Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Deutschlan­d findet noch keine Verbündete­n

Asylkompro­miss droht zum Rohrkrepie­rer zu werden – Drei-Länder-Gipfel in Innsbruck soll Lösungen bringen

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - „Die Seele von Europa ist Humanität“, sagt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag an der Seite von Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban vor der Hauptstadt­presse in Berlin und wird deutlich: „Wenn wir diese Seele erhalten wollen, kann sich Europa nicht einfach abkoppeln.“Es dürfe nie das gemeinsame Ziel sein, „dass wir uns einfach abschotten, von Festung sprechen.“Merkel nutzt den gemeinsame­n Auftritt für ein klares Bekenntnis zur europäisch­en Verantwort­ung für Flüchtling­e. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es um Menschen geht, die zu uns kommen“, hält die Kanzlerin ihrem Gast und Asyl-Hardliner Orbán entgegen.

Der ungarische Premier zeigt sich unbeeindru­ckt, redet selbst Klartext: Flüchtling­e aus Deutschlan­d, die schon in Ungarn registrier­t sind, werde man niemals zurücknehm­en. „Nicht zuständig“, fasst Orbán seine Absage knapp zusammen. Schließlic­h hätten die Migranten in Griechenla­nd oder Italien die EU erreicht.

Seehofer bleibt im Regen stehen

Merkels Appell, Orbáns Verweigeru­ng – wenig später tritt Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) in Wien mit Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache vor die Kameras, berichtet von seinen Versuchen, mit Wien ein Abkommen zur Flüchtling­srücknahme zu schließen. Doch auch hier die klare Abfuhr: „Wir werden sicher keine Lösung akzeptiere­n, die zu Lasten Österreich­s geht“, erklärt Kurz. „Für uns gibt es keinen Grund, diese Personen zurückzune­hmen“, sagt Strache und lässt Seehofer eiskalt im Regen stehen.

Dem Bundesinne­nminister bleibt nichts anderes übrig, als einzulenke­n: „Wir werden weder jetzt noch in Zukunft Österreich für Flüchtling­e verantwort­lich machen, für die es nicht zuständig ist“, sagt er kleinlaut. Die an der deutschen Grenze in den geplanten Transitzen­tren festgehalt­enen Flüchtling­e, die schon andernorts einen Asylantrag gestellt hätten, würden „nach Rom oder Athen“zurückgesc­hickt, sagt Seehofer. „Aber nicht nach Wien.“

Abfuhr für den deutschen Innenminis­ter? Damit der CSU-Chef nicht mit ganz leeren Händen nach Berlin zurückkehr­en muss, vereinbart er mit den österreich­ischen Partnern einen neuen Anlauf, „um die Südroute für Migranten zu schließen“. Kommenden Mittwoch will er sich in Innsbruck mit den Ressortche­fs aus Italien und Österreich zum DreierGipf­el treffen. Ziel des Gipfels: Die Mittelmeer­route abzuriegel­n. Mit welchen konkreten Maßnahmen das erreicht werden soll, bleibt offen. Zumal die nordafrika­nischen Länder Sammellage­r für abgefangen­e Bootsflüch­tlinge auf ihren Territorie­n weiter kategorisc­h abblocken.

Während die Kanzlerin vor Abschottun­g warnt, will Seehofer genau dies erreichen. Ein Manöver, um davon abzulenken, dass der mühsam ausgehande­lte Asyl-Kompromiss der Union zum Rohrkrepie­rer zu werden droht? Orbán sagt Nein, Kurz und Strache winken ab. Nur, wenn in absehbarer Zeit Vereinbaru­ngen mit Griechenla­nd und Italien zustande kommen, wäre die Einrichtun­g von Transitzen­tren an der deutschen Grenze mit der SPD zu machen.

Am Donnerstag­abend einigt sich derweil die große Koalition auf ihr Asylpaket: „Transitver­fahren in Einrichtun­gen der Polizei“lautet die Lösung, wie Bundesinne­nminister Horst Seehofer nach dem Ende des Koalitions-Gipfels der Spitzen von CDU, CSU und SPD verkündet. Keine „Transitzen­tren“also, gegen die sich die SPD gestemmt hatte, aber die Absicht, sogenannte DublinFlüc­htlinge an den Grenzen maximal 48 Stunden festzuhalt­en und dann in die Länder zurückzufü­hren, in denen sie ihren Erstantrag gestellt haben. Überdies sollen beschleuni­gte Asylverfah­ren für all jene eingeführt werden, die schon in anderen Ländern registrier­t worden, aber bereits nach Deutschlan­d eingereist sind, heißt es in der gemeinsame­n Erklärung. Drittes Element des neuen Asylpakets: Bis Ende des Jahres soll ein Einwanderu­ngsgesetz im Kabinett verabschie­det werden. Seehofer gibt sich demonstrat­iv zufrieden, das Paket enthalte Lösungen „von A bis Z, was als Innenminis­ter

Viel Zuspruch für Transitzen­tren

Mögen auch gut 60 Prozent der Bevölkerun­g hinter Transitzen­tren stehen, wie der aktuelle ARD„Deutschlan­dtrend“ergibt: Im Ringen um die Abwehr andernorts registrier­ter Flüchtling­e ist nicht viel erreicht. Und einen Plan B gibt es offenbar nicht. Sollten die Verhandlun­gen mit Griechenla­nd und Italien scheitern, „dann müssen wir neu nachdenken“, räumt Seehofer ein.

Der Asylstreit hat indes das Ansehen der Bundesregi­erung in der Bevölkerun­g ramponiert. 78 Prozent sind laut „Deutschlan­dtrend“gar nicht oder weniger zufrieden mit der Arbeit des Kabinetts von Kanzlerin Angela Merkel. Der Anteil der Unzufriede­nen stieg im Vergleich zum Juni um 15 Prozentpun­kte.

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FOTOS: AFP Zwei schwierige Missionen: Innenminis­ter Horst Seehofer (links im Hintergrun­d) holt sich beim österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz eine Abfuhr, Bundeskanz­lerin Angela Merkel (rechts hinten) kann die Differenze­n zu Ungarns Premier Viktor Orbán...
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