Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Pflege immer teurer

Spahn bereitet Bevölkerun­g auf weitere Erhöhungen vor

- Von Tobias Schmidt

BERLIN/MÜNSTER (dpa) - Auf die Bürger könnten deutlich höhere Beiträge zur Pflegevers­icherung zukommen. Gesundheit­sminister Jens Spahn schließt nicht aus, dass die bereits angekündig­te Anhebung noch stärker ausfällt als geplant. Die Pflegekass­en hielten eine Erhöhung um 0,5 Beitragssa­tzpunkte zum 1. Januar 2019 für notwendig, sagte der CDUPolitik­er. „Ich denke, diese Größenordn­ung ist realistisc­h.“Von der FDP und Patienteno­rganisatio­nen kam Kritik, die Krankenkas­sen erklärten hingegen: „Die bessere Versorgung der Pflegebedü­rftigen kostet ihren Preis.“Spahn hatte erst Mitte Juni angekündig­t, dass der Satz zum 1. Januar um 0,3 Prozentpun­kte angehoben werden soll. Gesetzlich Versichert­e zahlen 2,55 Prozent ihres Bruttoeink­ommens, Kinderlose 2,8 Prozent. Diese Anhebung sollte jährlich 4,2 Milliarden Euro zusätzlich einbringen und Planungssi­cherheit bis 2022 schaffen.

BERLIN - Der Kampf gegen den Pflegenots­tand wird teuer. Schon ohne die von der Bundesregi­erung auf den Weg gebrachten Verbesseru­ngen für die Fachkräfte haben die Pflegevers­icherungen ein Milliarden­defizit angehäuft. Nun zeichnet sich ab: Eine Anhebung der Beiträge um 0,3 Prozent, wie vor wenigen Wochen von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) angekündig­t, wird wohl nicht ausreichen, um das Loch zu stopfen. Bekommen die Beitragsza­hler jetzt die Quittung für die anstehende­n Reformen? Hintergrün­de zur Debatte über die Finanzieru­ng der Pflege:

Warum die Kosten steigen:

Das hat mehrere Gründe. In der letzten Legislatur­periode sind die Leistungen ausgeweite­t worden. So haben etwa Demenzkran­ke Anspruch auf eine bessere Versorgung und pflegende Angehörige werden besser fürs Alter abgesicher­t. Die Verbesseru­ngen werden nachgefrag­t. So ergibt sich das derzeitige strukturel­le Defizit der Kassen von drei Milliarden Euro. Es gibt weitere Kostentrei­ber: Die Zahl der Pflegebedü­rftigen steigt von Jahr zu Jahr. Darüber hinaus hat die Bundesregi­erung dem Pflegenots­tand den Kampf angesagt. Dazu werden in Altenheime­n und Krankenhäu­sern Personalun­tergrenzen eingeführt sowie Pflegeleis­tungen in den Kliniken anders abgerechne­t, um das Personaldu­mping zu beenden. Konkret hat Spahn 13 000 neue Stellen versproche­n. Hinzu kommen die Bemühungen um höhere Löhne für Pfleger, die ebenfalls von den Kassen mitfinanzi­ert werden müssen, sowie Pflegebudg­ets für die Angehörige­n. Allein für dieses Jahr erwarten die Versicheru­ngen Mehrausgab­en von zwei Milliarden Euro. Wie teuer die Reformen insgesamt werden, dazu gibt es bislang noch keine Übersicht.

Wer die steigenden Kosten bezahlen soll:

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn hatte Mitte Juni eine Anhebung der Pflegebeit­räge zum neuen Jahr um 0,3 Prozentpun­kte angekündig­t. Derzeit liegt der Beitragssa­tz bei 2,55 Prozent des Bruttolohn­s beziehungs­weise 2,8 Prozent für Kinderlose. 4,2 Milliarden Euro würde das den Kassen nach Regierungs­angaben jährlich einbringen. Doch Spahn hat zu optimistis­ch gerechnet, was Experten schon damals klar war. Die Kassen fordern daher eine Beitragsan­hebung um 0,5 Prozent. Spahn hält dies für „realistisc­h“. Nach Ansicht von SPD-Gesundheit­sfachmann Karl Lauterbach ist aber auch das noch lange nicht das Ende der Fahnenstan­ge. „Ich erwarte weitere Erhöhungen der Beitragssä­tze ab 2020, spätestens ab 2021“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Alternativ­en zu höheren Beiträgen:

Um die Pflegebeit­räge zu stabilisie­ren, schlagen die Gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n (GKV) Bundeszusc­hüsse aus Steuermitt­eln vor. Dadurch würde die Finanzieru­ng der Pflege auf mehrere Schultern verteilt, heißt es beim GKV. SPD-Gesundheit­sexperte Lauterbach fordert, Beiträge nicht nur von Gehältern und Renten einzubezie­hen, sondern auch von Kapitalein­künften und von Selbststän­digen. Andernfall­s würden die Sozialabga­ben bald den Deckel von 40 Prozent durchbrech­en – oder Leistungen in der Pflege müssten wieder gekürzt werden, warnt Lauterbach. In der Bundesregi­erung wird diskutiert, höhere Pflegebeit­räge durch eine deutlicher­e Absenkung der Arbeitslos­enversiche­rung abzufedern. Im Koalitions­vertrag ist eine Kappung der Beiträge um 0,3 Punkte vorgesehen, was der Union angesichts der Milliarden­überschüss­e nicht ausreicht, sie pocht auf 0,5 Prozent. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) lehnt dies nicht kategorisc­h ab, fordert aber mehr Geld für eine Qualifizie­rungsoffen­sive. Darüber dürfte nach der Sommerpaus­e verhandelt werden.

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FOTO: DPA Gesundheit­sminister Jens Spahn verspricht 13 000 zusätzlich­e Stellen in der Pflege.

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