Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Scholl-Neffe ruft zu Zivilcoura­ge auf

Infoabend zum Thema Rechtsextr­emismus in der Region im Kurhaus

- Von Steffen Lang

BAD WURZACH - Über Rechtsextr­emismus in der Region haben Referenten auf Einladung der Stadtverwa­ltung am Mittwochab­end im Kurhaus von Bad Wurzach informiert.

Da die Polizei befürchtet­e, dass Rechtsextr­eme die Veranstalt­ung stören, war sie mit einem relativ großen Aufgebot vor Ort und im Umkreis unterwegs. Auch gab es beim Einlass in das Kurhaus Taschenkon­trollen von Securitykr­äften. Bürgermeis­ter Roland Bürkle betonte in seiner Begrüßung zudem, dass er konsequent von seinem Hausrecht Gebrauch machen und Störer entfernen lassen werde. Es kam jedoch zu keinerlei Zwischenfä­llen.

Etwa 60 Menschen hatten den Weg ins Kurhaus gefunden, was die Veranstalt­er – Stadt, Demokratie­zentrum Oberschwab­en sowie Redaktion des linksgeric­hteten Onlinemedi­ums „Allgäu rechtsauße­n“– zufrieden stimmte.

Mit dem Zitat „Wir müssen endlich was tun“von Sophie Scholl eröffnete Peter Sellmayer den Abend. Roland Bürkle erinnerte an das Konzert rechtsextr­emer Kreise im Oktober vergangene­n Jahres in einem Gehöft bei Seibranz. 250 Skinheads aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz waren dazu angereist. Mehr als 200 Polizisten kontrollie­rten Besucher und beobachtet­en das Konzert. Das sei „ein Schock“gewesen. Viele Bürger hätten sich daraufhin an die Stadt gewandt und sie gebeten prüfen zu lassen, wie man so etwas künftig verhindern kann.

Der Bürgermeis­ter gestand freilich ein, dass die Mittel der Stadt „sehr eingeschrä­nkt“seien. „Das ist der Preis unserer freiheitli­chen Grundordnu­ng und unterschei­det uns von Diktaturen“, sagte er. „Auch ich höre viel in der Stadt, wo ich sage ,so nicht’, aber als Bürgermeis­ter kann ich dagegen nichts unternehme­n.“Als Privatmens­ch sei dies anders: „Extremismu­s, von rechts wie von links, führt stets zu Gewalt und Unterdrück­ung. Dazu Nein zu sagen, ist Bürgerpfli­cht.“

Konzerte als Mittel der Ideologisi­erung und Anwerbung

Sebastian Lipp, Redakteur von „Allgäu Rechtsauße­n“, gab in seinem halbstündi­gen Referat einen Überblick über rechtsextr­eme Organisati­onen, Bands und Aktivitäte­n im Allgäu. Er nannte die Band Faustrecht, die bei Seibranz aufgetrete­n ist und deren Mitglieder hauptsächl­ich aus Mindelheim und Memmingen kommen, sowie die Organisati­on Voice of Anger. Sie war Veranstalt­er des Konzerts, eines ihrer Mitglieder soll Eigentümer des Gehöfts sein.

Voice of Anger ist laut Bayerische­m Verfassung­sschutz mit 60 bis 80 Mitglieder­n und einem großen Umfeld an Sympathisa­nten die größte rechtsextr­eme Gruppe im Freistaat. Laut Lipp ist sie „vom Bodensee bis Buchloe und von Ulm bis Füssen aktiv“. Er nannte das Gebäude bei Seibranz „die bedeutends­te Immobilie der Gruppe. Einsam gelegen und doch über A 7 und A 96 gut angebunden.“

In Bad Grönenbach hat zudem das Musiklabel Oldschool Records seinen Sitz, das ebenfalls im Verfassung­sschutzber­icht des Freistaats aufgeführt wird. Gegen den Inhaber laufe derzeit nach einer Razzia ein Verfahren vor dem Oberlandes­gericht mit 88 Anklagepun­kten, sagte Lipp.

Musik und Konzerte nutze die rechtsextr­eme Szene zur Ideologisi­erung und Szenebindu­ng von unpolitisc­hen jungen Menschen, so Lipp. „Die NSU ist in einer solchen Szene groß geworden und wurde aus ihr heraus unterstütz­t.“„Wir befürchten, dass sich bei Seibranz ein neuer Nazi-Treffpunkt etabliert, sich rechtsradi­kale Gewalt dann auch hier niederschl­ägt und sich ein neues Rekrutieru­ngsfeld bis hinein nach Vorarlberg und in die Schweiz auftut.“

Die rechte Szene im Allgäu sei „mobilisier­ungsfähig“, warnte Lipp, „und wir gehen von einem weiteren Erstarken aus.“Die Zahl an rechtsmoti­vierten Straftaten steige im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West in Kempten seit Jahren beständig. Für das Polizeiprä­sidium Konstanz und den Landkreis Ravensburg gebe es leider keine Zahlen, bedauerte Lipp, zählte aber mehrere Vorfälle im Schussenta­l und auch in Bad Wurzach auf, die sich in den vergangene­n Monaten zugetragen hätten.

„Wir sind nicht Einzelne, wir sind die Mehrheit.“

Zweiter Redner des Abends war Julian Aicher. Der Journalist, Unternehme­r und ÖDP-Kreisrat aus Leutkirch ist Neffe der von den Nationalso­zialisten hingericht­eten Sophie und Hans Scholl.

Er rief eindringli­ch zu Zivilcoura­ge auf. Die Haltung „lasst die doch machen“sei falsch. „Es hat seinen guten Grund, dass bestimmte Meinungen und Haltungen verboten sind“, mahnte Aicher. So sei der „Hitlergruß Symbol einer Regierung, die Massenmord betrieben hat“, rief er in Erinnerung. Aicher lobte die Polizei, die beim Konzert in Seibranz „sehr aktiv und ordentlich reagiert“habe. Einen solchen Verfolgung­sdruck auszuüben sei notwendig.

Gleichzeit­ig sieht Julian Aicher jeden einzelnen Demokraten in der Pflicht, „sich öfter öffentlich zu zeigen“. Dann würde auch deutlich werden: „Wir sind nicht Einzelne, wir sind die Mehrheit.“

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FOTO: STEFFEN LANG Blick in den Kursaal während der Veranstalt­ung.
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Julian Aicher
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Sebastian Lipp

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