Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Andrea Berg
Andrea Berg gibt ihre legendären „Heimspiel“-Konzerte – Wo die Schlagerwelt ihr Versprechen einlöst
wird bei ihrem „Heimspiel“von ihren Fans gefeiert
ASPACH - Etwa eine halbe Stunde nach Konzertbeginn steigt Andrea Berg in ihrem zitronenfaltergelben Kleid von der Open-Air-Bühne in Aspach (Rems-Murr-Kreis), tritt an die Absperrung und beruhigt die aufgescheuchte Security: „Hier ist der sicherste Ort der Welt.“Und fährt fort: „Ich bin verliebt in diesen Abend, in diesen Ort, ich bin verliebt in euch.“Dann beginnt sie die Besucher an der Absperrung zu küssen, auf den Mund. Männer, Frauen, Junge, Alte, Kinder, sie streichelt über Wangen, lässt sich innig umarmen und vergisst zwischenzeitlich das Play-back ihres Hits, der durch die Mechatronik Arena hallt: „Wenn Du mich willst dann küss mich doch.“
Und die Fans wollen. Andrea Berg, die als Funkenmariechen im Krefelder Karneval am Niederrhein erste Bühnenerfahrungen sammelte, gilt heute als Phänomen der deutschsprachigen Musikwelt. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert im Geschäft hat sie Angaben zufolge mehr als 15 Millionen Tonträger verkauft. Seit 2003 platziert die bis kürzlich von Dieter Bohlen produzierte Künstlerin fast jede Platte auf Platz 1 der Charts, wo sich alleine ihr Bestof-Album mehr als sechseinhalb Jahre hielt. Die 52-Jährige bricht in Deutschland Rekorde der Beatles, verdrängt Michael Jackson – und das allein mit Schlagermusik.
Für Fans ein Muss-Termin
Die leichte Muse verbindet Berg mit extrovertierten Auftritten, mit kurzen Röcken, hohen Absätzen und tiefen Ausschnitten. Auch an diesem Abend ist ihr leuchtendes Kleid bis zur Hüfte aufgeschlitzt, später am Abend bedecken die gertenschlanken und braungebrannten Beine Strapse und Seidenstrümpfe. So stolziert sie hüftschwingend auf einer Bühne in Schmetterlingsoptik, riesige LED-Schirme in Form der Flügel zeigen jede Bewegung des Stars, der Hit um Hit singt: „Und im Rausch der Nacht/Ist die Lust auf mehr erwacht/Denn Du hast mich glücklich gemacht“.
Kritiker bemängeln gerne die „textliche und musikalische Beliebigkeit der fast ausschließlich im schlichten 1-2-1-2-Tanz-Rhythmus daherkommenden Berg-Lieder“(musicforum.de). Fans dagegen finden einen anderen Zugang: In Stücken wie „Gefühle haben Schweigepflicht“, „Bittersüße Zärtlichkeit“oder dem Dauerbrenner „Du hast mich tausendmal belogen“entdecken sie neben Glück auch Leid, neben Höhen auch Tiefen, neben der Liebe die Lüge, alles wie im richtigen Leben, oder wie die Angehimmmelte einmal selber sagte: Ihre Lieder seien manchmal traurig, aber „niemals ohne Hoffnung“".
Immer wieder ruft Berg an diesem Abend auch Sätze in die Menge wie „wir wollen tanzen, singen, das Leben feiern“. Es ist wohl diese Überdosis an Gefühligkeit, die das Schlagerpublikum verlangt. Die „Heimspiel“-Konzerte gehören mittlerweile im 13. Jahr fest zum Terminkalender der Fans. Was 2006 bei ebenfalls regnerischem Wetter auf einem Sportplatz begann, zieht heute bei zwei Auftritten jährlich 30 000 Menschen an. Sie pilgern aus Holland, Australien und Brasilien in die Dörfer, belegen die Hotels der Region und campieren auf Wiesen. „Schlagermusik ist cool“, sagt Doreen Stiewe (36) aus Hettstedt bei Magdeburg, „und Andrea ist die Größte“. Der Banater Schwabe Hartwig Sterz (55), der heute in Göppingen lebt, berichtet: „Damals in Rumänien haben wir schon Andrea Berg gehört“, für ihn ginge heute ein Herzenswunsch in Erfüllung.
Gummistiefel und Stiletto
Wer es sich leisten will, wohnt an diesem Wochenende auf dem „Sonnenhof“Tür an Tür mit dem Star. „Die Schlagerkönigin von Aspach“, was in etwa klingt wie der „Superstar aus Bullerbü“, hat sich nördlich von Stuttgart eine eigene Welt geschaffen, zusammen mit ihrem Mann dem Sportmanager Ulrich Ferber. Dessen Eltern eröffneten 1950 in Kleinaspach die Gaststätte „Sonne“, zogen später an den Ortsrand, wo bis heute ein Reich des Schlagers wächst und wächst; mit Hunderten Gästezimmern, mit Wellnesoase, eigener Kapelle, Tiergehege, Tennisplatz und Fußballfeld, Restaurants, vier Tanzlokalen, einem „Dorf“mit tageweise buchbaren Häuschen in Bauern- und Fachwerkoptik. Und einem Biergarten, in dem die Gäste, wie es auf der Speisekarte heißt, „Ebbes Herzhafds zuerschd“verzehren, um dann bei „Hopfa ond Malz“das Motto in die Tat umzusetzen: „Beschte Schdimmung garandierd“.
Der Star selber wohnt mit Mutter, Tochter aus erster Ehe und Mann mitten auf dem Gelände, mischt sich unter die Leute, bedient die verblüfften Gäste im Restaurant oder füttert Schweine und Alpakas im Stall. Offenheit und Nähe haben einen Vorteil, wie die gelernte Arzthelferin aus Krefeld, die das Bundesverdienstkreuz für ihre Hospizarbeit erhielt, einmal sagte: „Bei mir hocken keine Paparazzi auf den Bäumen.“Auf diese Weise belebt sie eine auf dem Reißbrett entstandene Welt mit der ihr eigenen Natürlichkeit.
Somit ist Andrea Berg eine Künstlerin, die allen Schlagermuffeln und Kritikern zum Trotz erstaunlich glaubwürdig vermeintliche Gegensätze miteinander verbindet: Das Leichte mit dem Schweren, den Geschäftssinn mit der Barmherzigkeit, die Gummistiefel mit den Stilettos und den Ruhm des Stars mit der Sehnsucht nach Bodenständigkeit.
Heilsversprechen eingelöst
Nach drei Stunden Konzert geht die Sängerin über den langen Steg ins enthusiastisch jubelnde Publikum und sagt: „Danke!“Dann bekommen ihre Augen einen feuchten Glanz und Tränen kullern über ihre Wangen. Über der Bühne in Aspach erhebt sich ein Feuerwerk, Raketen schießen in die Nacht.
Und die Besucher kehren heim im Gefühl, dass der Schlager sein Heilsversprechen eingelöst hat, wenn auch nur an diesem Abend in der schwäbischen Provinz.