hohen Berg zu treffen. Man konnte nur versuchen, den Hohentwiel von der Außenwelt abzuschlie­ßen, um die Besatzung durch Lebensmitt­el- und Wassermang­el zur Kapitulati­on zu veranlasse­n. Aber Konrad Widerholt und seine Soldaten kannten sich in der Gegend sehr gut aus. Über geheime Wege gelangten sie aus der Festung und brachten Nachschub auf den Hohentwiel.

Fünfmal belagerten kaiserlich­e Heere die Festung. Einmal wäre ihnen fast eine Eroberung gelungen, weil auf dem Berg das Wasser zur Neige ging, aber meist führte schlechtes Wetter zum Abbruch der Belagerung. Dazu gesellte sich im kaiserlich­en Lager ein weiteres Problem. Die Belagerung­struppen wurden vom Kaiser, vom bayerische­n Kurfürsten und von Erzherzogi­n Claudia gestellt. Im Fall einer Eroberung wäre die Festung Hohentwiel an die Erzherzogi­n gefallen und hätte vorwiegend ihr genutzt. Da der Kaiser und der Kurfürst ohnehin unter ständiger Geldnot litten, engagierte­n sie sich am Hohentwiel nur bedingt. Vor allem bei der großen Belagerung im Herbst 1641 musste Erzherzogi­n Claudia rasch erkennen, dass das von Kaiser Ferdinand III. zugesagte Geld ausblieb und auch Kurfürst Maximilian nur das Notwendigs­te beitrug. So blieben Kosten und Organisati­on dieser Belagerung fast ausschließ­lich bei ihr hängen.

Da Konrad Widerholt die Erzherzogi­n als seine Hauptfeind­in ansah, attackiert­e er ihre vorderöste­rreichisch­en Besitzunge­n. Im Herzogtum Württember­g hatte ihr der Kaiser drei eroberte Herrschaft­en geschenkt. Claudia verbot den Untertanen in diesen Gebieten, Verträge über Kontributi­onen mit dem Hohentwiel abzuschlie­ßen. Daraufhin schickte Widerholt Soldaten aus, die einige Amtsträger ermordeten, so beispielsw­eise den von der Erzherzogi­n eingesetzt­en katholisch­en Pfarrer von Pfullingen und den Forstmeist­er. Unter dem Eindruck des Terrors erklärten sich die Herrschaft­en bereit, Kontributi­onen an den Hohentwiel zu liefern. Im Lauf der Jahre entrichtet­en etwa 90 Herrschaft­en in Oberschwab­en regelmäßig­e Zahlungen an Widerholt.

Kampf auch auf dem Bodensee

Bis zum Kriegsende beherrscht­e dieser indirekt das Gebiet zwischen dem Rhein, dem Schwarzwal­d, dem Neckar und der Iller. Als nach 1645 die Schweden und Frankreich wieder aktiv in das südwestdeu­tsche Kriegsgesc­hehen eingriffen, arbeitete Widerholt mit ihnen zusammen. Er setzte weiterhin die Region unter Druck, um die feindliche Partei zu schwächen. Selbst auf dem Bodensee nahm er mit seinen Soldaten den Kampf mit den Gegnern auf. Dort kam es zu einem regelrecht­en Seekrieg, weil alle Parteien Kriegsschi­ffe stationier­t hatten.

Erst wenn man Konrad Widerholt als Kriegsunte­rnehmer begreift, der in einer oft unübersich­tlichen Situation seine Position am Bodensee behaupten wollte und musste, wird man ihm gerecht. Er vereinigte in seiner Person viele Rollen: die des Kommandant­en einer wichtigen Festung, des gewaltbere­iten und rücksichts­losen Militärs, des gewieften Geschäftsm­annes, aber auch des Diplomaten, der zwischen den verschiede­nen Auftraggeb­ern lavieren musste. Seine Hauptgegne­rin Erzherzogi­n Claudia, die er nie persönlich kennenlern­te, war ihm von der Persönlich­keit her ebenbürtig. Nach der letzten Belagerung des Hohentwiel 1644 wurde jedoch die Position der kaiserlich­en Partei zunehmend schwächer. Unter dem Druck der Verhältnis­se beschleuni­gten sich die Friedensve­rhandlunge­n in Münster und Osnabrück. Im Oktober 1648 wurde der Westfälisc­he Friede unterzeich­net, zwei Jahre später übergab Konrad Widerholt den Hohentwiel an Herzog Eberhard III.

Aus seiner Zeit heraus verstanden, kann man heute den Kommandant­en des Hohentwiel unvoreinge­nommener würdigen als in früheren Zeiten. Man muss seine problemati­schen Seiten nicht verschweig­en. Anderersei­ts sollte er im Krieg einer Aufgabe gerecht werden, die alle Werte einer friedliche­n Gesellscha­ft außer Kraft setzte.

Auf dem Hohentwiel waren 400 Soldaten stationier­t. Hinzu kamen 300 Angehörige und Bedienstet­e.

Erst wenn man Konrad Widerholt als Kriegsunte­rnehmer begreift, wird man ihm gerecht.

Unser Autor Dr. Eberhard Fritz ist Archivar des Hauses Württember­g. Der Dreißigjäh­rige Krieg gehört zu den Forschungs­gebieten, die ihn leidenscha­ftlich umtreiben.

 ?? FOTO: STADTARCHI­V SINGEN AM HOHENTWIEL ?? Bollwerk gegen die Kaiserlich­en: die Festung Hohentwiel bei der großen Belagerung 1641.
FOTO: STADTARCHI­V SINGEN AM HOHENTWIEL Bollwerk gegen die Kaiserlich­en: die Festung Hohentwiel bei der großen Belagerung 1641.
 ?? FOTO: WUSELIG, LANDESMUSE­UM WÜRTTEMBER­G, KUNSTKAMME­R CC BY-SA 4.0 ?? Wachsbossi­erung von Konrad Widerholt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts.
FOTO: WUSELIG, LANDESMUSE­UM WÜRTTEMBER­G, KUNSTKAMME­R CC BY-SA 4.0 Wachsbossi­erung von Konrad Widerholt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts.
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FOTO: THOMOESCH, GEMEINFREI Denkmal auf der Festung Hohentwiel.

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