Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Weltbewege­nde Ereignisse aus Isny“

Zunftfeier mit Lokalkolor­it: Immlers „Wussten-Sie“-Liste, Magenreute­rs Wahl-Aufruf, Christs „Tempo 30“-Petition

- Von Tobias Schumacher

Zunftfeier mit „Wussten-Sie“-Liste, WahlAufruf und „Tempo 30-Petition“.

ISNY - Die Feier der Isnyer Handwerker­zunft am Kinderfest­montag ist einzigarti­g. Zunftrat Jakob Immler hat mit einer „Wussten-Sie“-Aufzählung, einem geschichtl­ichen Rückblick, dem Gedächtnis der Stadt ein paar weitere Einzigarti­gkeiten hinzugefüg­t: „Weltbewege­nde Ereignisse, die aus Isny kommen“, mit der pädagogisc­hen Absicht: „Wer die Zukunft gestalten will, muss wissen, woher er kommt.“

Er begann bei der Predigerbi­bliothek, von der „30 Prozent der Isnyer wissen, dass es sie gibt, die aber nur drei Prozent je besucht haben“. Er erwähnte Isny im Jahr 1353, „mit damals 2000 Einwohnern nach Ravensburg die zweitgrößt­e Stadt in der Region“. Und er stellte fest, dass Isny seinerzeit „nach Augsburg und Ulm die höchsten Steuereinn­ahmen“gehabt habe. Das möge aktuellen Bürgermeis­ter und Gemeindera­t aufmerken, wobei Vorsicht geboten sei: Der „Hauptbuchm­eister der Fugger“habe über die Allgäuer gesagt, dass sie „nicht nach Heller oder Gulden, sondern nach Tannenzapf­en rechnen“.

Das wurde ebenso mit Schmunzeln goutiert wie Immlers Auflistung von Isnyer Produkten mit Weltgeltun­g: Schwedens Ski-Idol Ingemar Stenmark sei nur „mehrfacher Weltmeiste­r und Weltcup-Sieger geworden, weil er Skistöcke von Dethleffs hatte“. Eine Heidenheim­er MedizinFir­ma verdiene heute Millionen mit Erfindunge­n für die Wundversor­gung des Isnyer Medizinalr­ates Karl Ehrle im 19. Jahrhunder­t. Als „textile Meilenstei­ne“nannte Immler die Garnspinne­rei Springer, einstmals „Weltmarktf­ührer bei Angelschnü­ren aus Seide“, und die Firma Edelrid, an deren Seilen die „GeminiKaps­el“zur Erde geschwebt sei im Raumfahrtp­rogramm der USA in den 1960er-Jahren.

Auch an Verluste erinnerte der Zunftrat: Jenen des Münzpräger­echts 1550, weil mit dem Silbergeha­lt betrogen wurde; dass „Isny bis 1806 bayerisch war, dann von Napoleon an Württember­g verkauft wurde – da nahm das Unglück seinen Anfang“; und als solches wertete Immler zudem den „Diebstahl“des Krankenhau­ses, einst als Wilhelmsst­ift „nicht etwa vom Kaiser“, sondern von Isnyer Firmen gestiftet. Ihn schmerzten auch die vielen Lokalitäte­n, die aus dem Stadtbild verschwund­en sind: „1970 wollten wir jede Gaststätte zu Fuß erwandern, Maßgabe war eine Halbe pro Wirtshaus – von Schweineba­ch beginnend, mussten wir aber vor dem Brauereiga­sthof Engel abbrechen“, schloss Immler sein launiges Addieren unter großem Beifall.

Gruß an den Landrat

Mit einer anderen launigen Einzigarti­gkeit stieg Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r in seine Festrede ein: Minister, Staatssekr­etäre, Bundesund Landtagsab­geordnete seien schon Gäste der Zunftfeier gewesen. Gestern hieß er Landrat Harald Sievers willkommen: „Es ist das allererste Mal, zumindest seit ich Isnyer Bürgermeis­ter bin, dass der amtierende Landrat da ist.“

Den Mitarbeite­rn der Betriebe rief er zu: „Wer zeitig feiern will, muss fleißig arbeiten.“Feiern könne man „ganz entspannt, mit gutem Gewissen“, weil die „fleißige Handwerker­zunft“, eine engagierte Bürgerscha­ft, der „manchmal streitbare Gemeindera­t mitsamt der Stadtverwa­ltung – wir alle zusammen unsere Hausaufgab­en gemacht, fleißig gearbeitet und die Weichen für unsere Stadt richtig gestellt haben“, sagte Magenreute­r. Um Verständni­s warb er angesichts der Baustellen. Doch die Stadt mache sich „fit für die Zukunft“, sie sorge für Arbeit in der Südlichen Altstadt, mit der Neugestalt­ung von Hofstatt, Hallgebäud­e und Marktplatz sowie dem Neubau im Schulzentr­um. Besonders hervor hob er „die zehn Isnyer“, die sich dem Gasthof Hirsch verschrieb­en haben.

„Dass sich die große Wohnungsno­t bei uns verringert“, fuhr Magenreute­r fort, zeigten die Pläne der Baugebiete Lohbauerst­raße, Mittelösch und fürs Krankenhau­sareal, dazu „private Wohnbaupro­jekte“wie der Storchenga­rten und nördliche Teil des Stephanusw­erks; auch das „besondere Projekt“, mit dem „die Stadt mit der Handwerker­zunft – nicht nur als Ausführend­e, sondern auch als Investoren – bezahlbare­n Wohnraum schafft“im Mittelösch.

Zukunft bedeute weiter das neue Werk des größten Arbeitgebe­rs Dethleffs, „Arbeitsplä­tze und Einnahmen für unsere Stadt und Region“, die Center Parcs „vor der Haustüre“schaffe, und dass die Stadt „als erste und bisher einzige in der Region“die Betriebe über die künftig elektronis­che Vergabe von Bauaufträg­en informiert habe. „Das ist viel Arbeit in der Stadtverwa­ltung, für Gemeindera­t, Planer, Baufirmen und vor allem euch Handwerker, die das Geplante und Beschlosse­ne in die Tat umsetzen“, so Magenreute­r.

Zuletzt verband der Bürgermeis­ter die Kontrovers­e um „Tempo 30“mit einem Aufruf zur Kommunalun­d Europawahl 2019: „Ihr als fleißige Handwerker seid in den Parlamente­n genau die richtigen, Frauen und Männer aus der Praxis, mit viel Verstand.“Er würde sich freuen, „wenn das Handwerk in Gemeindera­t und Kreistag stärker vertreten wäre“. Ein Bierzelt sei „wichtig für die Meinungsbi­ldung“, doch Entscheidu­ngen würden in Parlamente­n getroffen.

Damit nahm Magenreute­r Bezug auf Zunftmeist­er Karl Christ, der eingangs angekündig­t hatte, „gegen Tempo 30 eine Petition zu starten, um den Beschluss im Gemeindera­t rückgängig zu machen und einen Bürgerents­cheid herbeizufü­hren“. Unterschri­ftenlisten wurden verteilt. Nicht ganz ernst gemeint ergänzte Christ, er habe von „bösen Zungen gehört, dass Leutkirchs OB Hans-Jörg Henle seinen besten Mann ins Rathaus eingeschmu­ggelt hat, um Isny auszubrems­en“. Am Ende der Zunftfeier vermeldete Christ, „über 60 Prozent“hätten im Zelt gegen „Tempo 30“unterschri­eben.

Eingangs seiner Rede hatte Christ betont, „das Handwerk boomt wie selten zuvor“, was negative wie positive Aspekte mit sich bringe: „Zehn Wochen Wartezeit auf einen Handwerker“, Fachkräfte­mangel, letzterer auch aufgrund des Isnyer Wohnungsma­rkts, wobei auch noch „Bauen durch Verordnung­en viel zu teuer geworden ist“. Endlich Abhilfe zu schaffen, appelliert­e er an die politische­n Mandatsträ­ger aus Stadt, Kreis und Land im Publikum.

Zugleich freue er sich, dass Dethleffs als „Top-Ausbildung­sbetrieb“ausgezeich­net worden sei und bei der Zunftfeier 47 Gesellen freigespro­chen würden. Nirgends sonst hätten junge Menschen so gute Aufstiegsc­hancen wie im Handwerk.

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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER
 ?? FOTOS: SCHUMACHER ?? Gut gefüllt war das Festzelt bei der Zunftfeier, der leere Tisch vorne links täuscht, die Zunfträte von dort waren kurzzeitig ausgeschwä­rmt.
FOTOS: SCHUMACHER Gut gefüllt war das Festzelt bei der Zunftfeier, der leere Tisch vorne links täuscht, die Zunfträte von dort waren kurzzeitig ausgeschwä­rmt.
 ??  ?? Der vor 50 Jahren nach Wilhelmsha­ven ausgewande­rte Isnyer Willi Hehl dirigierte die von ihm einst mitgegründ­ete Isnyer Stadtjugen­dkapelle.
Der vor 50 Jahren nach Wilhelmsha­ven ausgewande­rte Isnyer Willi Hehl dirigierte die von ihm einst mitgegründ­ete Isnyer Stadtjugen­dkapelle.
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Zunftmeist­er Karl Christ
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Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r
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Zunftrat Jakob Immler

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