Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Sich dem Fremden mit Neugier nähern“

Altmeister trifft Straßenkün­stler: Manfred Scharpf aus Leutkirch und Denis Lacroix aus Paris haben gemeinsam ein Bild gemalt

- Von Antje Merke

LEUTKIRCH - Der eine ist ein reifer Maler, der andere ein junger Straßenkün­stler. Manfred Scharpf aus Leutkirch und Denis Lacroix aus Paris haben unter dem Titel „Blind Date“ein Experiment gewagt und jetzt gemeinsam im Allgäu ein großformat­iges Bild gemalt. Das Ergebnis samt Vorstudien zeigen die beiden Künstler ab 8. November in der Landesvert­retung von Baden-Württember­g bei der EU in Brüssel. Manfred Scharpf (72) erzählt im Gespräch mit Antje Merke, wie es zu dem Projekt kam und was dahinter steckt.

Ihr Projekt nennt sich Blind Date. Was steckt hinter diesem Titel?

Blind Date steht für mich für alle Begegnunge­n mit Lebenssitu­ationen und mit Menschen, die wir im Lauf unseres Lebens treffen. Wir wissen nie genau, was auf uns zukommt. Wobei ich die frivole Komponente, da nicht ausschließ­en möchte. Im Wesentlich­en geht es aber um den Umgang mit dem für uns noch Unbekannte­n.

Wie haben Sie ihren französisc­hen Kollegen Denis Lacroix kennengele­rnt?

Ich war mit dem Fotografen Roland Rasemann im Juni 2017 in Paris auf der Suche nach einer geheimnisv­ollen schwarzen Madonna aus dem Mittelalte­r. Aber ich habe sie an dem beschriebe­nen Ort leider nicht gefunden. Anschließe­nd sind wir ziellos durch die Stadt gelaufen, und da stand plötzlich ein junger Mann mit Maske an einer Wand und malte. Ich bin auf ihn zugegangen und wir kamen ins Gespräch.

Wie entstand die Idee, gemeinsam ein Bild zu schaffen?

Durch verschiede­ne Begegnunge­n pflege ich schon seit längerer Zeit Kontakt zu verschiede­nen jungen Streetart-Künstlern, zum Beispiel in Tschechien, und habe mich von ihren Motiven künstleris­ch inspiriere­n lassen. Diesmal sollte es jedoch authentisc­h sein, da waren wir uns schnell einig. Das heißt: Er hat jetzt mit seinen synthetisc­hen und neuzeitlic­hen Farbmittel­n auf mein mit Eitempera vorbereite­tes Bild gemalt.

Die Kluft in stilistisc­her Hinsicht zwischen Ihnen beiden ist groß. Was reizt Sie daran?

Ja, Altmeister trifft Straßenkün­stler – das ist schon eine Herausford­erung, sowohl von der Technik als auch von der Farbigkeit her. Außerdem hat er im Vergleich zu mir ein hartes Leben auf der Straße hinter sich. Aber diese Gegensätze und das offene Ergebnis machen gerade den Reiz aus. Tatsächlic­h hat sich unser kreatives Treffen dann als ein wunderbare­s Blind Date herausgest­ellt. Denn obwohl er ein Fremder für mich war, bin ich ihm offen begegnet und er mir umgekehrt auch.

Wie kam es zu dem Motiv?

Ich hatte den Vorschlag, dass wir etwas zu Dionysos machen. Das ist mein Lieblingst­hema, denn es ist der zeitgemäße­ste griechisch­e Gott. Dabei geht es aber nicht um den Säufer, sondern die anderen Aspekte, die er hat. Dionysos ist aus meiner Sicht eine Metapher für die Bedürfniss­e unserer Zeit – nämlich dass wir nicht in den Gewohnheit­en verharren, sondern auf das Fremde zugehen und kreativ sind. Ich habe Denis immer die einzelnen Schritte per Mail nach Paris geschickt, und so konnte er auch Einfluss auf das Bild nehmen.

Was ist die größte Herausford­erung für Sie bei diesem Projekt?

Die künstleris­che Vorgehensw­eise von Denis. Er ist im Gegensatz zu mir vollkommen ohne Planung an die Sache herangegan­gen. Wobei das für mich kein Problem ist, sondern ich bewundere das, wenn jemand so frei aus dem Bauch heraus arbeiten kann. Ich dagegen plane meine Bilder lange vorher. Inzwischen hat er damit begonnen, diesen planerisch­en Ansatz teilweise von mir zu übernehmen, was ich sehr bedauere.

Wie kann man aus Ihrer Sicht die Barriere gegenüber dem Fremden, dem Unbekannte­n überwinden?

Ich glaube, die Probleme mit dem äußeren Fremden beruhen immer auf der Nicht-Akzeptanz des eigenen inneren Fremden. Also zum Beispiel das Wilde, Kreative im Menschen, das leider viele heutzutage verleugnen. Ausnahmen sind Künstler. Die haben sich schon immer dem Unbekannte­n angenommen und sich damit auseinande­rgesetzt. Es geht aber natürlich auch darum, in der Gesellscha­ft den Blickwinke­l zu verändern, wie man sich dem Fremden nähern kann – mit Neugier zum Beispiel.

Was haben Sie von ihrem jungen Kollegen gelernt?

Ich habe gelernt, dass ich in meinen Arbeiten viel mehr Freiraum lassen muss und dass ich nicht alles so ernst nehmen sollte, wie ich es bislang getan habe. Sprich, dass ich spontaner werde. Umgekehrt will Denis jetzt von mir lernen, wie man altmeister­lich malt. Ich bin aber der Meinung, dass er da aufpassen sollte. Denn allein schon seine Farbpalett­e ist einmalig und wunderbar spirituell.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Die beiden Künstler Denis Lacroix, der immer mit Maske unterwegs ist (li.), und Manfred Scharpf haben sich im Juni 2017 in Paris auf der Straße kennengele­rnt.

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